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1. Juli 2025
Ein Orang-Utan schläft in seiner Hängematte

Auch Orang-Utans machen Powernaps

Forschende haben über 14 Jahre lang das Schlaf­ver­halten von 53 Orang-Utans unter­sucht und heraus­ge­funden: Auch die uns Menschen so ähnli­chen Primaten kompen­sieren Schlaf­mangel durch Nicker­chen während des Tages. Und es gibt einen Zusam­men­hang mit ihrer Kognition.

Menschen und Orang-Utans teilen 97 Prozent DNA, das ist lange bekannt. Unsere große Ähnlich­keit zeigt sich in vielerlei Hinsicht: So sind Orang-Utans in der Lage, sich Werk­zeuge auszu­denken und herzu­stellen, um damit Probleme zu lösen. Sie sind fähig zu sozialem Lernen, sie können Humor und Empa­thie zeigen. Und offen­sicht­lich haben auch sie manchmal tags­über zusätz­li­chen Schlaf­be­darf.
„Sich durch die Baum­kronen zu bewegen, Nahrung zu finden, Probleme zu lösen, soziale Bezie­hungen zu pflegen — all das sind anstren­gende und kognitiv anspruchs­volle Aufgaben“, sagt Dr. Alison Ashbury, die Erst­au­torin der Studie. Als Bewäl­ti­gungs­stra­tegie haben Orang-Utans einen Weg gefunden, der uns sehr bekannt vorkommen dürfte: „Bei Menschen kann selbst ein kurzes Nicker­chen erheb­liche posi­tive Auswir­kungen auf die Erho­lung haben“, erklärt Mitau­torin Meg Crofoot, Direk­torin am Max-Planck-Institut und Profes­sorin an der Univer­sität Konstanz. „Es ist möglich, dass diese Nicker­chen den Orang-Utans dabei helfen, sich nach einer schlechten Nacht physio­lo­gisch und kognitiv zu erholen — genau wie beim Menschen.“

Die Forschenden beob­achten wild­le­bende Orang-Utans im indo­ne­si­schen Regenwald

Die Studie mit dem Titel „Wild oran­gutans main­tain sleep home­ostasis through napping, coun­ter­ba­lan­cing socio-ecolo­gical factors that inter­fere with their sleep“ wurde von Forschenden des Max-Planck-Insti­tuts für Verhal­tens­bio­logie, der Univer­sität Konstanz und der Univer­sitas Nasional in Indo­ne­sien gemeinsam durch­ge­führt. Über einen Zeit­raum von 14 Jahren sammelte das inter­na­tio­nale Team Daten von 53 Orang-Utans. Dazu beob­ach­teten sie wild­le­bende erwach­sene Tiere in der Suaq Balim­bing Moni­to­ring Station auf der Insel Sumatra und zeich­neten insge­samt 455 Beob­ach­tungs­tage und ‑nächte auf.

Orang-Utan-Nest im Regenwald
Kunst­volles Gebilde im Baum­wipfel: Orang-Utan in seinem Schlafnest

Die Beob­ach­tung des Schlafes stellte die Forschenden vor eine logis­ti­sche Heraus­for­de­rung, denn Orang-Utans schlafen hoch oben in den Baum­wip­feln des Regen­waldes, also weit entfernt vom mensch­li­chen Auge. Würde es sich um Vögel handeln, könnte man eine unauf­fäl­lige Kamera ober­halb des Nestes instal­lieren. Bei Orang-Utans ist es jedoch so, dass sie sich im Laufe des Tages auf Futter­suche durch den Regen­wald bewegen und sich Nacht für Nacht – und wie die Forschenden heraus­fanden: auch für jedes Tages­schläf­chen – einen neuen, sicheren Ort suchen. Dort bauen sie sich dann in etwa zehn Minuten, tags­über in noch kürzerer Zeit, ein Schlafnest.

Schlaf ist im Labor gut unter­sucht, die freie Wild­bahn ermög­licht neue Erkenntnisse

Die dem Schlaf unter­lie­genden Prozesse und die Vorteile des Schlafs sind im Labor gut unter­sucht. Die Forschenden betonen in ihrer Arbeit jedoch, dass es unab­dingbar sei, Schlaf auch in freier Wild­bahn unter den natür­li­chen sozialen und ökolo­gi­schen Bedin­gungen zu erfor­schen. Nur so sei es möglich, unser Verständnis der evolu­tio­nären Ursprünge und der Funk­tionen des Schlafs zu erwei­tern und Fragen zu klären wie: Warum verbringen Orang-Utans einen so großen Teil ihres Lebens in diesem verletz­li­chen, unbe­wussten Zustand? Welche Kompro­misse müssen sie eingehen, welche Abwä­gungen zwischen Schlaf­be­dürfnis, sozialen, ökolo­gi­schen und anderen Anfor­de­rungen treffen? Erste Hinweise auf diese Frage­stel­lungen hat die vorlie­gende Studie ergeben, doch es sind noch weitere, vertie­fende Studien nötig. „Wir müssen die Schlaf­for­schung aus den Labors in die Natur bringen“, betont Crofoot.

