Meistens ist es der Hunger, der die sonst eher scheuen Orang-Utans in die Nähe von Menschen treibt. Mit jedem abgeholztem Baum schwindet ihr Lebensraum und dann müssen die friedlichen Menschenaffen anderswo nach Nahrung suchen. Das kann zu einem Problem werden, wenn ein Orang-Utan in einem von Menschen bewohnten Gebiet auftaucht. Genau das geschah vor einigen Wochen im Dorf Loesan in Ost-Kalimantan…
Freilebende Orang-Utans meiden normalerweise die Nähe zum Menschen
Die Bilder des imposanten Männchens mit seinen ausgeprägten Backenwülsten tauchten zuerst in den Sozialen Medien auf. Ein Video zeigte, wie der Orang-Utan von einem Bewohner des Dorfes mit Bananen, Jackfruits und Dosenmilch gefüttert wurde. Es war insgesamt ein merkwürdiges Szenario, da freilebende Orang-Utans den direkten Kontakt mit Menschen normalerweise meiden. Und tatsächlich waren die Menschen anfangs auch etwas erschrocken, als das große Tier plötzlich mitten im Ort auftauchte. Doch das Männchen verhielt sich völlig friedlich. So kamen die Dorfbewohner auf die Idee, ihn zu füttern – das war vielleicht gut gemeint, aber tatsächlich sollten Wildtiere nie mit menschlicher Nahrung gefüttert werden, die sich stark von ihren natürlichen Nahrungsquellen unterscheidet!
Das Rettungsteam machte sich sofort auf den Weg

Direkt nach der Ankunft des Menschenaffens riefen die Dorfbewohner die indonesische Naturschutzbehörde BKSDA an, die offiziell die erste Anlaufstelle für die Rettung von Orang-Utans ist. Sie stellte umgehend ein Team aus der Wildtierrettungsgruppe der BKSDA sowie Tierärzten und Pflegern von BOS zusammen. Die Gruppe machte sich sofort auf den Weg. Doch als sie im Dorf ankamen, war das Tier nirgends zu sehen. Das Männchen hatte sich ruhig wieder in den Wald zurückgezogen. Das Rettungsteam blieb in der Gegend und stellte eigenen Erkundungen an. Es dauerte vier Tage, dann tauchte der Orang-Utan im benachbarten Wald wieder auf.
Der Tierarzt machte den ersten Check direkt vor Ort
Das Team schaffte es, das Männchen zu sedieren und einzufangen. Bevor es zurück ins Rettungszentrum ging, führte unser aus Samboja Lestari mitgereister Tierarzt eine erste medizinische Untersuchung durch. Dabei stellte er fest, dass der Orang-Utan einen missgebildeten linken Zeigefinger und einen unter die Haut implantierten Mikrochip hatte – ein sicheres Zeichen dafür, dass das Tier schon einmal in menschlicher Obhut war! Eine Zahnuntersuchung ergab, dass das Männchen etwas zwanzig Jahre alt war. Das Team brachte ihn nach Samboja Lestari zur weiteren Untersuchung und gab ihm den vorläufigen Namen Loesan, nach dem Dorf, wo er eingefangen wurde.
Ankunft im Quarantänegehege

Wie alle Neuankömmlinge kam „Loesan“ erst einmal in das Quarantänegehege und wurde rund um die Uhr beobachtet. Diese Vorsichtsmaßnahme verhindert, dass Krankheiten in das Zentrum eingeschleppt werden. Das Veterinärteam führte eine gründliche Untersuchung durch, um seinen Gesundheitszustand genauer zu prüfen und Daten über ihn zu sammeln: Nach Abstrichen im Nasen- und Rachenraum sowie rektal wurde das Männchen geröntgt, Zähne und Zahnfleisch wurden untersucht und es wurden Proben von Blut, Sputum und Haaren entnommen. Er wurde gewogen (69 Kilogramm) und erhielt ein Entwurmungsmittel. Zuletzt noch Fingerabdrücke und DNA-Analyse. Alle Tests und entnommenen Proben zeigten, dass der Orang-Utan bei guter Gesundheit war.

Der Mikrochip enthüllte eine kleine Sensation
Ein besonders interessanter Fund war der Mikrochip, der unter seiner Haut implantiert war. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Orang-Utan irgendwann in seiner Vergangenheit in einem Rehabilitationszentrum gewesen sein muss – dort werden alle Tiere mit einem solchen Mikrochip versehen, wenn sie ausgewildert werden.
Unser Team las den Mikrochip mit einem speziellen Scanner aus und verglich die Informationen mit unseren Bestandsdaten für Samboja Lestari – und die Überraschung war perfekt: Bei dem Männchen handelte es sich um Uli! Er war am 6. Februar 1998 aus Palangka Raya in Zentralkalimantan gerettet und nach Wanariset — unserem alten Orang-Utan-Rehabilitationszentrum — in Ostkalimantan gebracht wurde. Knapp eineinhalb Jahre später im September 1999 wurde er in einem sehr jungen Alter im Meratus Mountain Protection Forest ausgewildert. Jetzt ist Loesan, alias Uli, ungefähr 24 Jahre alt — er hat über 20 Jahre lang unabhängig von Menschen überlebt!
Nach der Zwischenstation wieder in die Wildnis zurück

Uli bleibt noch ein paar Monate unter Beobachtung in Quarantäne, bevor wir ihn auf eine unserer Vorauswilderungsinseln bringen. Dort soll er noch mal beweisen, dass er ohne menschliche Unterstützung im Regenwald leben kann, bevor wir ihn – weitab von menschlichen Siedlungen – wieder in der Wildnis Borneos auswildern können.
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