22. Oktober 2021

Die biolo­gi­sche Viel­falt bis spätes­tens 2030 auf dem Weg der Erho­lung? 15. Arten­schutz­kon­fe­renz in Kunming

Erstaun­li­cher­weise ist die dies­jäh­rige Arten­schutz­kon­fe­renz zumin­dest in den deut­schen Medien unter­gangen. Offen­sicht­lich sind Koali­ti­ons­spe­ku­la­tionen von größerem Inter­esse als die Zukunft der welt­weiten Biodi­ver­sität. Als hätte Covid-19 als Warn­schuss nicht stattgefunden. 

Gleich­zeitig fühlten sich viele Dele­gierte der sog. Entwick­lungs­länder vernach­läs­sigt und konnten während des zwei­tä­gigen hoch­ran­gigen Diskurses nicht recht­zeitig spre­chen, wiederum aufgrund tech­ni­scher Probleme. Dies war eine weitere Erin­ne­rung an die unaus­ge­wo­genen Ergeb­nisse der globalen Entwicklung.

Die Verhand­lungs­führer haben nun nur noch sieben Monate bis zum zweiten und letzten Teil des Tref­fens Zeit, und es mangelt nicht an Meinungs­ver­schie­den­heiten, insbe­son­dere in Bezug auf Finan­zie­rung und Umset­zung. In der in der vergan­genen Woche veröf­fent­lichten Kunming-Erklä­rung fassten die Unter­zeichner ihre Absicht zusammen, “dass die biolo­gi­sche Viel­falt bis spätes­tens 2030 auf den Weg der Erho­lung gebracht wird”. Es bleibt jedoch unklar, ob sie dazu in der Lage sein werden.

 

Schwie­rige Themen

Ziel der ersten Sitzung des Tref­fens war es, neue poli­ti­sche Ambi­tionen zu schaffen, anstatt in echte Verhand­lungen einzu­steigen. Die Dele­gierten bekräf­tigten daher ihre bestehenden Positionen.

Die Idee, bis 2030 30 Prozent des Landes und der Meere der Erde unter Schutz zu stellen – bekannt als das „30×30× Ziel“ wurde während der ersten Sitzung häufig erwähnt: Mehr aber noch nicht.

Eine Bewer­tung von IPBES (Inter­go­vern­mental Science-Policy Plat­form on Biodi­ver­sity and Ecosystem Services) aus dem Jahr 2019 ergab, dass nur 15 Prozent der globalen Land- und Süßwas­ser­flä­chen und 7 Prozent der Meeres­ge­biete geschützt sind. Obwohl einige Parteien das 30-Prozent-Ziel ange­sichts der aktu­ellen Fort­schritte für zu radikal halten, tauchte die auffäl­lige Zahl immer noch im Entwurf der Rahmen­ver­hand­lungen auf — eine seltene Demons­tra­tion von Ehrgeiz. Aller­dings sind sich nicht alle einig, was diese 30 Prozent bedeuten sollen.

  1. 30 Prozent von was genau? Von der gesamten Ober­fläche der Welt? Oder müssen es sowohl 30 Prozent des Landes als auch 30 Prozent des Ozeans sein? Oder würde jedes Land 30 Prozent seines Terri­to­riums schützen? Der Entwurf in seiner jetzigen Form ist schlichtweg unklar. Beson­ders umstritten ist die Idee, 30 Prozent des Ozeans zu schützen, was andere multi­la­te­rale Prozesse in die Länge ziehen würde. Wenn Fragen rund um Schutz­ge­biete auf hoher See nicht im Rahmen des Seerechts­über­ein­kom­mens der Vereinten Nationen (UNCLOS) gelöst werden können, wäre das Ziel nicht möglich.

 

  1. Was für 30 Prozent? Einige Länder befürchten, dass eine Fokus­sie­rung auf Quan­tität über Qualität zum Schutz von Gebieten mit geringem Erhal­tungs­wert führen wird, nur um die Zahlen zu bilden. Doch wie sollten Quali­täts­ziele fest­ge­legt werden? Der Rahmen­ent­wurf sagt das nicht. Ein weiteres Problem ist, dass Reser­vate in der Vergan­gen­heit meist funk­tio­niert haben, indem sie mensch­liche Akti­vi­täten ausge­schlossen haben.

Das 30×30 Ziel würde die Auswei­tung von Schutz­ge­bieten vorsehen, und es gibt Bedenken, dass dies die Rechte indi­gener Völker und lokaler Gemein­schaften, die gerade in Regionen mit beson­derer biolo­gi­scher Viel­falt leben, beein­träch­tigen könnte. Einige NGOs sind daher ambi­va­lent oder sogar gegen das Ziel. 

