Spätherbst und Winter sind für uns regelmäßig die Jahreszeiten, die uns Sorge bereiten. Denn es ist die Zeit der Waldbrände – vor allem in El Niño-Jahren – oder die Zeit heftiger Regenfälle – falls Borneo eher unter dem Einfluss von La Niña steht. Mit fortschreitendem Klimawandel treffen uns solche Wetterphänomene deutlich heftiger und häufiger. Und die Zerstörung der Ökosysteme, der Regenwälder, Torfmoore und in deren Folge auftretende Bodenerosionen tun ihr übriges.
In den zurückliegenden Tagen wurden drei von fünf Provinzen in Kalimantan von schweren Überschwemmungen heimgesucht. Allein in Zentral-Kalimantan sind seit vergangener Woche sechs Bezirke – darunter die Provinzhauptstadt Palangka Raya – von Hochwassern in Mitleidenschaft gezogen worden. Betroffen sind Tausende von Menschen. Und unsere Arbeit für die Orang-Utans.
Unsere Inselgruppe Salat Island – auf der Orang-Utans die Rehabilitationsphase der Vorauswilderung durchlaufen und Orang-Utans leben, die nicht mehr ausgewildert werden können – war ebenfalls stark von Überflutungen betroffen. An manchen Stellen stand das Wasser rund 1,5 Meter über Normal. Die Inseln im Bezirk Pulang Pisau sind von einem großen Fluss umgeben, der große Teile des 2.089 Hektar großen Inselgebiets unter Wasser setzte.
Rund um die Uhr sind unsere Mitarbeiter seither im Einsatz, um für die Sicherheit der Orang-Utans auf den Inseln zu sorgen.
Unser Kollege Hermansyah vom Kommunikationsteam der BOS Foundation berichtet: „Unsere Mitarbeiter sind seit Beginn der Hochwassersituation vor Ort, um mit den steigenden Pegeln und ständig sich verändernden Umständen fertig zu werden. Wir sind alle im Einsatz.“ Glücklicherweise hat bisher keine der Insel-Anlagen strukturelle Schäden erlitten. Das genaue Ausmaß möglicher Schäden können wir allerdings erst dann überblicken, wenn das Wasser abgeflossen ist. Doch der Wasserstand beginnt gerade erst zu sinken.
Bislang scheinen die Überschwemmungen den felltragenden Inselbewohnern keine Probleme zu bereiten, aber unsere Teams behalten die Lage der Orang-Utans permanent im Auge. „Wir sind erleichtert, dass die Versorgung der Tiere mit Futter weiterhin problemlos möglich ist, da unsere Plattformen nicht von den Überflutungen betroffen sind”, fügte Hermansyah hinzu.
Auch unser Rettungszentrum Nyaru Menteng, das außerhalb der Hauptstadt Palangka Raya liegt, ist von leichten Hochwassern betroffen. In mehrere Unterkünfte von Mitarbeiter:innen rund um Nyaru Menteng drang Wasser ein.
In unserem Schutzgebiet Mawas, in dem wir zahlreiche Projekte zur Wiederaufforstung, Gemeindeentwicklung und zum Schutz der dort wild lebenden Orang-Utans durchführen, kam es auch zu Hochwassern. Selbst die Fahrt zu unseren Projektgebieten ist eine Herausforderung. Straßen können größtenteils nur noch mit dem Boot befahren werden, da Autos den Wassermassen oft nicht mehr standhalten können.
In dem 309.000 Hektar großen Torfmoorgebiet schwanken die Wasserstände. Aber an mehreren unserer Überwachungsstationen, von Rantau Upak bis Camp Release, steht das Wasser nur wenige Zentimeter vor der Überflutung der Böden. In vielen der Dörfer, darunter Tumbang Muroi, Tumbang Mangkutub, Batampang, Batilap, Mangkatip und Sungai Jaya kämpfen die Bewohner, um ihre Häuser vor dem eindringenden Wasser zu schützen. Unsere Gemeindeentwicklungsteams unterstützen sie tatkräftig beim Hochwassermanagement – alle geplanten Aktivitäten können warten.
Schnelles Handeln war die Rettung unserer Setzlinge in den Baumschulen, die unsere Mitarbeiter:innen alle in höher gelegene Gebiete bringen konnten. So ging kein einziger verloren! Bei den Gebieten, die neu mit Setzlingen bepflanzt worden waren, hatten wir das Glück, dass sie sich alle in höheren Lagen Gebieten befanden und keines davon vom Hochwasser betroffen war.
