Erstaunlicherweise ist die diesjährige Artenschutzkonferenz zumindest in den deutschen Medien untergangen. Offensichtlich sind Koalitionsspekulationen von größerem Interesse als die Zukunft der weltweiten Biodiversität. Als hätte Covid-19 als Warnschuss nicht stattgefunden.
Gleichzeitig fühlten sich viele Delegierte der sog. Entwicklungsländer vernachlässigt und konnten während des zweitägigen hochrangigen Diskurses nicht rechtzeitig sprechen, wiederum aufgrund technischer Probleme. Dies war eine weitere Erinnerung an die unausgewogenen Ergebnisse der globalen Entwicklung.
Die Verhandlungsführer haben nun nur noch sieben Monate bis zum zweiten und letzten Teil des Treffens Zeit, und es mangelt nicht an Meinungsverschiedenheiten, insbesondere in Bezug auf Finanzierung und Umsetzung. In der in der vergangenen Woche veröffentlichten Kunming-Erklärung fassten die Unterzeichner ihre Absicht zusammen, “dass die biologische Vielfalt bis spätestens 2030 auf den Weg der Erholung gebracht wird”. Es bleibt jedoch unklar, ob sie dazu in der Lage sein werden.
Schwierige Themen
Ziel der ersten Sitzung des Treffens war es, neue politische Ambitionen zu schaffen, anstatt in echte Verhandlungen einzusteigen. Die Delegierten bekräftigten daher ihre bestehenden Positionen.
Die Idee, bis 2030 30 Prozent des Landes und der Meere der Erde unter Schutz zu stellen – bekannt als das „30×30× Ziel“ wurde während der ersten Sitzung häufig erwähnt: Mehr aber noch nicht.
Eine Bewertung von IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) aus dem Jahr 2019 ergab, dass nur 15 Prozent der globalen Land- und Süßwasserflächen und 7 Prozent der Meeresgebiete geschützt sind. Obwohl einige Parteien das 30-Prozent-Ziel angesichts der aktuellen Fortschritte für zu radikal halten, tauchte die auffällige Zahl immer noch im Entwurf der Rahmenverhandlungen auf — eine seltene Demonstration von Ehrgeiz. Allerdings sind sich nicht alle einig, was diese 30 Prozent bedeuten sollen.
- 30 Prozent von was genau? Von der gesamten Oberfläche der Welt? Oder müssen es sowohl 30 Prozent des Landes als auch 30 Prozent des Ozeans sein? Oder würde jedes Land 30 Prozent seines Territoriums schützen? Der Entwurf in seiner jetzigen Form ist schlichtweg unklar. Besonders umstritten ist die Idee, 30 Prozent des Ozeans zu schützen, was andere multilaterale Prozesse in die Länge ziehen würde. Wenn Fragen rund um Schutzgebiete auf hoher See nicht im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS) gelöst werden können, wäre das Ziel nicht möglich.
- Was für 30 Prozent? Einige Länder befürchten, dass eine Fokussierung auf Quantität über Qualität zum Schutz von Gebieten mit geringem Erhaltungswert führen wird, nur um die Zahlen zu bilden. Doch wie sollten Qualitätsziele festgelegt werden? Der Rahmenentwurf sagt das nicht. Ein weiteres Problem ist, dass Reservate in der Vergangenheit meist funktioniert haben, indem sie menschliche Aktivitäten ausgeschlossen haben.
Das 30×30 Ziel würde die Ausweitung von Schutzgebieten vorsehen, und es gibt Bedenken, dass dies die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, die gerade in Regionen mit besonderer biologischer Vielfalt leben, beeinträchtigen könnte. Einige NGOs sind daher ambivalent oder sogar gegen das Ziel.