 

Finan­zie­rung und Umsetzung

Der Rahmen­ent­wurf weist auf eine jähr­liche Finan­zie­rungs­lücke von 700 Milli­arden US-Dollar hin. Woher soll dieses Geld kommen? Alle reden gerne über den Ausbau der Finan­zie­rungs­quellen, die Nutzung nicht­staat­li­cher Akteure und insbe­son­dere des Privat­sek­tors, aber die sog Entwick­lungs­länder sind sich darüber im Klaren, dass sie mehr Geld von den Regie­rungen der Indus­trie­länder sehen wollen — da dies die zuver­läs­sigste Finan­zie­rungs­quelle ist.

Bei der Abschluss­ze­re­monie betonte die Afri­ka­ni­sche Gruppe erneut die Notwen­dig­keit eines spezi­ellen Biodi­ver­si­täts­fonds sowie die Bedeu­tung von Tech­no­lo­gie­transfer und Kapa­zi­täts­aufbau. Die Latein­ame­rika- und Kari­bik­gruppe warnte, dass zwei Jahre der Pandemie zu einem beispiel­losen Mangel an Mitteln geführt hätten, was die Erfül­lung von Verpflich­tungen schwierig mache. “Eine echte Verpflich­tung zur Bereit­stel­lung von Ressourcen ist eine der wich­tigsten Ände­rungen, die vorge­nommen werden müssen, wenn wir die aktu­elle Biodi­ver­si­täts­krise stoppen und umkehren wollen”, sagt die Gruppe.

Die EU und andere Indus­trie­länder hielten an ihrer bestehenden Haltung fest: Es müssen mehr private Mittel mobi­li­siert werden, und Hilfs­gelder dürfen nicht in schäd­liche Subven­tionen fließen. Im vergan­genen Jahr veröf­fent­lichten das Paulson Insti­tute und andere inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tionen einen Bericht über die Finan­zie­rung der biolo­gi­schen Viel­falt und stellten fest, dass die Umlei­tung von Agrar‑, Forst- und Fische­rei­sub­ven­tionen, die der Biodi­ver­sität schaden, fast 300 Milli­arden US-Dollar frei­setzten würden. Wir kennen diese Gegen­rech­nungen bereits von unserer klima­schäd­li­chen Subven­ti­ons­po­litik. Ein Thema, was in der Bundes­tags­wahl leider auch viel zu kurz kam und in den aktu­ellen Koali­ti­ons­ver­hand­lungen nicht statt­findet. Nun auch keine Verspre­chen in Kunming. Die NGOs werden es schon richten? 

Dagegen hat der fran­zö­si­sche Präsi­dent Emanuel Macron wiederum 30 Prozent der Klima­fi­nan­zie­rung des Landes für die biolo­gi­sche Viel­falt zuge­sagt, und Groß­bri­tan­nien versprach, dass ein großer Teil seiner zusätz­li­chen Klima­fi­nan­zie­rung für die biolo­gi­sche Viel­falt ausge­geben würde. Trotzdem bleibt dies eine Umver­tei­lung von Klima­schutz­mit­teln und kein Verspre­chen von neuem Geld.

 

Chinas wich­tige Rolle

Chinas Rolle als Gast­geber ist mit hohen Erwar­tungen verbunden. Auf einer Pres­se­kon­fe­renz zum Ende der ersten Phase der COP15 fragte ein deut­scher Reporter Huang Runqiu, Vorsit­zender der Konfe­renz und Chinas Umwelt­mi­nister, ob sich China zum 30×30 Ziel verpflichten wolle. Huang gab keine endgül­tige Antwort, deutete aber an, dass China als Gast­geber daran arbeiten werde, einen Konsens zu errei­chen und ehrgei­zige Ziele zu erreichen. 

Dies ist das erste Mal, dass einer der führenden Poli­tiker Chinas dies ausdrück­lich betont, und es ist ein äußerst wich­tiger Schritt im Kontext globaler Maßnahmen für die biolo­gi­sche Viel­falt. China hat auch die globale Biodi­ver­si­täts-Gover­nance außer­halb der Konfe­renz geför­dert, zum Beispiel in bila­te­ralen Part­ner­schaften. Während des hoch­ran­gigen Umwelt- und Klima­dia­logs zwischen China und der EU kamen beide Seiten überein, die welt­weite Entwal­dung zu redu­zieren, indem sie die Zusam­men­ar­beit bei der Erhal­tung und nach­hal­tigen Bewirt­schaf­tung von Wäldern, der Nach­hal­tig­keit der Liefer­kette und der Bekämp­fung des ille­galen Holz­ein­schlags und des damit verbun­denen Handels verstärken.

Das heißt analog zur inter­na­tio­nalen Klima­de­batte, wird auch der globale Biodi­ver­si­täts­schutz von China abhängig sein. Die inter­na­tio­nale Staa­ten­ge­mein­schaft ist sich dessen bewusst, während wir noch über mögliche Finanz­mi­nister diskutieren.