Langfristig gehen wir davon aus, solch verheerenden Überschwemmungen in Mawas vorbeugen zu können, indem wir das trockengelegte Torfmoor durch unsere Wiedervernässungs- und Aufforstungsarbeit wieder in seinen natürlichen Zustand zurückversetzen. Dann ist der Torfboden in der Lage, wie ein Schwamm deutlich mehr Wasser aufzusaugen, wobei die Bäume dem Boden weitere Festigkeit verleihen und zusätzliches Wasser aufnehmen können. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zerstört ist schnell, reparieren ist schwieriger.
Aus unseren Projektgebieten in Ost-Kalimantan wurden bisher glücklicherweise keine Schäden oder Bodenerosionen gemeldet.
In Zentral-Kalimantan haben wir aktuell Grund zur Hoffnung, denn das Wasser beginnt an vielen Orten zurückzugehen. Doch noch sind unsere Mitarbeiter voll im Einsatz. Und die Wetterbedingungen während der Regenzeit können unvorhersehbar sein.
Wir stellen fest, dass extreme Wetterereignisse immer häufiger auftreten. Die Auswirkungen des Klimawandels sind deutlich zu spüren.
Wir werden weiterhin wachsam sein, um die Orang-Utans zu schützen und die Menschen in den Gemeinden zu unterstützen. Denn wir leben alle gemeinsam auf diesem Planeten und es ist unserer gemeinsame Zukunft.
Unabhängig der peinlichen Verhandlungsergebnissen der „Staatengemeinschaft“ in Glasgow, findet in deren Schatten ein weiterer Skandal statt. In diesem Falle im grünen Mantel.
Große Klima- und Landverschmutzer wie Shell und Nestlé hausieren aktuell mit einer relativ neuen Betrugsmasche – den sogenannten „Nature-based Solutions“ (NbS): Sie kommunizieren öffentlichkeitswirksam, dass sie ihre Treibhausgasemissionen auf null senken und gleichzeitig weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen, mehr vom Planeten abbauen und die industrielle Fleisch- und Milchproduktion steigern. Sie nennen dies die Reduzierung der Emissionen auf „Netto-Null“. Das Pflanzen von Bäumen, der Schutz von Wäldern und die Optimierung der industriellen Anbaumethoden, so behaupten sie, wird genug zusätzlichen Kohlenstoff in Pflanzen und im Boden speichern, um die Treibhausgasemissionen auszugleichen, die sie in die Atmosphäre pumpen.
Klimaschutz als beinhartes Geschäftsmodell
Was Konzerne und große Naturschutzunternehmen „naturbasierte Lösungen“ nennen, ist eine gefährliche Ablenkung. Ihre Marketingkonzepte sind geschmückt mit unbewiesenen Daten und der steilen Behauptung, dass bis 2030 37 Prozent der CO2-Einsparungen realistisch seien. Immer mehr Unternehmen, von Total über Microsoft bis Unilever, machen „naturbasierte Lösungen“ zum Kern ihrer Klimaaktionspläne, während die Naturschutzindustrie auf die Finanzierung von „naturbasierten Lösungen“ von Unternehmen zurückgreift, um im grünen Markt zu dominieren. Denn auch dieser ist ein beinhartes Geschäft voller Partei- bzw. Industrielobbyinteressen.
Aus Sicht der Naturschutzindustrie ist die Idee einfach: Unternehmen bezahlen sie dafür, Wälder zu umschließen oder Bäume auf Land zu pflanzen, von dem sie behaupten, dass es „degradiert“ sei und dass bei einer Wiederherstellung mehr Kohlenstoff absorbiert werden könnte.
Im Gegenzug behaupten die Konzerne, dass die Klimaschäden durch ihre anhaltenden Treibhausgasemissionen ausgeglichen werden. Oft wird ein Dokument, das als Carbon Credit (CO2-Zertifikat) bezeichnet wird, verwendet, um diese Aufrechnungsforderung zu vermarkten.
