Manchmal braucht es mehr als einen Anlauf, um einem Orang-Utan die Freiheit schenken zu können. Von den sechs Auswilderungskandidaten, denen wir jetzt in unserem Auswilderungswald Kehje Sewen die Freiheit schenken, gehen drei den großen Schritt bereits zum zweiten Mal. Zwei weitere haben eine sehr lange Zeit der Rehabilitation hinter sich. Für uns ist klar: Wir helfen jedem Orang-Utan, solange er uns braucht!
Als Mori 2019 zum ersten Mal ausgewildert wurde, war sie zehn Jahre alt und nach sieben Jahren Waldschule und Walduniversität im BOS-Rettungszentrum Samboja Lestari (Ost-Kalimantan) bestens vorbereitet auf das Leben in Freiheit. Und sie war kerngesund – das stellen umfangreiche medizinische Untersuchungen der Kandidaten vor jeder Auswilderung sicher. Trotzdem hat Mori das erste Jahr ihrer neuen Freiheit im geschützten Wald Kehje Sewen nur mit viel Glück überlebt.
Mori infiziert sich mit einem gefährlichen Krankheitserreger
Es ist nur unserem aufmerksamen Post-Release Monitoring (PRM) Team zu verdanken — das die „neuen Wilden“ während der ersten Monate nach der Auswilderung intensiv begleitet — dass Moris Leben gerettet werden konnte. Denn etwa ein Jahr nach Moris Auswilderung fiel den BOS-Rangern auf, dass es Mori nicht gut ging und sich ihr Zustand zusehends verschlechterte. Das Team verlor keine Zeit und traf die Entscheidung, das Orang-Utan-Weibchen wieder einzufangen und zurück ins Rettungszentrum Samboja Lestari zu bringen. In unserer Tierklinik durchgeführte Tests ergaben, dass Mori sich mit Melioidose infiziert hatte, einem Bakterium, das eine schwere und sogar tödliche verlaufende Erkrankung auslösen kann.

Es grenzt also an ein kleines Wunder, dass die 16 Jahre alte Mori nun zum zweiten Mal die Reise nach Kehje Sewen antreten kann. Unserem Ärzteteam ist es gelungen, die Orang-Utan-Dame wieder vollständig gesund zu pflegen und sie gründlich aufzupäppeln. Von der Krankheit ist keine Spur zurückgeblieben. Jetzt ist die Zeit gekommen, es noch einmal zu versuchen mit dem wilden Leben. Der Regenwald erwartet Dich, Mori!
Auch Uli und Siti wurden zwei Mal gerettet und ausgewildert
Mori ist nicht die einzige, die jetzt einen zweiten Anlauf in ein freies Leben unternimmt. Uli wurde bereits 1999 zum ersten Mal ausgewildert. Der damals noch junge Orang-Utan schien sich bestens an seinen neuen Lebensraum gewöhnt zu haben. Denn er tauchte ab in den Gunung Beratus Wald und ward nicht mehr gesehen bis… ja, bis er 2021 auf die Idee kam, in ein Dorf zu spazieren und sich von Menschen mit Bananen, Jackfruit und sogar Dosenmilch füttern zu lassen. Uli hatte sich in den mehr als 20 Jahren in Freiheit zu einem Prachtexemplar von einem Orang-Utan-Männchen entwickelt: Mit langem Haar und imposanten Backenwülsten. Und so wurde der friedfertige Primat auf Dorfbesuch zum Social Media-Star.
Seine zweifelhafte Berühmtheit löste direkt eine Rettungsaktion aus, die das Männchen glücklicherweise unverletzt ins BOS-Rettungszentrum Samboja Lestari brachte. Eine detektivische Recherche offenbarte schließlich Ulis Identität.

