Am 10. November 2024 war für sechs Orang-Utans der große Tag gekommen, an dem wir ihnen nach Jahren der Rehabilitation die Freiheit im geschützten Regenwald schenken konnten. Die Weibchen Jengyos (9), Meryl (10) und Runtu (23) und die Männchen Blegi (12), Happy (16) und Bejo (17) leben jetzt im Nationalpark Bukit Baka Bukit Raya endlich das wilde Leben, für das sie bestimmt sind. Besonders glücklich macht uns die Auswilderung von Runtu, die wir vor 18 Jahren aus einem thailändischen Vergnügungspark retten konnten.
Los ging das Abenteuer Freiheit im BOS-Rettungszentrum Nyaru Menteng, wo wir die sechs Primaten in den vergangenen Jahren auf ihr selbstständiges Leben in der Wildnis intensiv vorbereitet hatten. Nach letzten medizinischen Checks durch unsere Veterinäre, bezogen die „Neuen Wilden“ ihre Transportboxen. Dann setzte sich der Konvoi aus Geländewagen mit seiner wertvollen Fracht in Bewegung. Das Ziel: Der Nationalpark Bukit Baka Bukit Raya in Zentral-Kalimantan.
Damit die Tiere die anstrengende Reise wohlbehalten überstehen, legte unser Team alle zwei Stunden eine Pause ein. Dabei checkten sie den Gesundheitszustand der Orang-Utans, versorgten sie mit frischem Wasser und nahrhaften Früchten. Denn schließlich sollten die sechs Waldmenschen möglichst stressfrei reisen und voller Energie in ihr neues Leben starten.
Flussfahrt zum Ort der Auswilderung
Mitten in der Nacht – um 2:30 Uhr – erreichte der Konvoi die Fährstation im Dorf Tumbang Hiran. Hier legte das Team eine kurze Pause ein, ehe die Reise auf dem Fluss fortgesetzt wurde. Um 6:00 Uhr verlud das Team die Transportkäfige auf Klotoks (motorisierte Boote), auf denen sie – gut gesichert mit überdimensionalen „Schwimmwesten“ – über den Hiran-Fluss den Auswilderungspunkten entgegen schipperten.
Auch während der sechsstündigen Flussfahrt behielt das Team die Orang-Utans natürlich stets im Blick und versorgte sie immer wieder mit Wasser und Leckereien. Mit wachsendem Interesse, jedoch ruhig und gelassen, beobachteten die sechs Waldmenschen den vorüberziehenden Regenwald aus ihren Transportboxen heraus, während sie der Freiheit immer näherkamen.
Klappe auf, Affen raus
Schließlich war der große Moment gekommen! Jengyos und Bejo waren die ersten – nicht nur bei dieser Auswilderung, sondern in diesem Jahr – die in ihr freies Leben starten durften. Beide Orang-Utans begannen direkt neugierig den Wald zu erkunden. Wie ausgelassene Kinder, die nach einem langen Schultag endlich draußen toben dürfen, spielten und rangen sie am Boden. Schließlich begaben sie sich erfolgreich auf die Suche nach ihrem ersten richtigen Dschungelmahl. Und als der Regen einsetzte, bauten sie sich unter dem schützenden Laubdach der Baumwipfel ihre Schlafnester.
Als nächste waren Meryl und Blegi an der Reihe. Die beiden starteten etwas ruhiger in ihr neues Leben. Doch nach anfänglicher Zurückhaltung begannen sie umso intensiver die neue Freiheit zu feiern. Wobei Blegi zunächst vor allem Augen für Meryl hatte. Unsere ehemalige Musterschülerin Meryl hingegen fokussierte sich, nach einem Intermezzo mit Blegi, schnell wieder voll und ganz auf ihre neue Heimat, bewegte sich entspannt durch die Bäume und genoss junge Blätter. Ihre Schlafnester bauten die beiden später etwa 150 Meter vom Fluss entfernt.
Love is in the air: Wurde hier ein Orang-Utan-Baby gezeugt?
Runtu und Happy waren die letzten, deren Transportboxen geöffnet wurden. Happy zeigte sofort ein aktives Verhalten, schloss sich Runtu an, und die beiden kopulierten. Später konnte unser Team die beiden dabei beobachten, wie sie Harz von Baumstämmen kauten – ein Zeichen ihrer natürlichen Anpassungsfähigkeiten. Im Laufe des Tages stieß Runtu mehrere Grunzlaute aus, um ihre Anwesenheit in der neuen Umgebung zu markieren. Beide Orang-Utans genossen ihre neu gewonnene Freiheit und zeigten ihre Fähigkeiten, sich im Wald zurechtzufinden, die sie bei BOS in der Waldschule und auf den Vorauswilderungsinseln gelernt hatten.
Aus dem Vergnügungspark in den Regenwald
Für die 23-jährige Runtu freut uns die Auswilderung ganz besonders. Sie wurde als Baby Opfer des illegalen Wildtierhandels und von Borneo in einen thailändischen Vergnügungspark verschleppt. Runtus Kindheit war Qual, Dressur und Shows, statt ins Fell ihrer Mutter gekuschelt die Baumwipfel des Regenwaldes von Borneo zu durchstreifen.
Gemeinsam mit 47 weiteren Orang-Utans wurde sie aus diesem unwürdigen Leben befreit. Denn glücklicherweise konnte nachgewiesen werden, dass die Primaten von der Insel Borneo stammten. Trotzdem zog sich der diplomatische Marathon über drei Jahre hin, ehe Runtu und ihre Artgenossen von BOS und dem WFFT in Zusammenarbeit mit der indonesischen Regierung zurück in ihre Heimat gebracht werden konnten. Am 22. November 2006 landeten die 48 Tiere in einer Militärmaschine der indonesischen Navy in Jakarta.
Zu diesem Zeitpunkt war Runtu bereits fünfeinhalb Jahre alt. Sie war traumatisiert, ihr Sozialverhalten vermenschlicht. Das BOS-Team in Nyaru Menteng hatte große Zweifel, ob sie die Rehabilitation schaffen kann. Aber Runtu gelang das Unglaubliche: Obwohl sie deutlich älter war als ihre Mitschüler in der Waldschule und auch länger brauchte, um alle Lektionen zu lernen, kämpfte sie sich zurück in das Leben, für das sie einst geboren wurde. Jetzt, fast genau 18 Jahre nach ihrer Rückkehr aus Thailand, darf sie endlich in Freiheit leben. Vielleicht wird sie dort bald selbst Mutter. Dann jedoch tief im geschützten Regenwald des Nationalparks, fern von uns Menschen. So wie es sein sollte.
Unsere Ranger haben die Orang-Utans weiterhin im Blick
Jetzt leben sich Runtu, Meryl, Blegi, Jengyos, Happy und Bejo erstmal in ihrem neuen Zuhause ein – immer im Blick unserer Post-Release-Monitoring-Teams. Gerade in den ersten Wochen folgen sie den neuen Regenwaldbewohnern auf Schritt und Tritt, um sicherzugehen, dass sie sich gut einleben und gesundheitlich fit bleiben. Wir drücken den sechs Orang-Utans die Daumen und freuen uns über weitere Neuigkeiten aus dem Regenwald.