Naturbasierte Lösungen oder naturbasierte Enteignungen
Wenn Konzerne und große Naturschutzorganisationen von „Natur“ sprechen, meinen sie meist geschlossene Räume ohne Menschen. Gemeint sind Schutzgebiete, Baumplantagen und große Monokulturbetriebe. Ihre „Natur“ ist unvereinbar mit der Natur, die als Territorium verstanden wird, als Lebensraum, der untrennbar mit den Kulturen, Ernährungssystemen und Lebensgrundlagen der Gemeinschaften verbunden ist, die sich um sie kümmern und sich als intrinsische Teile davon verstehen.
„Naturbasierte Lösungen“ sind also keine Lösung, sondern ein Betrug. Die vermeintlichen Lösungen werden zu „naturbasierten Enteignungen“ führen, weil sie die verbleibenden Lebensräume von indigenen Völkern, Bauern und anderen waldabhängigen Gemeinschaften einschließen und „die Natur“ zu einem Dienstleister zwecks Ausgleiches der Umweltverschmutzungen durch Konzerne und zum Schutz von Gewinnen reduzieren werden. Der Unternehmen, die am meisten für das Klimachaos verantwortlich sind. Indigene Völker, Bauern und andere waldabhängige Gemeinschaften, deren Territorien eingeschlossen werden, werden mit mehr Gewalt, mehr Einschränkungen bei der Nutzung ihres Landes und mehr Kontrolle über ihr Territorium konfrontiert sein.
Neues Gewand für alte Taktik
„Naturbasierte Lösungen“ sind eine Wiederholung der gescheiterten REDD+-Baumpflanzungs- und Waldschutzprogramme, die dieselben Naturschutzgruppen seit 15 Jahren fördern. REDD+ hat nichts getan, um die globalen Treibhausgasemissionen zu reduzieren oder die großen Lebensmittel- und Agrarunternehmen zu beherrschen, die die Entwaldung vorantreiben. Sein bleibendes Vermächtnis ist jedoch der Verlust von Land und Wäldern für bäuerliche und waldbasierte Gemeinschaften und starke Einschränkungen bei der Nutzung ihres Landes. REDD+ hat auch eine Branche von „Nachhaltigkeits- und Sicherheitsberatern“ und Projektbefürwortern hervorgebracht, die davon profitieren, REDD+-Projekte als „nachhaltig“ zu deklarieren, trotz der Verletzungen von Rechten, die solche Projekte verursachen. Die Befürworter „naturbasierter Lösungen“ wenden nun die gleiche Taktik von Zertifizierungssystemen und Schutzmaßnahmen an, um Kritik abzuwehren und die Übernahme von Gemeinschaftsland und ‑wäldern durch die Unternehmen zu verschleiern.
Woher soll all das Land kommen?
Die Unternehmen mit „naturbasierten Lösungen“ in ihren Klimaschutzplänen wollen ihre Produktion stark umweltbelastender Produkte steigern. In der fehlerhaften Logik der „naturbasierten Lösungen“ von Unternehmen bedeutet mehr Umweltverschmutzung, dass Unternehmen mehr Land als ihre Kohlenstoffspeicher beanspruchen müssen; es wird mehr Enteignungen und weitere Beschränkungen der bäuerlichen Landwirtschaft und der gemeinschaftlichen Nutzung ihrer Territorien bedeuten. Es wird auch eine noch stärkere Kontrolle der Unternehmen über Land und Wälder bedeuten.
Der italienische Energiekonzern Eni zum Beispiel will bis 2050 noch 90 Prozent seiner Energie aus fossilen Brennstoffen gewinnen. Um diese Emissionen auszugleichen, muss er das gesamte Potenzial aller Wälder in Italien beanspruchen, um Kohlenstoff zu absorbieren – acht Millionen Hektar für Enis „Netto-Null“-Anspruch!
Laut Oxfam könnten allein die Netto-Null-Ziele von nur vier der großen Öl- und Gaskonzerne (Shell, BP, Total und Eni) eine Landfläche benötigen, die doppelt so groß ist wie die Großbritanniens. Das sind nur einige der großen Energiekonzerne. Der „Netto-Null“-Plan des weltgrößten Lebensmittelkonzerns Nestlé könnte 4,4 Millionen Hektar Land pro Jahr für den Ausgleich benötigen. Und auch die Pläne von Big-Tech-Firmen wie Microsoft und Amazon basieren auf der Anrechnung ähnlich großer Flächen.
