5. Januar 2021

Leonie und ihr myste­riöser Verehrer

Orang-Utans sind meist allein im Regen­wald unter­wegs. Aber Ausnahmen bestä­tigen auch hier die Regel. Und so gibt es immer wieder auch Wald­men­schen wie Leonie. Die 16-jährige Orang-Utan-Dame, die seit September 2015 in unserem Auswil­de­rungs­wald Kehje Sewen lebt, scheint die Gesell­schaft von Artge­nossen zu schätzen – oder viel­leicht auch leichter zu tole­rieren. Denn immer wieder begegnet unser Post-Release-Moni­to­ring (PRM)-Team ihr in Beglei­tung anderer Orang-Utans – sowohl weib­li­cher als auch männ­li­cher Tiere. Diesmal war sie in Beglei­tung eines myste­riösen Verehrers… 

Trafen wir Leonie im ersten Jahr nach ihrer Auswil­de­rung vor allem mit ihrer Freundin Teresa im Wald an, waren es zuletzt vornehm­lich männ­liche Artge­nossen, auf die die hübsche Leonie offenbar sehr anzie­hend wirkt: Da war zum Beispiel das wilde Orang-Utan-Männ­chen, das ihr mal im südli­chen Kehje Sewen-Wald gefolgt war. Oder Julien, der ihr vor rund einein­halb Jahren sehr ausdau­ernd und leiden­schaft­lich den Hof machte.
Wir erfahren diese Geschichten von unseren Beob­ach­tungs-Teams, die täglich Touren durch unsere Auswil­de­rungs­ge­biete unter­nehmen. Hier ein Bericht aus dem Nles Mamse Camp im Wald von Kehje Sewen:

Begeg­nung im Regenwald

„Heute waren wir schon früh am Morgen aufge­bro­chen, um uns auf den langen Weg durch den Wald zu machen. Als wir unser Ziel­ge­biet „Puncak Palem 1“ erreicht hatten, stand die Sonne schon hoch über unseren Köpfen. Wir beschlossen, uns im kühlenden Schatten kurz auszu­ruhen und plau­derten über dies und das. Dann plötz­lich durch­drang ein knackendes Geräusch die Luft! Wir schreckten hoch und näherten uns dem Ort, von dem das Knacken gekommen war. Da sahen wir sie: Zwei Orang-Utans, die in aller Seelen­ruhe gemeinsam eine herz­hafte Mahl­zeit genossen.
Wir gingen auf Beob­ach­tungs­posten und machten uns Notizen. Nach kurzer Zeit iden­ti­fi­zierten wir das Weib­chen als die vor fünf Jahren ausge­wil­derte Leonie. Das Männ­chen jedoch passte mit seinen Merk­malen zu keinem unserer ausge­wil­derten Tiere. Leonie bewegte sich ganz entspannt von Baum zu Baum, und schaute nur ab und zu auf uns. Denn unsere Anwe­sen­heit war ihr natür­lich nicht entgangen. Wie andere ausge­wil­derte  Orang-Utans war sie sich unserer Anwe­sen­heit wohl bewusst, ließ sich aber nicht davon ablenken. Genüss­lich widmete sie sich ein paar Litho­carpus-Früchten; fast so als wollte sie uns demons­trativ zeigen, wie gut sie in puncto Nahrungs­suche zurechtkam. Deut­lich weniger entspannt war ihr männ­li­cher Begleiter: Er schien durch unsere Gegen­wart sehr genervt zu sein und machte seinem Unmut ganz typisch durch laute Kuss­ge­räu­sche und demons­tra­tives Abbre­chen von Ästen Luft.

Hoch im Baum hängen die leckersten Früchte
Hoch im Baum hängen die leckersten Früchte

Nachdem Leonie ihr Mahl beendet hatte, klet­terte sie vom Baum und lief auf dem Wald­boden weiter, bis sie zu einer Klippe kam. Wir hinterher, immer beide Tiere im Blick behal­tend. Schließ­lich sollte uns kein Detail durch die Lappen gehen. Das Orang-Utan-Männ­chen beob­ach­tete jeden Schritt Leonies. Was hatte er vor?
Leonie war weiterhin auf Nahrungs­suche und bewegte sich an der Klippe ziel­strebig hinunter in die Schlucht. Wir folgten ihr, bepackt mit unserer gesamten Ausrüs­tung. Um nicht zu fallen, mussten wir uns an Bäumen fest­halten und auf dem regen­nassen, rutschigen Unter­grund immer wieder Halt suchen. Leonie hatte in einem Maca­ranga-Baum offenbar ihr nächstes Ziel erreicht. Flugs klet­tert sie nach oben und begann, Lianen und Früchte zu naschen.

Leonie hat genau im Blick, dass sie beobachtet wird
Leonie hat genau im Blick, dass sie beob­achtet wird

Das Moni­to­ring-Team ist offenbar nicht erwünscht

Dann plötz­lich stürzte das Orang-Utan-Männ­chen mit hohem Tempo auf Leonie zu, stieß ein lautes Kuss­ge­räusch aus und begann, massen­haft abge­bro­chene Ästen auf uns zu werfen. Wir hatten keine andere Wahl, als in Deckung zu gehen. Zu allem Über­fluss begann es dann auch noch zu regnen. Wir verstauten schnell alle elek­tro­ni­schen Geräte in unseren wasser­dichten Pack­sä­cken, holten unsere Regen­klei­dung raus und behielten die beiden Wald­men­schen im Auge, während der Regen unab­lässig auf unsere Gesichter pras­selte. Als es langsam dunkel wurde, regnete es noch immer wie aus Eimern. Leonie machte sich auf die Suche nach einem geeig­neten Nest-Platz. Das Männ­chen blieb die ganze Zeit in ihrer Nähe. Als Leonie ihren Schlaf­platz herge­richtet hatte, machte sie es sich darin gemüt­lich und bedeckte ihren Körper mit ein paar belaubten Zweigen als Decke. Während­dessen baute der männ­liche Orang-Utan sein eigenes Nest nicht weit von Leoni entfernt. Dann wurde es ruhig im Blätterdach.

Wer ist Mister Unbekannt?

Im schwin­denden Tages­licht und noch immer pras­selndem Regen machten wir uns auf den Weg zurück ins Camp. Unsere Stirn­lampen halfen uns, den schlam­migen und steilen Weg die Schlucht wieder hinauf und dann weiter zum Lager zu finden. Als wir im Camp ankamen, waren wir zwar komplett durch­nässt und erschöpft, aber sehr glück­lich, dass wir Leonie und ihren myste­riösen Verehrer mehrere Stunden begleiten konnten. Bis heute können wir nicht sagen, wer das Männ­chen war. Viel­leicht hat es sich seit seiner Auswil­de­rung stark verän­dert – das Wangen­polster der Männ­chen wächst im Laufe der Jahre immer weiter und verleiht dem Tier ein ganz anderes Aussehen. Oder war es viel­leicht ein wildes Männ­chen? Das bleibt erst einmal das Geheimnis der beiden. Ebenso, wie es weiter­ging, nachdem wir sie im Wald zurück­ge­lassen haben….“

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