Auf benachbarten Inseln haben zwei Orang-Utans, die zu unseren nicht-auswilderbaren Schützlingen gehören, eine ungewöhnliche Beziehung zueinander entwickelt. Eine lange Zeit konnten sich Jeffrey und Lesley nur über das Wasser hinweg sehen. Doch dann wird eine neue Insel bezugsfertig und die beiden dürfen gemeinsam umziehen. Was dann geschieht, ist auch für die BOS-Pfleger etwas Besonderes.
Lesley ist ein Orang-Utan-Weibchen, das wir im Januar 2012 in unserem Rettungszentrum in Samboja Lestari aufgenommen haben. Damals war sie etwa zwei oder drei Jahre alt. Leider konnte sie in der Waldschule nicht die Fähigkeiten entwickeln, die sie für ein selbstständiges Leben im Regenwald benötigt. Aber auf den dicht bewachsenen Inseln von Samboja Lestari kann sie ein freies und nahezu wildes Leben führen, wenn auch in einem begrenzteren Revier als in freier Wildbahn. Dafür mit der Fürsorge der BOS-Pfleger.

Eine ganze Zeit lang lebte Lesley auf Insel Nummer 3, die sie zuletzt mit dem Weibchen Aludora und dem dominanten Männchen Rambo teilte. Die Insel-WG war allerdings keine ideale Besetzung: Die beiden Weibchen hielten stets Abstand zu Rambo und während der Fütterungszeit versuchte Aludora Lesley aus dem Weg zu gehen. Denn Lesley hat zwar immer großen Hunger, mag aber kein Gemüse – Obst dafür umso lieber und das schnappte sie dann gerne Aludora weg.
Lesley darf auf Insel Nummer 0 umziehen – und damit verändert sich alles
Im Februar 2025 wurde die WG schließlich aufgelöst. Aludora und Rambo mussten für eine medizinische Routineuntersuchung in die Klinik des Rettungszentrums gebracht werden. Bei dieser Gelegenheit durfte Lesley dann auf Insel Nummer 0 umziehen. Und damit veränderte sich alles.

In Sichtweite von Insel Nummer 0 liegt Nummer 12A, auf der der 27-jährige Jeffrey lebt: ein prächtiges Männchen mit Backenwülsten und dichtem, langem Haar. Auf den ersten Blick würde man nicht vermuten, dass Jeffrey zu unseren Sorgenkindern gehört. Er wurde 1998 im BOS-Schutzzentrum Wanariset – dem Vorgänger von Samboja Lestari – geboren und hatte sich bei seiner Mutter mit Hepatitis B infiziert. Gemeinsam mit ihr musste er viele Jahre in einem Quarantänekomplex leben. So hatte Jeffrey leider nie die Gelegenheit, wichtige Überlebensfähigkeiten zu erlernen.
Jahre später stellte sich dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse heraus, dass Jeffreys Hepatitis B zur harmlosen Variante des Virus gehört. Im Jahr 2019 wurde bei ihm außerdem eine Hüftdysplasie festgestellt. Diese konnte jedoch mithilfe eines erfahrenen „Menschen-Orthopäden“ operiert werden und verheilte gut.
Ein chronisch kranker Orang-Utan findet neuen Lebensmut
Heute geht es Jeffrey den Umständen entsprechend gut. Wir werden ihn zwar nie auswildern können, doch auf den Inseln von Samboja Lestari kann er ein artgerechtes Leben führen. Ein Lieblingsort von Jeffrey ist der Strand von Insel Nummer 12 A. Und dort entdeckte er Lesley, nachdem sie auf die Nachbarinsel umgezogen war. Und auch Lesley wurde auf Jeffrey aufmerksam – und suchte daraufhin immer wieder den Strand ihrer Insel auf.


Obwohl zwischen beiden Inseln ein breiter Streifen Wasser liegt, haben die Lebenswelten der beiden Orang-Utans sich angenähert.
In den stillen Stunden des Tages konnte man sie oft an den äußersten Rändern ihrer Inseln sehen, einander aus der Ferne zugewandt. Und wenn die Fütterungszeit kam, standen sie beide gut sichtbar da – als wollten sie sicherstellen, dass der andere noch da war. Es war ein stilles Ritual, eine kleine Verbindung, die den Pflegern nicht entging.
Lesley und Jeffrey: Gegensätze ziehen sich an
Als Insel 1–2 bereit war für neue Bewohner, entschied das Team, dass es für die beiden Zeit für eine Veränderung war. Am 2. Juni 2025 durfte zunächst Lesley in ihr neues Zuhause umziehen; Jeffrey folgte eine Woche später, am 10. Juni.

Die Insel ist groß und in ihrem Inneren mit dichtem Wald bewachsen. Sie bietet ihren Bewohnern viele Rückzugsmöglichkeiten. Doch Lesley und Jeffrey entschieden sich für die Gesellschaft des jeweils anderen. Es fühlte sich wie ein stilles Wiedersehen an.
Nun muss man wissen, dass Lesley und Jeffrey sich in ihrem Wesen deutlich unterscheiden. Das ist bei Orang-Utans wie bei uns Menschen: Es gibt ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Während Lesley ein eher abenteuerlustiger Orang-Utan ist, braucht Jeffrey viel Ruhe.
Und so trieb Lesleys Neugierde sie nach einiger Zeit fort von Jeffrey. Sie wollte offenkundig die Insel erkunden, streifte fast durch jede Ecke ihres neuen Zuhauses. Aktuell beobachten die Pfleger sie häufig auf der gegenüberliegenden Seite der Insel, wo der Ausblick ein anderer ist, Insel 12B im Sichtfeld.
Zwei nicht-auswilderbare Orang-Utans finden Frieden auf der Insel
Zur Fütterungszeit jedoch kommt sie oft zu Jeffrey zurück. Gemeinsam fressen sie eine Weile, Lesley knabberte zufrieden an der Seite ihres Gefährten, bevor sie wieder zu ihrem neuen Lieblingsplatz zurückkehrte.

Und Jeffrey? Ist zufrieden damit, auf einer Seite der Insel zu bleiben. Oft liegt er entspannt auf seiner Lieblingsplattform und beobachtet die Welt.
In vielerlei Hinsicht sind Jeffrey und Lesley Gegensätze – der eine ruhig und beständig, die andere neugierig und rastlos. Doch genau diese Unterschiede scheinen ihnen gutzutun. Sie brauchen keine ständige Nähe, um ihre Bindung zu teilen. Auf ihre ganz eigene, stille Weise haben Jeffrey und Lesley Frieden gefunden auf Insel 1–2. Zwei Leben, einst getrennt durch Wasser, die nun denselben Boden teilen, unter demselben Himmel.
Etwa 170 Orang-Utans in unseren beiden Rettungszentren sind nicht auswilderbar. Mit Ihrer Spende helfen Sie uns, auch diesen Tieren ein würdiges Leben zu ermöglichen.