Mehr Klimachaos und Biodiversitätsverlust
Konzerne und die großen Naturschutz-NGOs bieten diese „grünen“ Unternehmenslösungen nicht nur in den Klimagesprächen an; sie drängen die Idee auch in Regierungssitzungen der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity). Im Zusammenhang mit dem UN-Food Systems Summit im September 2021 wird „nature-positive production“ als ähnliches Konzept wie NbS genutzt – um die Landwirtschaft weiter zu industrialisieren und die Kontrolle der Unternehmen auszubauen. Wenn diese Versuche erfolgreich sind, kommt es zu mehr Klimachaos und einem noch schnelleren Verlust an Biodiversität, während Konzerne weiterhin von der Zerstörung und Verbrennung fossilen Kohlenstoffs profitieren.
Regierungen müssen wissen, dass es eine wachsende Bewegung von Gemeinschaften, Organisationen und Aktivisten an vorderster Front für Klimagerechtigkeit gibt.
Ich plädiere dafür, „naturbasierte Lösungen“ und alle Ausgleichsprogramme neu zu überdenken. In ihrer jetzigen Form sind sie nicht darauf ausgelegt, der Klimakrise zu begegnen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, ein oder zwei Jahrzehnte ungezügelter Unternehmensgewinne aus der Ausbeutung von fossilem Kohlenstoff und der industriellen Landwirtschaft zu erkaufen und gleichzeitig die Kontrolle über die Gebiete der Gemeinschaft von außen zu erhöhen.
Klimaneutralität bedeutet kaum mehr als Papiereinsparungen, erreicht durch kreative Buchführung und nicht überprüfbare Behauptungen, hypothetische Emissionen verhindert zu haben. Die Zeit für solche Ablenkungen ist abgelaufen. Nur ein rascher und terminierter Plan, die verbleibenden Kohle‑, Öl- und Gasreserven im Boden zu belassen und die industrielle Landwirtschaft ökologisch zu reformieren, wird ein katastrophales Klimachaos verhindern.
Grassroots-Gemeinschaften an vorderster Front, die gegen die Förderung fossiler Brennstoffe, Pipelines, Minen, Plantagen und andere Projekte der Rohstoffindustrie sind, weisen den Weg. Der Widerstand gegen „naturbasierte Lösungen“ und der gemeinschaftliche Widerstand gegen die Zerstörung unterirdischer Kohlenstoffvorkommen, den Bergbau und die Agrarindustrie durch Konzerne müssen als Teil desselben Kampfes verstanden werden.
Grassroots-Gemeinschaften stehen auch an vorderster Front bei den Kämpfen um Ernährungssouveränität und Agrarökologie, die notwendig sind, um die vielfältige Krise des Planeten zu lösen. Wir erkennen und unterstützen die Kämpfe, die von Basisgemeinschaften um die Kontrolle über die Gebiete geführt werden, von denen sie heute und in Zukunft abhängen.
In Mawas reparieren wir zerstörte Torfmoore, forsten auf und unterstützen die lokalen Gemeinden durch neue, sichere und nachhaltige Einnahmemöglichkeiten. Sie können helfen!
Auf dem Weltklimagipfel in Glasgow haben sich mehr als 100 Staaten dazu verpflichtet, die weltweite Zerstörung der Wälder zu stoppen. Ihr Bestand schrumpft dramatisch: Jede Minute geht eine Fläche von rund 27 Fußballfeldern verloren. Was können wir der Entwaldung entgegensetzen? Dafür brauchen wir gute Ideen. Gemeinsam mit unserem Partner, dem Rhino and Forest Fund und in Zusammenarbeit mit dem „Forest Research Centre Sepilok“ haben wir ein vielversprechendes Projekt in Sabah, im malaisischen Teil von Borneo ins Leben gerufen.
Entwaldete Flächen zum Leben erwecken
Inwieweit die Ergebnisse des Klimagipfels tatsächlich dazu beitragen können, die globale Entwicklung zu stoppen, wird sehr unterschiedlich bewertet. Doch eines ist klar: Wir müssen jetzt handeln. Neben dem Schutz der vorhandenen Wälder geht es dabei um die Wiederaufforstung von bereits entwaldeten Gebieten. Auf Borneo ist der Regenwald in den letzten Jahrzehnten um mehr als die Hälfte geschrumpft. Gerade die besonders artenreichen Tieflandregenwälder Borneos sind dabei weitgehend zerstört worden, da sie für die Holzindustrie besonders interessant sind und sich im Gegensatz zu Gebirgsregenwäldern gut für Palmölplantagen eignen.
