Ein Kommentar von Daniel Merdes, Geschäftsführer von BOS Deutschland
Seit Tagen hagelt es Kritik an der vermeintlichen Grenzüberschreitung von Deutschlands bekanntestem Tierfilmer Andreas Kieling gegenüber Teilnehmerinnen beim YouTube-Format „7 vs. Wild“. Im Neusprech verkürzt als Shitstorm zu bezeichnen. Und der hat es in sich. Hatte doch Herr Kieling als einer der wenigen Fernsehprominenten die Chance, auch im bei der jungen Zielgruppe unvergleichlich beliebteren YouTube Bekanntheit zu erlangen. Dieser Spagat von alten zu neuen Unterhaltungsformaten gelingt nur den Allerwenigsten und so waren alle sehr gespannt auf das Abschneiden von Herrn Kieling im YouTube-Format „7 vs. Wild“. Leider ist der Versuch gehörig schiefgelaufen und Kieling wurde noch vor dem eigentlichen Beginn der Serie nach Hause geschickt.
Mindestabstand auch bei Wildtieren einhalten
Die Vorwürfe beschäftigen mittlerweile auch Anwälte und handeln von verbalen und körperlichen Übergriffen auf junge Serienteilnehmerinnen. Zusammengefasst geht es um die ungefragte Überschreitung von körperlicher Privatsphäre. Und da sind mir sofort verschiedene Bilder in den Kopf geschossen, denn seit Jahren möchte ich mit Herrn Kieling über das Thema Mindestabstand und Respekt ins Gespräch kommen – in Bezug auf Wildtiere. Ausgehend von Aufnahmen, in denen er ohne Gesichtsmaske Orang-Utans trägt, hält und anfasst.
Ich traf ihn kurz bevor diese Aufnahmen entstanden waren zufällig auf dem Flughafen in Jakarta. Er war gerade in Indonesien angekommen und wollte weiter nach Sumatra, ich war auf meiner Rückreise von Borneo. Ganz abgesehen von der Frage, ob er die von der IUCN bei Kontakt mit Menschenaffen empfohlenen zehn bis 14 Tage Quarantäne im Land eingehalten hat – der Abstand zum Wildtier, sozusagen die gesunde Privatsphäre, hat er nicht gewahrt. Für gute Bilder stürzte er sich also voller westlicher Keime (kein Mundschutz) auf wehrlose Wildtiere.
Kontakt zum Wildtier kann schlimme Folgen haben
Das würde ich nie machen. Selbst wenn ein Orang-Utan auf mich zukommt, spielen oder auf den Arm möchte, halte ich Abstand. Denn das Risiko einer Mensch-Tier-Ansteckung ist ungemein hoch und auch neueste Langzeitauswertungen aus unseren Schutzzentren zeigen drastisch, dass JEGLICHER Mensch-Tier-Kontakt die späteren Auswilderungschancen negativ beeinflussen. Je weniger menschlicher Kontakt in einer Orang-Utan-Biografie vorkam, desto höher die Auswilderungserfolge.
Aber eigentlich auch mehr als logisch, sagen doch bereits alle ernstzunehmenden Wildtierexperten, dass Tiere entsprechenden Abstand brauchen und nicht berührt werden dürfen. Da geht es auch um viel mehr als übertragbare Krankheiten. Es geht um ein tiefes Verständnis von Schutzzonen, denn Wildtiere wurden über all die Jahre gejagt, gefangen und vertrieben, d. h. sie haben nur eine Überlebenschance, wenn sie den Menschen langfristig aus dem Weg gehen.
Keine Kuscheltiere
Wir sind keine Freunde, sondern Konkurrenten um Lebensraum, von dem wir bereits mehr als genug den Tieren gestohlen haben. Und Wildtiere wie Orang-Utans sind eben keine Kuscheltiere, mit denen wir auf gemeinsamen Fotos oder Filmaufnahmen Einschaltquote, Likes oder Reichweite erzeugen sollten. Ganz gleich, wie verlockend das sein mag. Nicht zuletzt deswegen verstören mich Aufnahmen wie die von Herrn Kieling oder anderen Tierfilmern, Influencern oder letztlich Touristen. Leider gibt es immer noch Zoos, Parks und sogar immer wieder Schutzzentren, die offensichtlich für gute Bilder und mehr Besucherinnen und Besucher laxere Verhaltensregeln pflegen, was uns dann wieder auf die Füße fällt. Denn wenn wir Gäste unserer Rettungszentren mit unserem strengen Regel-Katalog quälen, werden die Gesichter immer länger.
Umdenken muss stattfinden – und findet statt
Ich vermisse mehr und mehr den Respekt für andere Lebewesen – gleich welcher Spezies –, die auch ein Anrecht auf einen gebührenden Abstand haben. Ob Wildtier oder weibliche Influencer. Der „alte weiße TV-Mann“ muss endlich umdenken und seine Handlungen hinterfragen.
Die gute Nachricht aber zum Schluss: Meine Hoffnung ruht in der nächsten Generation von Filmemachern wie Robert Marc Lehmann oder Manuel Bergmann, die immer wieder einen respektvollen Abstand zu Wildtieren predigen und die damit unsere Arbeit enorm unterstützen. Vielen Dank dafür.