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Mehr Infor­ma­tionen

Um die Beob­ach­tung in freier Wild­bahn zu ermög­li­chen, legten die Forschenden des Insti­tuts für Verhal­tens­bio­logie daher Geräu­sche als Indi­kator für die Schlaf- und Wach­phasen fest. Wenn sich ein Orang-Utan aus seinem Schlaf­nest bewegt, ist das weithin hör- und sichtbar durch lautes Rascheln und Bewe­gungen in der Baum­krone. War der Orang-Utan hingegen ins Nest geklet­tert und es kehrte Ruhe ein, werteten die Forschenden dies als Schlaf­zeit.
So fanden sie heraus, dass Orang-Utans im Durch­schnitt fast 13 Stunden pro Nacht schlafen. Und dass es Faktoren gibt, die den Nacht­schlaf beein­träch­tigen und verkürzen: Dazu gehörten kältere Nacht­tem­pe­ra­turen, die abend­liche Anwe­sen­heit anderer Orang-Utans sowie das Zurück­legen weiter Distanzen am Vortag.

Benei­dens­wert: Orang-Utans schlafen durch­schnitt­lich 13 Stunden pro Nacht

„Wir fanden es sehr inter­es­sant, dass allein die Anwe­sen­heit von anderen Orang-Utans beim Bau eines Nacht­nests mit kürzeren Schlaf­zeiten verbunden war“, sagt Dr. Alison Ashbury, Erst­au­torin der Studie und Evolu­ti­ons­bio­login am Max-Planck-Institut und an der Univer­sität Konstanz. “Es ist etwa so wie wenn Sie lange aufbleiben, wenn Sie Freunde zu Besuch haben, oder Ihr Mitbe­wohner morgens so laut schnarcht, dass Sie früher als sonst aufstehen. Sie scheinen der Gesel­lig­keit den Vorrang vor dem Schlafen zu geben, oder ihr Schlaf wird durch die Anwe­sen­heit von anderen gestört — oder gar beides zusammen.”

Power­naps kompen­sieren Schlaf­mangel in der Nacht

Um zu verstehen, wie sich Orang-Utans von verlo­renem Nacht­schlaf erholen, beob­ach­teten die Forschenden auch das Schlaf­ver­halten am Tag. Dabei fanden sie einen eindeu­tigen Kompen­sa­ti­ons­ef­fekt: Je mehr Schlaf in der Nacht verpasst wurde, desto länger das Nicker­chen am Tag. Pro Stunde verpasstem Nacht­schlaf verlän­gerte sich der Powernap am Tag um fünf bis zehn Minuten.
An rund 41 Prozent der beob­ach­teten Tage hielten die Orang-Utans mindes­tens ein Nicker­chen. Die durch­schnitt­liche Dauer dieser Nicker­chen betrug 76 Minuten. Die Nicker­chen­stra­tegie wird mögli­cher­weise durch ihre halb­so­li­täre Lebens­weise ermög­licht: Während in Gruppen lebende Primaten sich ständig mit ihren Artge­nossen abstimmen müssen, können Orang-Utans freier entscheiden, wann und wo sie schlafen wollen.

Orang-Utan Baimah schläft an einem Baum
Auch Orang-Utan-Kinder werden manchmal ganz plötz­lich von Müdig­keit überrascht

Inter­es­sante Neben­be­ob­ach­tung: Auch für das Nicker­chen am Tag bauen sich Orang-Utans stets ein neues Schlaf­nest. Diese sind jedoch einfa­cher und schneller gebaut – nämlich in nur etwa zwei Minuten – als die Nacht­nester. Sie bieten weniger Komfort, sind weniger raffi­niert, aber bieten eben­falls einen sicheren und stabilen Ort für ein entspanntes Schläfchen.

Die Forschenden glauben, dass ihre Erkennt­nisse mit der Kogni­tion der Orang-Utans in Zusam­men­hang stehen könnte. Die für die Studie beob­ach­tete Suaq-Popu­la­tion von Orant-Utans auf Sumatra ist für ihren Werk­zeug­ge­brauch und ihre kultu­relle Komple­xität bekannt. „Von allen unter­suchten Orang-Utan-Popu­la­tionen weisen die Suaq-Orang-Utans wohl das brei­teste Spek­trum an kognitiv anspruchs­vollen Verhal­tens­weisen auf“, sagt Caro­line Schuppli, die die Forschung an der Suaq Forschungs­sta­tion leitet.

Zusam­men­hang zwischen Kogni­tion der Orang-Utans und höherem Schlafbedürfnis

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Mehr Infor­ma­tionen

Nun gibt es zwei mögliche Inter­pre­ta­tionen dafür: Entweder brau­chen Orang-Utans die Nicker­chen am Tag, um ihren kogni­tiven Anfor­de­rungen gerecht zu werden. Oder aber die ausge­prägten kogni­tiven Fähig­keiten konnten sich über­haupt erst dadurch entwi­ckeln, dass die Orang-Utans sich tags­über regel­mäßig eine Auszeit gönnen und einen Powernap machen.
Es sind span­nende Erkennt­nisse, die wieder einmal aufzeigen, wie ähnlich Orang-Utans uns Menschen sind. Und wie wichtig es ist, diese faszi­nie­rende Spezies weiter zu erfor­schen. Nicht zuletzt weil wir das, was wir gut kennen, noch besser schützen können.

Quelle: “Wild oran­gutans main­tain sleep home­ostasis through napping, coun­ter­ba­lan­cing socio-ecolo­gical factors that inter­fere with their sleep” , Ashbury, Alison M. et al.