Eine dramatische Entwicklung.
Aber noch ist es nicht zu spät. Um die einzigartige Artenvielfalt Borneos doch noch zu bewahren, realisieren wir gemeinsam mit dem „Rhino and Forest Fund“ in Zusammenarbeit mit den lokalen Forstbehörden ein umfangreiches Aufforstungsprojekt in Sabah, im Nordosten Borneos.
Feigenbäume als Schlüssel zur Wiederaufforstung
Eine entscheidende Rolle spielen dabei Feigenbäume: Sie gelten als „keystone species“ (Schlüsselarten) für die Wiederaufforstung. Die Pflanzen sind relativ anspruchslos, wachsen schnell und tragen je nach Art bis zu fünf Mal Früchte im Jahr – und es gibt kaum ein Tier im Regenwald, das diese Feigenfrüchte oder ‑blätter nicht frisst. Auch Orang-Utans lieben sie. Feigenfrüchte zählen somit zu den Hauptnahrungsquellen im Regenwald. Und sie verbreitet sich auf ganz natürliche Weise: Die Tiere verdauen die Früchte und scheiden die Samen an anderer Stelle (zusammen mit ganz „natürlichem Dünger“) wieder aus. Bei manchen Feigenarten muss der Samen durch den Verdauungsakt einer ganz bestimmten Schleichkatze oder eines Vogels, um keimen zu können. Insbesondere die Würgefeigen setzen dabei auf die Verbreitung durch Vögel: Diese fressen die Früchte und hinterlassen die Samen hoch oben auf den Ästen der Bäume, wenn sie dort koten. Das Sonnenlicht begünstigt das Austreiben der Wurzeln in luftiger Höhe. Nach und nach umschließt die Würgefeige den Baum, bis dieser irgendwann Jahrzehnte später abstirbt. Die Würgefeige ist dann stabil genug, um auf “eigenen Füßen” zu stehen.
Die Nachkommen werden direkt am Baum „gezüchtet“
Um nicht auf Schleichkatzen oder Vögel angewiesen zu sein, betreiben wir gemeinsam mit dem „Rhino and Forest Fund“ sei 2020 mehrere Baumschulen in Sabah. Hier werden unterstützt vom „Forest Research Centre“ Spezialistinnen und Spezialisten für die Feigenzucht ausgebildet. Um möglichst schnell möglichst viele neue Setzlinge diverser Arten zu züchten, praktizieren wir hier sehr erfolgreich das „Marcotting“: Bei dieser Zuchtmethode werden Zweige direkt am Baum angeritzt und eine Handvoll Erde mithilfe einer Plastikfolie um den angeritzten Zweig gebunden (siehe Bild). Nach rund 3–4 Wochen hat die Pflanze im Ballen Wurzeln ausgebildet. Der Zweig wird samt Wurzeln abgetrennt und kann in die Erde gesetzt werden. Auf diese Weise haben wir in unserer Baumschule schon hunderte Setzlinge gewonnen. Hinzu kommen tausende weiterer Setzlinge von bereits über 40 einheimischen Baumarten.
Ein natürlicher Lebensraum entsteht
Die Setzlinge pflanzen wir unter anderem in unserem Wildtierkorridor in Sabah. Seit zwei Jahren wandelt BOS gemeinsam mit dem Rhino and Forest Fund (RFF) alte Ölpalmenplantagen in Regenwald um. Der Korridor verbindet die beiden Schutzgebiete Tabin und Kulamba miteinander. Ein neuer, artenreicher Lebensraum entsteht. Dabei bieten die ausgedienten Ölpalmen den jungen Setzlingen in der ersten Wachstumsphase Schutz vor Erosion und zu starker Sonneneinstrahlung. Sobald die neuen Pflanzen stark genug sind, werden die Ölpalmen per Hand gefällt oder bleiben als Gerüst für Würgefeigen stehen. Das ist sehr aufwändig. Geplant ist, dies in Zukunft mithilfe von Würgefeigen ganz natürlich zu unterstützten: Wir setzen die Setzlinge oben auf die Ölpalmen, wo die Feige die Palme nach und nach umschließt und langfristig zum Absterben bringt. So nutzen wir die Ölpalmen, um einen artenreichen naturnahen Regenwald wieder auferstehen zu lassen.