Im Rettungszentrum konnten wir Uli von 69 auf 80 Kilogramm aufpäppeln und ihm ein bisschen Erholung gönnen. Jetzt bekommt er eine zweite Chance. Diesmal wird allerdings der Kehje Sewen Wald seine neue, wilde Heimat – fernab von menschlicher Zivilisation.
Mensch-Tier-Konflikte entstehen durch knappen Lebensraum
Auch für Siti wird der geschützte Kehje Sewen ein sichereres Zuhause werden als es der Sungai Wain Wald sein konnte, in den sie bereits 1997 ausgewildert wurde. Zwar war es auch Siti nach ihrer Auswilderung gelungen, viele Jahre unbehelligt ihre Freiheit zu genießen. Doch der Lebensraum der letzten Orang-Utans auf Borneo schrumpft immer weiter. Und so ist es fast nur eine Frage der Zeit, bis Mensch und Tier sich begegnen. Leider geht diese Begegnung für die Tiere oftmals nicht gut aus. Jedes einzelne Orang-Utan-Waisenkind, das wir in unseren Rettungszentren aufnehmen, ist ein weiterer, trauriger Beweis dafür.
Siti hatte Glück. Als sie sich in der Region Balikpapan Waldarbeitern näherte und diese um Futter anbettelte, verjagten die Männer sie nicht oder verletzten sie gar. Stattdessen gaben sie ihr Reis und Instantnudeln und informierten die Naturschutzbehörde BKSDA, welche wiederum BOS zur Hilfe rief.
Nach 25 Jahren in Freiheit kehrte Siti dann in unser Rettungszentrum Samboja Lestari zurück. Es war ein Wiedersehen mit gemischten Gefühlen. Denn einerseits ist es ein großes Glück zu sehen, dass es einem einst geretteten Tier gut ergangen ist. Andererseits wünschen wir uns, dass sie die wiedererlangte Freiheit nie wieder einbüßen müssen, sondern das Leben im Regenwald von Borneo leben dürfen, für das sie geboren wurden.
Siti musste in unserem Rettungszentrum aufgrund ihres Kontaktes mit Menschen eine mehrmonatige Quarantäne durchlaufen und wurde gründlich von unseren Ärzten untersucht. Nach einiger Zeit im Sozialisierungsgehege ist es jetzt soweit: Die inzwischen 35-jährige Orang-Utan-Dame darf ihr neues Zuhause im Kehje Sewen beziehen.
Ist Siti die Veteranin unseres Rettungszentrums?
Man könnte es meinen – aber Bugis und Sie-Sie sind sogar noch länger bei uns! Manchmal braucht gut Ding eben seine Weile.


Bugis kam im Juli 2003 in unser Rettungszentrum, als er bereits zehn oder elf Jahre alt war. Sie-Sie ist sogar schon seit August 1996 in Samboja Lestari: Er war zum Zeitpunkt seiner Rettung erst ein, höchstens zwei Jahre alt und hatte einen so zarten Körperbau, dass er auf den ersten Blick für ein weibliches Baby gehalten wurde. Beide haben sich zu starken und unabhängigen Orang-Utan-Männern entwickelt, die alle Fähigkeiten besitzen, welche sie für ihr Leben im Regenwald brauchen. Und sie sind so beeindruckende Orang-Utans geworden, dass wir uns sicher sind: Sie können die Väter vieler Babys werden!
Die letzte in dieser besonderen Reisegruppe, die sich im April 2025 in den Kehje Sewen Wald aufgemacht hat, ist Mikhayla. Auch sie ist den Menschen zu nahegekommen, hatte sich auf das Gelände einer Kohlemine verirrt. Und auch sie hatte großes Glück: Die Arbeiter riefen die Naturschutzbehörde zur Hilfe, die Mikhayla im Januar 2025 nach Samboja Lestari brachten. Die Zehnjährige zeigte deutliche Zeichen von Stress, als sie in unserem Rettungszentrum ankam, und war unterernährt. Weil sie mit Menschen in Kontakt gekommen war, musste sie direkt in Quarantäne. Während dieser Zeit wurde sie vom BOS-Team medizinisch versorgt und aufgepäppelt. Und nun, nach knapp vier Monaten, kann Mikhayla bereits wieder in die Freiheit entlassen werden. Manchmal kann es eben auch ganz schnell gehen.

Wir wünschen Mori, Uli und Siti, Bugis, Sie-Sie und Mikhayla, dass sie sich gut am Ziel ihrer langen Reise einleben! Unser aufmerksames PRM-Team wird ein genaues Auge darauf haben, wie es den sechs „neuen Wilden“ in ihrer neuen Heimat ergeht.
Möchten auch Sie Orang-Utans helfen, das Leben zu führen, für das sie geboren wurden? Jede Spende hilft!