7. März 2019

Der lang­same Lebens­zy­klus der Orang-Utans

Orang-Utans haben im Vergleich zu anderen Säuge­tieren eines der längsten Inter­valle für Geburten. Ein soge­nanntes Inter­birth-Inter­vall (IBI), also der Zeit­ab­stand zwischen zwei Geburten, ist bei ihnen länger als bei allen anderen Primaten. Das ist sogar noch bei in Gefan­gen­schaft gehal­tenen Orang-Utans mit durch­schnitt­lich 5,5 Jahren der Fall. 

 

Natür­liche Über­le­bens­rate war früher höher als beim Menschen 

Die Menschen­affen pflanzen sich somit nur sehr langsam fort. Aller­dings ist die Über­le­bens­rate ihrer Jungen auch beson­ders hoch. Das gilt im Prinzip für Primaten allge­mein. Bei Orang-Utans ist dies aber beson­ders ausge­prägt, sogar wenn man den Menschen mit einbe­zieht. Nach neuesten Forschungs­er­geb­nissen erleben mehr als 90 Prozent der wild­le­benden Orang-Utan-Weib­chen mindes­tens ihre erste eigene Nach­kom­men­schaft. Eine ähnlich hohe Über­le­bens­rate wird auch bei den Männ­chen ange­nommen. Bemer­kens­wert, wenn man bedenkt, dass solch eine Über­le­bens­rate vom Menschen erst im 20. Jahr­hun­dert erreicht wurde! 

Mögliche Gründe dieses evolu­tio­nären Erfolges könnte die arbo­reale (baum­be­woh­nende) und weit­ge­hend soli­täre (einzeln lebende) Lebens­weise der Orang-Utans sein. Unsere Artver­wandten sind die größten Baum­be­wohner über­haupt und von allen Primaten am besten an ein Leben in den Baum­kronen ange­passt. Zwar hat man fest­ge­stellt, dass sie sich doch öfter am Boden aufhalten, als ursprüng­lich gedacht, aber ihr eigent­li­cher Lebens­raum sind die mitt­leren und höheren Stock­werke des Regenwaldes. 

Lebens­weise als Grund für hohe Überlebensrate? 

Die Wälder Borneos und Suma­tras bieten für Menschen­affen weniger Früchte als die tropi­schen Wälder Afrikas. Sehr wahr­schein­lich ist dies der Grund, warum Orang-Utans nicht in geschlos­senen Sozi­al­ver­bänden leben, sondern mehr oder weniger solitär. Mutter und Kind streifen natür­lich gemeinsam umher. Und ab und zu sammeln sich etliche Tiere um große, frucht­tra­gende Bäume. Ansonsten bleiben Orang-Utans aber für sich, auch wenn die Weib­chen einer Region häufi­geren Kontakt mitein­ander pflegen.

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Beide Umstände — das ganz über­wie­gende Leben in den Bäumen mit wenig Boden­kon­takt und der nur spora­di­sche Kontakt mit Artge­nossen – bewirken offenbar einen besseren Schutz vor Para­siten und Infek­tionen als es bei anderen Menschen­affen der Fall ist. Orang-Utans haben zudem kaum natür­liche Fress­feinde. Sumatra-Orang-Utans müssen zwar am Boden den Tiger fürchten, aber in den Baum­kronen stellt auf Sumatra und Borneo nur der Nebel­parder eine gewisse Bedro­hung für Jung­tiere dar. Das bedeutet, externe Faktoren wie Krank­heiten, Nahrungs­mangel oder Präda­tion (die Bezie­hung zwischen Räuber und Beute) sind bei wild­le­benden Orang-Utans nur in relativ geringem Maß die Todes­ur­sa­chen. Die meisten sterben unter natür­li­chen Bedin­gungen aus Alters­gründen. Ledig­lich Unfälle wie ein Sturz aus den Höhen der Regen­wald­bäume sind seltene Ausnahmen vom alters­be­dingten Tod. 

Spar­sames Nahrungsangebot

Auch die Säug­lings­sterb­lich­keit ist bei unseren Artver­wandten durch­schnitt­lich geringer als bei anderen Menschen­affen. Die aufwach­senden Jung­tiere werden zudem bis zu acht Jahre lang von der Mutter betreut, haben somit eine relativ große Chance, sich ihrer­seits zu vermehren. Warum aber ist der Fort­pflan­zungs­zy­klus bei Orang-Utans insge­samt so lang? Die Gründe dafür liegen sehr wahr­schein­lich in der schon erwähnten Nahrungs­si­tua­tion, die von längeren Peri­oden der Nahrungs­knapp­heit geprägt ist. Es lässt sich ein Zusam­men­hang zwischen der Verfüg­bar­keit von Futter und den Zeit­in­ter­vallen zwischen den Geburten erkennen. So gebären Orang-Utans in Gefan­gen­schaft (Zoo, Tier­park, usw.) im Durch­schnitt zwei Jahre früher als wilde Orang-Utans. Dennoch ist die Säug­lings­sterb­lich­keit trotz ernäh­rungs­phy­sio­lo­gi­scher Vorteile und tier­ärzt­li­cher Versor­gung in Gefan­gen­schaft höher.

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Alles steht und fällt mit dem Wald 

Das oben Gesagte wurde haupt­säch­lich in größeren und unge­störten Wald­ge­bieten doku­men­tiert. Orang-Utans, die in klei­neren Habi­taten leben, errei­chen die hohen Über­le­bens­raten wahr­schein­lich nicht. Und so gut sie auch an ihren Lebens­raum ange­passt sind, so verwundbar sind sie eben auch. Zwar besitzen sie durchaus eine gewisse Anpas­sungs­fä­hig­keit, aber je mehr mensch­ge­machten Risiken sie ausge­setzt sind, desto häufiger wird ihnen ihre geringe Repro­duk­ti­ons­rate zum Verhängnis. Die Orang-Utans brau­chen unab­dingbar ihre Regenwälder! 

 

Quelle: Maria A. van Noor­dwijk und andere: The slow ape: High infant survival and long inter­birth inter­valls in wild oran­gutans, 2018