Wir haben noch viel vor.
Werden auch Sie zum Regenwald-Retter. Mit Ihrer Spende helfen Sie uns, weitere Flächen zu sichern und diese in Regenwald umzuwandeln. Für die Orang-Utans, die Artenvielfalt und das Klima. Jeder Beitrag hilft.
Eines der wichtigsten Kriterien für eine erfolgreiche Auswilderung ist, sich in freier Wildbahn selbstständig ernähren zu können. Normalerweise lernen Orang-Utan-Kinder diese wichtige Überlebensfertigkeit von ihrer Mutter. Unsere Waisenkinder in den BOS-Rettungszentren nehmen daher am mehrjährige Waldschulprogramm teil.
Je nach Verbreitungsgebiet und Waldbeschaffenheit ernähren sich Orang-Utans von etwa 100 bis zu knapp 400 verschiedenen Pflanzenarten (1). Dabei verzehren sie – je nach Gebiet – auch oft unterschiedliche Teile der Pflanzen, wie etwa Frucht, Blüten, Blätter, Rinde oder Mark (1). Orang-Utans fressen primär Früchte – falls diese verfügbar sind. Zu den bevorzugten Waldfrüchten gehören zum Beispiel Mangos, verschiedene Feigenarten, Zibetfrüchte, Litschipflaumen und Jabon Früchte.
Neben Früchten werden auch Blätter, Blattsprossen, Ameisen, Termiten, Raupen, Grillen und andere Insekten, mineralhaltige Erde, Honig, gelegentlich sogar Vogeleier und kleine baumlebende Wirbeltiere (2) gefressen. In Zeiten von Fruchtknappheit verbringen Orang-Utans weniger Zeit damit, im Regenwald umherzustreifen. Dann investieren sie mehr Zeit in die Nahrungsaufnahme. Man kann sie oft dabei beobachten, wie sie die Rinde von speziellen Baumarten entfernen, um an das Baumkambium – eine nährstoffreiche Schicht direkt unter der Rinde – heranzukommen.
Wie lange dauert es in freier Wildbahn, bis das Jungtier all das Know-how der Nahrungsbeschaffung erlernt hat?
Bis das Jungtier ein ähnliches Nahrungsspektrum wie das der Mutter entwickelt hat, dauert es etwa acht Jahre (siehe Grafik; 3).
Wie lernen Orang-Utan-Kinder?
Orang-Utan-Mütter unterrichten ihren Nachwuchs nicht aktiv, sondern Jungtiere lernen durch Zuschauen und selbstständiges Ausprobieren. Im Laufe ihrer Entwicklung bis zum Alter von etwa 15 Jahren, kommt es zu ca. 9.000 — 38.000 Zuschau-Sequenzen in denen Jungtiere ihren Müttern ganz genau bei Nahrungswahl, Werkzeuggebrauch und Nestbau zuschauen (4). Weibliche Jungtiere orientieren sich bei der Nahrungswahl vor allem an ihren Müttern oder anderen Weibchen. Männliche Jungtiere wählen, wenn sie älter werden, zunehmend fremde ausgewachsene Männchen als Vorbilder (5). In unseren Auffangstationen übernehmen die speziell dafür ausgebildeten Pfleger:innen diese langjährige, komplexe Aufgabe, um die Orang-Utan-Waisenkinder bestmöglich auf ein Leben in freier Wildbahn vorzubereiten. Eine Studie, die in unserem Rettungszentrum Nyaru Menteng durchgeführt wurde (6), hat gezeigt, dass die Waldschüler insgesamt mit über 100 verschiedenen Nahrungsmitteln konfrontiert werden. Über 80 davon kommen natürlich im Wald vor.
