Es war ein sonniger Nachmittag und ich fuhr in einem Boot den Joloi River entlang, um mit dem Peilsender einige unserer 155 ausgewilderten Orang-Utans zu orten. Die wunderschöne Landschaft und ihre Bewohner allein reichte schon, um mir das Herz höher schlagen zu lassen. Mir begegneten ein riesiger Waran, drei Gibbons, Schwärme von Hornbills und anderen Vögeln. Techniker Jagau, der an diesem Tag das Boot fuhr, sichtete überdies noch zwei Orang-Utan-Nester, die in einer über dem Fluss hängende Baumkrone schaukelten.
Endlich nahmen wir schließlich Funksignale von Mardianto und Compost auf – zwei unserer erst kürzlich Ausgewilderten, die während der letzten Wochen viel Zeit miteinander verbracht hatten. Und es kam noch besser: Ein kurzes Stück weiter flussaufwärts empfingen wir ein starkes Signal von Dewi, einer 21jährigen Orang-Utan-Dame, die wir vor einem knappen Jahr auswildern konnten.
Was für ein Glücksfall, dachte ich, denn immerhin schien Dewi seit Monaten verschwunden zu sein. Jagau und ich legten also am Ufer an. Für Jagau war das ein bisschen unangenehm, denn er hatte nicht damit gerechnet, das Boot verlassen zu müssen und war ohne Schuhe losgefahren. Nach kurzer Suche fanden wir Dewi in einem Baum, zufrieden Früchte mampfend. Ich war so aufgeregt, diesen äußerst versteckt lebenden Orang-Utan gefunden zu haben und sein Verhalten zu protokollieren, dass ich das winzige, halb verborgene Bündel hinter ihr erst gar nicht bemerkte: Ein Neugeborenes!
Als auch Jagau das Kleine sah, schrien wir regelrecht vor Freude. Dewi starrte uns misstrauisch an; sie fragte sich wohl, ob unser Lärm eine Bedrohung sein könnte. Sie beurteilte uns schließlich als harmlos, drehte sich aber sicherheitshalber doch um, um ihr Junges vor uns zu verbergen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir das Geschlecht des Babys bestimmen können werden. Sein Gesichtchen ist noch ganz rosa, wir schätzen das Kleine auf nicht mehr als vier Monate alt.
Wer unser Auswilderungsprogramm schon länger verfolgt, wird sich erinnern, dass sich Dewi, wie auch zwei weitere Weibchen der zehnten Auswilderungsgruppe, mit dem Männchen Tarzan paarte, als sie in Freiheit war. Ob Dewi weiterhin nur mit Tarzan oder auch noch mit anderen Männchen Geschlechtsverkehr hatte, ist uns nicht bekannt. Wir glauben aber, dass das Junge ein Abkömmling von Tarzan ist. Das Neugeborene wäre somit ein Nachkömmling der in 2012 als erstes Ausgewilderten und der zehnten Auswilderungsgruppe.
Am nächsten Tag kehrte ich zu der Stelle zurück. Leider war Dewi diesmal weit weniger tolerant als bei der ersten Sichtung. Wiederholt kam sie von den Bäumen herab und kam drohend auf uns zugelaufen, zwischen allen Vieren und aufrechtem Gang wechselnd. Das Baby lag dabei auf ihrem Rücken und sogar aus der Entfernung konnten wir sehen, dass es bereits einen festen Griff hatte.
Für kurze Zeit verloren wir den Kontakt, fanden die beiden aber rasch wieder, weil das Kleine jämmerlich schrie. Was war die Ursache für seinen Unmut? Wir fanden Dewi auf einem Ast sitzend, ihren Rücken am Stamm reibend und abwechselnd sich selbst kratzend und ihr Baby am Fell zerrend. Dewi und das Kleine war an ein Ameisennest geraten! Ob versehentlich oder in der Absicht, die Larven und Puppen zu verspeisen, wissen wir nicht. Auf jeden Fall standen Mutter und Kind unter heftiger Attacke der sechsbeinigen Dschungelkriegerinnen. Dewi brauchte über eine Stunde um sich und ihr Junges von den Ameisen zu befreien und das Kleine zu beruhigen.
Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – das Junge sich selbst sehr gut festhalten konnte, hing es oft in merkwürdigen Positionen an seiner Mutter. Manchmal krabbelte es über ihr Gesicht und versuchte sich an Dewis Lippen festzuhalten, wenn diese aß. Dewi ertrug das mit stoischer Geduld und schob ihren Sprössling immer wieder mit Schwung zurück auf ihren Rücken.
2016 feiert BOS Deutschland sein 15-jähriges Jubiläum. Das sind 15 Jahre erfolgreicher Einsatz für den Erhalt der Orang-Utans und ihrer Habitate! Helfen Sie uns, ein neues Babyhaus zu bauen, damit wir auch zukünftig traumatisierte Waisen aufnehmen und ihnen wieder Geborgenheit und Zukunft geben können.
Originaltext von: Coral, PRM Team, Batikap Conservation Forest