Ausgewachsene Orang-Utan-Männchen mit ihren breiten Backenwülsten sind äußerst imposant. Aber nicht jeder männliche Orang-Utan durchläuft diese körperliche Entwicklung. Mardianto, den wir 2015 im Alter von damals 13 Jahren im Schutzwald Bukit Batikap (Zentral-Kalimantan) ausgewildert haben, gehört zu diesen sogenannten dominanten Männchen. Und wir hatten das Glück, seine Entwicklung miterleben zu dürfen.
Es ist, als wolle Mardianto uns stolz präsentieren, was für ein prachtvoller Orang-Utan-Kerl aus ihm geworden ist. Denn mindestens einmal im Jahr kreuzte unser Post-Release-Monitoring Team (PRM) im Regenwald seinen Weg und hatte so die Möglichkeit, seine erstaunliche körperliche Entwicklung zu dokumentieren.
Zum Zeitpunkt seiner Auswilderung war noch nicht abzusehen, welchen Weg Mardianto vor sich haben würde. Doch mit der Zeit wurden wir Zeuge, wie sich vor allem die Morphologie seines Gesichts durch das Wachstum der Backenwülste veränderte. Meist beginnt das Wachstum der Backenwülste ab einem Alter von zehn Jahren oder später. Allerdings bekommen nicht alle männlichen Orang-Utans diese Wülste. Sie treten nur bei dominanten Männchen auf.
Das Geheimnis der Backenwülste
Noch hat die Forschung nicht alle Geheimnisse hinter den Backenwülsten aufgedeckt. Doch es wird vermutet, dass sich diese sekundären Geschlechtsmerkmale nur dann entwickeln, wenn im Revier kein weiterer dominanter Orang-Utan-Mann herrscht. Männchen mit kleineren oder noch in der Entwicklung befindlichen Backenwülsten sind sozialer als Männchen mit größeren Wülsten. Männchen mit großen, voll entwickelten Backenwülsten ziehen es in der Regel vor, allein zu leben und ihr Territorium zu beherrschen, während Männchen mit noch wachsenden Backenwülsten mehr Zeit damit verbringen, mit Weibchen zu interagieren.
Das Wachstum der Backenwülste bei männlichen Orang-Utans kann auch die Vergrößerung ihres Kehlsacks begünstigen. Damit können sie die sogenannten „Long Calls“ besser ausstoßen, die oft kilometerweit zu hören sind und die die Weibchen anlocken.
Wenn die Backenwülste des dominanten Männchens ausgewachsen sind, verändern sich auch andere morphologische Merkmale im Gesicht, wie z. B. eine dunklere Haut um Augen, Augenlider und Mund sowie ein dichterer Bart und Schnurrbart. Das Wachstum der Backenwülste bei männlichen Orang-Utans kann verzögert oder gestoppt werden, wenn die Anwesenheit anderer dominanter Männchen einen intrasexuellen Wettbewerb auslöst. Männliche Orang-Utans, denen in freier Wildbahn Backenwülste wachsen, gelten als Sieger im intrasexuellen Wettbewerb und zeigen reproduktiven Erfolg bei der Anwerbung von Weibchen.
Mardiantos Metamorphose
2019 hatte ein PRM-Team Mardianto auf einem Baum in der Nähe des Flussufers entdeckt. Damals begann sich sein Gesicht ein wenig zu verändern. Die Haut wurde dunkler, sein Bart war dichter und eine kleine Verbreiterung an der Spitze seiner Wangen ist erkennbar.
Im darauffolgenden Jahr – 2020 – trafen wir Mardianto wieder, als er sich auf einem üppigen Baum ausruhte. Wir waren sehr überrascht, wie stark er sich verändert hatte. Seine Backenwülste waren deutlich breiter geworden.
Ein weiteres Jahr später sind ist Mardiantos Gesicht durch die Backenwülste schon stark verändert. Auch sein Kehlsack beginnt zu wachsen. Insgesamt macht er schon einen deutlich imposanteren Eindruck als zwei Jahre zuvor, als wir ihn beim Klettern im Regenwald in Augenschein nehmen konnten.
2022 konnte das PRM-Team Mardianto bei verschiedenen Gelegenheiten im Schutzwald Bukit Batikap antreffen. Auf Nahrungssuche in der Nähe des Flusses, beim Wassertrinken oder beim Spaziergang durch sein Revier. Ihn auf einem umgestürzten Baum sitzend zu sehen, war, als würde er wie ein Waldkönig sein Hoheitsgebiet kontrollieren. Es war erstaunlich, die morphologischen Veränderungen in Mardiantos Gesicht zu sehen. Aber nicht nur sein Gesicht, sondern auch sein Körper wurde größer und sein Haar dichter.
Doch wie gelingt es unseren PRM-Teams, ein Tier zu identifizieren, wenn es sich körperlich und im Gesicht so sehr verändert, wie Mardianto? Für unsere Experten im Regenwald ist das nur selten ein Problem. Denn jeder Orang-Utan hat bestimmte Merkmale, nach denen die PRM-Teams Ausschau halten. Bei Mardianto zum Beispiel ist es ein besonderes Merkmal auf seinem Rücken. Damit war es für das Team ein Leichtes, den sich verändernden Orang-Utan-Mann dennoch immer eindeutig zu erkennen.
Auch die Arbeit unserer PRM-Teams in unseren Auswilderungsgebieten ist nur möglich Dank Ihrer Spenden. Bitte unterstützen Sie uns weiterhin, so dass wir unseren ausgewilderten Orang-Utans eine sichere Zukunft bieten können.