4. September 2023
BOS Deutschland Geschäftsführer Daniel Merdes pflanzt einen Baum

Anfassen verboten! Das gilt für Mensch – und Wildtier

Ein Kommentar von Daniel Merdes, Geschäfts­führer von BOS Deutschland

Seit Tagen hagelt es Kritik an der vermeint­li­chen Grenz­über­schrei­tung von Deutsch­lands bekann­testem Tier­filmer Andreas Kieling gegen­über Teil­neh­me­rinnen beim YouTube-Format „7 vs. Wild“. Im Neusprech verkürzt als Shit­s­torm zu bezeichnen. Und der hat es in sich. Hatte doch Herr Kieling als einer der wenigen Fern­seh­pro­mi­nenten die Chance, auch im bei der jungen Ziel­gruppe unver­gleich­lich belieb­teren YouTube Bekannt­heit zu erlangen. Dieser Spagat von alten zu neuen Unter­hal­tungs­for­maten gelingt nur den Aller­we­nigsten und so waren alle sehr gespannt auf das Abschneiden von Herrn Kieling im YouTube-Format „7 vs. Wild“. Leider ist der Versuch gehörig schief­ge­laufen und Kieling wurde noch vor dem eigent­li­chen Beginn der Serie nach Hause geschickt.

Mindest­ab­stand auch bei Wild­tieren einhalten

Die Vorwürfe beschäf­tigen mitt­ler­weile auch Anwälte und handeln von verbalen und körper­li­chen Über­griffen auf junge Seri­en­teil­neh­me­rinnen. Zusam­men­ge­fasst geht es um die unge­fragte Über­schrei­tung von körper­li­cher Privat­sphäre. Und da sind mir sofort verschie­dene Bilder in den Kopf geschossen, denn seit Jahren möchte ich mit Herrn Kieling über das Thema Mindest­ab­stand und Respekt ins Gespräch kommen – in Bezug auf Wild­tiere. Ausge­hend von Aufnahmen, in denen er ohne Gesichts­maske Orang-Utans trägt, hält und anfasst.
Ich traf ihn kurz bevor diese Aufnahmen entstanden waren zufällig auf dem Flug­hafen in Jakarta. Er war gerade in Indo­ne­sien ange­kommen und wollte weiter nach Sumatra, ich war auf meiner Rück­reise von Borneo. Ganz abge­sehen von der Frage, ob er die von der IUCN bei Kontakt mit Menschen­affen empfoh­lenen zehn bis 14 Tage Quaran­täne im Land einge­halten hat – der Abstand zum Wild­tier, sozu­sagen die gesunde Privat­sphäre, hat er nicht gewahrt. Für gute Bilder stürzte er sich also voller west­li­cher Keime (kein Mund­schutz) auf wehr­lose Wildtiere.

Kontakt zum Wild­tier kann schlimme Folgen haben

Das würde ich nie machen. Selbst wenn ein Orang-Utan auf mich zukommt, spielen oder auf den Arm möchte, halte ich Abstand. Denn das Risiko einer Mensch-Tier-Anste­ckung ist unge­mein hoch und auch neueste Lang­zeit­aus­wer­tungen aus unseren Schutz­zen­tren zeigen dras­tisch, dass JEGLICHER Mensch-Tier-Kontakt die späteren Auswil­de­rungs­chancen negativ beein­flussen. Je weniger mensch­li­cher Kontakt in einer Orang-Utan-Biografie vorkam, desto höher die Auswilderungserfolge.

Junge Orang-Utans in BOS Waldschule mit Babysitterin
So wenig mensch­li­cher Kontakt wie möglich, nur durch Baby­sit­te­rinnen und Tier­ärzte und auf jeden Fall mit Mund­schutz – so soll es sein

Aber eigent­lich auch mehr als logisch, sagen doch bereits alle ernst­zu­neh­menden Wild­tier­ex­perten, dass Tiere entspre­chenden Abstand brau­chen und nicht berührt werden dürfen. Da geht es auch um viel mehr als über­trag­bare Krank­heiten. Es geht um ein tiefes Verständnis von Schutz­zonen, denn Wild­tiere wurden über all die Jahre gejagt, gefangen und vertrieben, d. h. sie haben nur eine Über­le­bens­chance, wenn sie den Menschen lang­fristig aus dem Weg gehen.

Keine Kuschel­tiere

Wir sind keine Freunde, sondern Konkur­renten um Lebens­raum, von dem wir bereits mehr als genug den Tieren gestohlen haben. Und Wild­tiere wie Orang-Utans sind eben keine Kuschel­tiere, mit denen wir auf gemein­samen Fotos oder Film­auf­nahmen Einschalt­quote, Likes oder Reich­weite erzeugen sollten. Ganz gleich, wie verlo­ckend das sein mag. Nicht zuletzt deswegen verstören mich Aufnahmen wie die von Herrn Kieling oder anderen Tier­fil­mern, Influen­cern oder letzt­lich Touristen. Leider gibt es immer noch Zoos, Parks und sogar immer wieder Schutz­zen­tren, die offen­sicht­lich für gute Bilder und mehr Besu­che­rinnen und Besu­cher laxere Verhal­tens­re­geln pflegen, was uns dann wieder auf die Füße fällt. Denn wenn wir Gäste unserer Rettungs­zen­tren mit unserem strengen Regel-Katalog quälen, werden die Gesichter immer länger.

Umdenken muss statt­finden – und findet statt

Ich vermisse mehr und mehr den Respekt für andere Lebe­wesen – gleich welcher Spezies –, die auch ein Anrecht auf einen gebüh­renden Abstand haben. Ob Wild­tier oder weib­liche Influencer. Der „alte weiße TV-Mann“ muss endlich umdenken und seine Hand­lungen hinterfragen.

Die gute Nach­richt aber zum Schluss: Meine Hoff­nung ruht in der nächsten Gene­ra­tion von Filme­ma­chern wie Robert Marc Lehmann oder Manuel Berg­mann, die immer wieder einen respekt­vollen Abstand zu Wild­tieren predigen und die damit unsere Arbeit enorm unter­stützen. Vielen Dank dafür.