Man stelle sich vor, man ist ohne jegliche Sprachkenntnisse in einem fremden Land. Wie können wir uns vor Ort orientieren? Natürlich nur mittels Beobachtung und Nachahmung der „Einheimischen“. Nicht viel anders machen es männliche Orang-Utans in ihnen fremden Gebieten.
Dank einer Langzeitstudie des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) und Verhaltensbiologie (MPI-AB) und der Universität Leipzig (UL) wissen wir jetzt, warum selbst der größte Orang-Utan-Einzelgänger auf soziale Mindestkontakte angewiesen ist. Wie Touristen auf fremdem Boden müssen sie genau beobachten, wie es vor Ort abläuft.
Es liegt an der Nahrung
Dabei stellten die Forscherinnen und Forscher in der 18 Jahre dauernden Studie an wilden Orang-Utans fest, dass die Antwort auf die Frage, welche Kräfte die soziale Übertragung vorantreiben, in dem ökologischen Habitat und der entsprechenden Nahrungsverfügbarkeit eines Tieres zu finden ist. Sie untersuchten, wie männliche Orang-Utans von anderen lernen und fanden heraus, dass Individuen, die in Lebensräumen mit reichlich Nahrung aufwuchsen, eine höhere Neigung zum sozialen Lernen hatten.
Männliche Orang-Utans, die in Habitaten mit reichlich Nahrung aufwuchsen, neigten dazu, mehr Zeit im engen Kontakt mit anderen zu verbringen und häufiger soziales Lernen zu praktizieren. Dies deutet darauf hin, dass die ökologische Ressourcenverfügbarkeit eines Habitats das soziale Lernen eines Tieres modulieren kann.
Unterschiede zwischen Sumatra- und Borneo-Orang-Utans
Die Studie verglich männliche Migranten aus Sumatra und Borneo und stellte fest, dass Sumatra-Orang-Utans, die in Habitaten mit hohem Nahrungsangebot leben, eine höhere Neigung zum sozialen Lernen hatten als ihre Artgenossen aus Borneo. Dieser Unterschied blieb bestehen, auch nachdem die Auswirkungen der unterschiedlichen Nahrungsverfügbarkeiten berücksichtigt wurden.
Die Studie zeigt, dass die ökologische Nahrungsverfügbarkeit die Möglichkeiten des sozialen Lernens beeinflusst und damit die Wahrscheinlichkeit, dass neue Verhaltensweisen kulturell werden. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die ökologische Ressourcenverfügbarkeit einen tiefen evolutionären Ursprung hat und sich auf die Neigung zum sozialen Lernen innerhalb der Abstammungslinie der Hominiden auswirken kann.
Quelle:
Orangutan males make increased use of social learning opportunities, when resource availability is high | Julia Mörchen et al. | iScience