Orang-Utans säugen ihr Junges bis zu neun Jahre lang – länger als alle Affen der Welt (7). Dies ist vermutlich eine natürliche Anpassung an Zeiten, in denen Nahrung knapp ist. Orang-Utans leben in Wäldern, die durch Dürreperioden gekennzeichnet sind und in denen Früchte nur zu bestimmten Zeiten reif werden. Um das benötigte Kalorien- und Nährstoffpensum des Jungtiers auszugleichen, säugt die Mutter das Junge daher zusätzlich über viele Jahre hinweg. Im ersten Lebensjahr besteht die Nahrung ausschließlich aus Milch, dann kommen nach und nach andere Nahrungsmittel hinzu. Auch unsere Waisenkinder bekommen, abhängig von ihrem Alter, Milchersatz von den Pfleger:innen angeboten. Junge Orang-Utans unter einem Jahr werden mit einem, auf die individuellen Ernährungsbedürfnisse angepassten, Vollmilchersatz aus der Flasche gefüttert. Diese Milch ist für menschliche Säuglinge gemacht und enthält Molkenprotein, Laktose, Soja, Mineralstoffe, Spurenelemente, Antioxidantien, Vitamine und Probiotika. Ältere Orang-Utans, die schon gezahnt haben und feste, pflanzliche Kost zu sich nehmen können, bekommen lokal hergestellte Sojamilch als Ergänzung. Sojaeiweiß hat eine hohe biologische Wertigkeit und ist daher eine wertvolle Proteinquelle.
Früchte. Das Jungtier muss lernen, welche Früchte essbar sind, wo und zu welcher Jahreszeit man sie findet und wie man sie frisst. Ganze, weiche Früchte wie wilde Feigen und Guaven zu essen ist einfach. Unsere fortgeschrittenen Waldschüler müssen lernen, wie sie Früchte mit harter Schale, wie zum Beispiel Durian Früchte, bearbeiten müssen. In der Waldschule lernen sie Techniken, auch hartschalige Früchte zu knacken, zu schälen und aufzubrechen, um an das Fruchtfleisch und die Samen heranzukommen. Im Regenwald befinden sich die Früchte oft in zehn bis 15 Metern Höhe. Daher werden die Tiere von den Babysitterinnen immer wieder ermuntert, sich die Nahrung selbst vom Baum zu holen. Dazu werden Äste mit Früchten bespickt und diese auf höher im Baum gelegenen Nahrungsplattformen verteilt oder auf Obst-Spieße verteilt, die in die Höhe gehalten werden. Oder sie werden zu Früchte tragenden Bäumen im Wald geführt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Kletterfähigkeiten zu verfeinern und diese selbst zu pflücken.
Baumkambium. Das Baumkambium, eine saftige Schicht unter der Rinde eines Baumes, ist während der Trockenzeit eine wichtige Nahrungsquelle für Orang-Utans. Ihre Zähne sind kräftig und gut geeignet, die Rinde von bestimmten Bäumen aufzubrechen und das Kambium herauszuschälen. In der Waldschule zeigen unsere Pfleger:innen den Orang-Utans, wie sie an das Kambium herankommen.
Insekten. Orang-Utans fressen Insekten. Auf dem Speiseplan stehen zum Beispiel Termiten, Ameisen, Bienen, Gallwespen, Grillen, Raupen und Heimchen. Je nach Beobachtungsgebiet sind sie etwa vier bis 14 Prozent der Zeit, die sie mit Fressen verbringen, damit beschäftigt, die proteinreichen Krabbeltierchen aus dem Holz zu schälen oder zu angeln (8, 9). Dabei verbringen die Männchen mehr Zeit damit, bodenbewohnende Termiten zu fressen, als Weibchen oder junge Orang-Utans, die kaum Zeit in Bodennähe verbringen (8). In der Waldschule wird den Waisen zum Beispiel gezeigt, wie man verrottende Holzstücke ablöst, um an die darin lebenden proteinreichen Leckerbissen zu gelangen.
Wasser. Wasser nehmen Orang-Utans aus Blatt- und Blütenkelchen oder Baumlöchern zu sich. Sie tauchen dazu ihre Hand in das Loch und saugen dann das Wasser auf, das von den behaarten Armen tropft. Auch das muss gelernt sein!
Pflanzenmark. Das Abschälen des schützenden Äußeren einer Pflanze legt ihr weiches, inneres Mark frei. Das Mark vieler Pflanzenarten ist eine wichtige, immer verfügbare Nahrungsquelle für Orang-Utans.
Blätter. Eine Analyse hat ergeben, dass Orang-Utans in freier Wildbahn bevorzugt proteinreiche, junge Blätter fressen (10). In der Waldschule lernen die jungen Orang-Utans von den Babysitterinnen, welche Blätter und Pflanzenteile essbar sind und wo sie zu finden sind.