Finanzierung und Umsetzung
Der Rahmenentwurf weist auf eine jährliche Finanzierungslücke von 700 Milliarden US-Dollar hin. Woher soll dieses Geld kommen? Alle reden gerne über den Ausbau der Finanzierungsquellen, die Nutzung nichtstaatlicher Akteure und insbesondere des Privatsektors, aber die sog Entwicklungsländer sind sich darüber im Klaren, dass sie mehr Geld von den Regierungen der Industrieländer sehen wollen — da dies die zuverlässigste Finanzierungsquelle ist.
Bei der Abschlusszeremonie betonte die Afrikanische Gruppe erneut die Notwendigkeit eines speziellen Biodiversitätsfonds sowie die Bedeutung von Technologietransfer und Kapazitätsaufbau. Die Lateinamerika- und Karibikgruppe warnte, dass zwei Jahre der Pandemie zu einem beispiellosen Mangel an Mitteln geführt hätten, was die Erfüllung von Verpflichtungen schwierig mache. “Eine echte Verpflichtung zur Bereitstellung von Ressourcen ist eine der wichtigsten Änderungen, die vorgenommen werden müssen, wenn wir die aktuelle Biodiversitätskrise stoppen und umkehren wollen”, sagt die Gruppe.
Die EU und andere Industrieländer hielten an ihrer bestehenden Haltung fest: Es müssen mehr private Mittel mobilisiert werden, und Hilfsgelder dürfen nicht in schädliche Subventionen fließen. Im vergangenen Jahr veröffentlichten das Paulson Institute und andere internationale Organisationen einen Bericht über die Finanzierung der biologischen Vielfalt und stellten fest, dass die Umleitung von Agrar‑, Forst- und Fischereisubventionen, die der Biodiversität schaden, fast 300 Milliarden US-Dollar freisetzten würden. Wir kennen diese Gegenrechnungen bereits von unserer klimaschädlichen Subventionspolitik. Ein Thema, was in der Bundestagswahl leider auch viel zu kurz kam und in den aktuellen Koalitionsverhandlungen nicht stattfindet. Nun auch keine Versprechen in Kunming. Die NGOs werden es schon richten?
Dagegen hat der französische Präsident Emanuel Macron wiederum 30 Prozent der Klimafinanzierung des Landes für die biologische Vielfalt zugesagt, und Großbritannien versprach, dass ein großer Teil seiner zusätzlichen Klimafinanzierung für die biologische Vielfalt ausgegeben würde. Trotzdem bleibt dies eine Umverteilung von Klimaschutzmitteln und kein Versprechen von neuem Geld.
Chinas wichtige Rolle
Chinas Rolle als Gastgeber ist mit hohen Erwartungen verbunden. Auf einer Pressekonferenz zum Ende der ersten Phase der COP15 fragte ein deutscher Reporter Huang Runqiu, Vorsitzender der Konferenz und Chinas Umweltminister, ob sich China zum 30×30 Ziel verpflichten wolle. Huang gab keine endgültige Antwort, deutete aber an, dass China als Gastgeber daran arbeiten werde, einen Konsens zu erreichen und ehrgeizige Ziele zu erreichen.
Dies ist das erste Mal, dass einer der führenden Politiker Chinas dies ausdrücklich betont, und es ist ein äußerst wichtiger Schritt im Kontext globaler Maßnahmen für die biologische Vielfalt. China hat auch die globale Biodiversitäts-Governance außerhalb der Konferenz gefördert, zum Beispiel in bilateralen Partnerschaften. Während des hochrangigen Umwelt- und Klimadialogs zwischen China und der EU kamen beide Seiten überein, die weltweite Entwaldung zu reduzieren, indem sie die Zusammenarbeit bei der Erhaltung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern, der Nachhaltigkeit der Lieferkette und der Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags und des damit verbundenen Handels verstärken.
Das heißt analog zur internationalen Klimadebatte, wird auch der globale Biodiversitätsschutz von China abhängig sein. Die internationale Staatengemeinschaft ist sich dessen bewusst, während wir noch über mögliche Finanzminister diskutieren.