Die meisten Primaten leben in sozialen Gruppen zusammen. Gemeinsam erkunden sie die Umgebung, suchen Nahrung und schützen sich und ihren Nachwuchs. Nicht so der Orang-Utan. Seine Lebensweise unterscheidet sich deutlich von der seiner nahen Verwandten. Denn im Gegensatz zu Gorillas, Schimpansen, Makaken, Gibbons oder Nasenaffen, streifen Orang-Utans in freier Wildbahn in der Regel allein durch den Regenwald. Und das aus gutem Grund.
Im Gegensatz zu vielen anderen Primaten, ziehen wilde Orang-Utans die meiste Zeit ihres Lebens die Einsamkeit vor. Nur gelegentlich treffen sie bei ihren Streifzügen durch den Wald mit Artgenossen zusammen und verbringen dann ein paar Minuten oder auch mal ein paar Stunden zusammen.
Sicherlich denken Sie jetzt sofort an die Bilder von jungen Orang-Utans in unseren Rettungszentren und fragen sich, wie diese zusammen spielenden und kuschelnden Tiere dazu passen? Tatsächlich gibt es diese Art der Gruppenbildung nur bei Orang-Utans, die in Rehabilitationszentren oder in Gefangenschaft leben. In freier Wildbahn kommt es nur selten dazu.
Den Lebensstil der Orang-Utans nennen Wissenschaftler „semi-solitär“, wörtlich übersetzt also „halb-einsam“. Darunter versteht man, dass Tiere mehr Zeit allein, als in Gesellschaft anderer verbringen. Das bedeutet auch, dass sie alles allein machen müssen. Auch Dinge wie Fellpflege, die ja in Gruppenverbänden gerade ein wichtiger Faktor der sozialen Gemeinschaft sind. Orang-Utans hingegen pflücken und picken sich selbst sehr geschickt mit den Lippen, Zähnen oder Fingern zwickende Insekten oder andere juckende Störenfriede aus dem Fell.
Das Erlernen von Selbstständigkeit ist ein schrittweiser Prozess für junge Orang-Utans, sowohl in den Rehabilitationszentren als auch in der Obhut ihrer Mütter. In freier Wildbahn lernt ein junger Orang-Utan all seine Fertigkeiten, indem er seine Mutter bis zum Alter von etwa sieben bis acht Jahren beobachtet und nachahmt. Dann ist es Zeit, sich zu trennen und allein zu leben.
Obwohl sie an ein zurückgezogenes Leben gewöhnt sind, verbringen einige Orang-Utans, insbesondere Weibchen, gelegentlich Zeit mit anderen Weibchen im Wald. Dies geschieht für gewöhnlich, wenn es reichlich Früchte im Angebot gibt. Nachdem sie einige Zeit zusammen verbracht und die Früchte genossen haben, gehen die Orang-Utans wieder getrennte Wege.
Diese halbsolitäre Lebensweise ist eine Voraussetzung für das Überleben in den anspruchsvollen Regenwäldern Borneos, wo es je nach Jahreszeit nicht genug Nahrung für eine gemeinschaftlich lebende Gruppe von Orang-Utans geben würde. Da sie allein herumziehen, müssen Orang-Utans die Nahrung nicht teilen und stehen daher weniger unter Druck, als eine Gruppe von Primaten, wenn jahreszeitlich bedingt weniger Nahrung zur Verfügung steht.
Trotz der fehlenden Unterstützung durch eine soziale Gruppe, beweisen Orang-Utans immer wieder, dass sie unglaublich eigenständig sind. Selbst wenn sie vor einer neuen Herausforderung stehen, sind sie hartnäckig und kreativ, bis sie eine Lösung gefunden haben. Nehmen wir zum Beispiel den Gebrauch von Werkzeugen. Orang-Utans sind dafür bekannt, dass sie Werkzeuge benutzen, um effektiver an schwer zugängliche Nahrungsquellen heranzukommen. Es wurde auch beobachtet, dass sie breite Blätter oder Blätterbüschel nutzen, um ihren Kopf bei Regen zu bedecken und so einen behelfsmäßigen Regenschirm zu basteln! Dies zeigt deutlich die große Intelligenz, die Orang-Utans besitzen.
Orang-Utans versetzen uns einfach immer wieder in Erstaunen!
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