Nach der Waldschule ab auf die Insel! Nachdem die Waldschüler das mehrjährige Training absolviert haben, verbringen sie circa ein bis drei Jahre auf einer der Vorauswilderungsinseln. Diese Zeitspanne ist nötig, um ihr Verhalten zu analysieren und ihre erlernten Fähigkeiten zu überprüfen, ehe sie in den Regenwald zurückgebracht werden können. Im Durchschnitt dauert der gesamte Rehabilitationsprozess, vom Ankommen in der Station bis zur Auswilderung etwa zehn Jahre.
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie, diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Jeder Beitrag hilft.
Ein Beitrag von Dr. Isabelle Laumer
Referenzen:
1. Anne E. Russon, Serge A. Wich, Marc Ancrenaz, Tomoko Kanamori, Cheryl D. Knott, Noko Kuze, Helen C. Morrogh-Bernard, Peter Pratje, Hatta Ramlee, Peter Rodman, Azrie Sawang, Kade Sidiyasa, Ian Singleton and Carel P. van Schaik (2009). Geographic variation in orangutan diets. In book: Orangutans: Geographic Variation in Behavioral Ecology and Conservation (pp.135–156) Publisher: Oxford University Press.
2. Sugardjito, J., Nurhuda, N. Meat-eating behaviour in wild orang utans, Pongo pygmaeus . Primates 22, 414–416 (1981).
3. Schuppli C, Forss SI, Meulman EJ, Zweifel N, Lee KC, Rukmana E, Vogel ER, van Noordwijk MA, van Schaik CP. Development of foraging skills in two orangutan populations: needing to learn or needing to grow? Front Zool. (2016) Sep 29;13:43.
4. Schuppli, C and van Schaik, C (2019). Social learning among wild orangutans: is it affective? In Clément, F and Dukes, D (eds), Foundations of Affective Social Learning: Conceptualising the Transmission of Social Value. Cambridge: Cambridge University Press.
5. Ehmann B, van Schaik CP, Ashbury AM, Mo¨rchen J, Musdarlia H, Utami Atmoko S, et al. (2021) Immature wild orangutans acquire relevant ecological knowledge through sex-specific attentional biases during social learning. PLoS Biol 19(5): e3001173.
6. Adams, L. Social learning opportunities in orangutans. Unpubl. Master’s Thesis, York Univ. Toronto. (2005).
7. Smith T.M., Austin C., Hinde K., Vogel E., Arora M. (2017) Cyclical nursing pattern in wild orangutans. Science Advances, 3: e1601517.
8. Galdikas, B. M. F. 1988. Orangutan diet, range and activity at Tanjung Putting, Central Borneo. International Journal of Primatology 9:1–35.
9. Rijksen, H.D. 1978. A field Study of Sumatran Orangutan (Pongo pygmaeus abelii Lesson 1827): Ecology, Behavior, and Conservation. Netherlands: Veenan and Zonen.
Ein Spaziergang durch grüne Wälder entspannt und beruhigt. Bäume tun einfach gut: sie spenden Schatten, sie produzieren Sauerstoff und speichern große Mengen Kohlenstoffdioxid. Durch den Klimawandel sind unsere Wälder akut bedroht. Wie können sie gerettet und fit für die Zukunft gemacht werden? Samen-Sammler bringen in großen Mengen Samen gefährdeter Bäume in Samenbanken zusammen.
Können die helfen, Wälder zu retten? Gleichzeitig wird mit nichtheimischen Baumsorten experimentiert. Welche fühlen sich bei uns wohl und wie reagieren heimische Tierarten auf sie? In Städten sollen Waldgärten entstehen, in denen Bäume, Früchte und Gemüse eng beieinander wachsen, die nicht nur das Mikroklima günstig beeinflussen, sondern auch Menschen zusammenbringen können. Auch das Holz der Bäume als nachhaltige Ressource rückt immer stärker in den Blick, z.B. als Baustoff. Forscher haben aus Beton und Holz einen Verbundstoff entwickelt, der genauso stabil wie reiner Beton ist, aber weniger davon verbraucht. Und in der Medizin sorgen die verschiedenen Fähigkeiten einzelner Bäume, wie z.B. der Birke für Hoffnungen. Einer ihrer Wirkstoffe könnte möglicherweise Krebstherapien sinnvoll unterstützen. Unsere Reporterin Nina Schmidt geht auf eine spannende Recherchereise.