Bisher wurde neckendes Verhalten bei Menschenaffen in wissenschaftlichen Studien als eine Form von Aggression oder Spiel abgetan und nicht weiter untersucht. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass mehr dahintersteckt. Bereits bei Kleinkindern ab einem Alter von unter einem Jahr kann man schon beobachten, dass sie Andere spielerisch necken (1–3). So halten sie beispielsweise der Mutter ein Spielzeug hin und ziehen es dann wiederholt spielerisch zurück – im letzten Moment, sobald die Mutter danach greifen möchte.
Oder es werden beabsichtigt Handlungen wiederholt ausgeführt, von denen das Kind genau weiß, dass diese verboten sind. Wie etwa den Herd einschalten. Man kann Kleinkinder auch dabei beobachten, wie sie absichtlich bestimmte Tätigkeiten der Eltern stören. Beispielsweise ständiges Hineingreifen, während das Elternteil etwas schreibt, liest oder wenn das Kind einen Erwachsenen wiederholt beim Schlafen stört.
Bei all diesen Situationen kann man beobachten, dass die Kinder dabei aktiv in das Gesicht der jeweiligen Person blicken, lachen und auf eine emotionale Reaktion des Anderen warten. Sie scheinen vor allem nach positiven emotionalen Reaktionen zu suchen, denn Handlungen, die zu negativen Reaktionen der Eltern führen, werden selten wiederholt (4). Durch das spielerische Necken können soziale Grenzen ausgetestet und bei gegenseitigem Spaß, sogar die Beziehung untereinander gestärkt werden. Ganz nach dem Motto, „was sich liebt das neckt sich“.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist spielerisches Necken besonders faszinierend.
Zum Beispiel scheint ein Kind vorherzusehen, dass die Mutter nach dem Spielzeug greifen wird, und dass ein vorzeitiges Zurückziehen einen Moment der Überraschung provoziert. Damit wird also die Erwartungshaltung der Mutter, nämlich den Gegenstand zu erhalten, nicht erfüllt. Das Kind ist sich also der Erwartung der Mutter bewusst und weist diese absichtlich zurück (5). Die Fähigkeit, Gefühle, Bedürfnisse und Absichten bei Anderen zu vermuten – also eine Art Gedankenlesen: „Wenn ich das tue, werde ich sie damit überraschen“ – gehört zu den höheren, bis vor kurzem für rein menschlich gehaltenen, Fähigkeiten. Obwohl dieses Thema von Experten derzeit noch strittig diskutiert wird, so gibt es erste Hinweise darauf, dass Menschenaffen zumindest Vorstufen dieser Fähigkeit besitzen (e.g. 6).
Zeigen Menschenaffen auch spielerisches Necken?
Unsere nächsten Verwandten kommunizieren über Laute, Körpersprache und Gesten. Sie zeigen eine ausgeprägte Mimik, verfügen über ein komplexes Sozialleben und eine hohe Intelligenz. Was etwa die Mimik betrifft, so gibt es einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten zu menschlichen Gesichtsausdrücken (7). Wenn Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos miteinander spielen, zeigen sie das sogenannte „Spielgesicht“. Dabei ist der Mund entspannt geöffnet und die oberen Schneidezähne von der herabhängenden Oberlippe bedeckt. Beim vollen Spielgesicht sind auch die oberen Schneidezähne sichtbar. Manchmal kann beim Spielen oder beim sich gegenseitigem Kitzeln sogar Lachen vernommen werden, das in vielerlei Hinsicht mit menschlichem Lachen vergleichbar ist (8).
Doch zeigen sie auch ähnliche Formen von spielerischem Necken wie Kleinkinder?
Es gibt erste Hinweise darauf, dass Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos, das zuvor bei Kindern beschriebene spielerische Anbieten und Zurückziehen von Gegenständen zeigen (9–11). In den beobachteten Fällen wurden die Handlungen mehrmals, auf spielerische Art und Weise wiederholt.
Im Bild unten sieht man, wie ein männlicher Orang-Utan auf der linken Seite, ein Weibchen, das sich auf der rechten Seite befindet, mit einem Stecken neckt. Sobald sie danach greift, zieht er ihn zurück. Kurz danach wedelt er mit dem Stecken direkt vor ihrem Gesicht. Als sie daraufhin versucht, in den Stecken hineinzubeißen, zieht er ihn schnell wieder zurück (5).
Es gibt auch einige wenige anekdotische Beschreibungen, in denen ein Menschenaffe scheinbar bewusst etwas anderes, als das von ihm erwünschte, tut. Ein Beispiel: Das Gorilla- Weibchen Koko war in einer modifizierten Form der amerikanischen Gebärdensprache ausgebildet. Manchmal gab sie scheinbar beabsichtigt falsche Antworten auf Fragen, auf die sie laut Aussage ihrer Betreuerin die richtige Antwort kannte. Auf die Frage „Was benutzt Penny, um ihre Zähne zu putzen?“ signalisierte Koko „Fuß“. Als Antwort auf die nächste Frage „Was tut Penny auf ihre Zahnbürste?“ signalisierte sie „Nase“, um daraufhin den Fuß zur Nase zu bringen und ein Spielgesicht zu zeigen (12).
Auch die dritte Form von kindlichem spielerischem Necken wurde bereits bei Menschenaffen beschrieben. Zum Beispiel berichtete die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall davon, wie junge Schimpansen ältere Tiere beim Schlafen störten, indem sie auf sie sprangen, sie spielerisch bissen und an den Haaren zogen. Die Erwachsenen reagierten darauf weitestgehend gelassen, manchmal sogar mit Spiel (e.g. 13).
Nicht-verbales neckendes Verhalten könnte demnach ein evolutionär altes Verhalten sein, das möglicherweise bereits unser gemeinsamer Vorfahre zeigte. Um genaue Rückschlüsse zu ziehen, und mögliche Formen und Funktionen des spielerischen Neckens zu erforschen, sind allerdings noch weitere Studien nötig.
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie, diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Werden auch Sie zum BOS-Unterstützer. Mit ihrer Spende helfen sie den Orang-Utans und dem Regenwald, der Heimat dieser und anderer besonderer Tiere. Jeder Beitrag hilft.
Dr. Isabelle Laumer arbeitet derzeit an der UCLA an einem Projekt über spielerisches Necken, Freude und Humor bei Menschenaffen. Sie freut sich schon, Ihnen bald noch mehr über dieses faszinierende Verhalten bei unseren nächsten Verwandten zu berichten.
Referenzen:
1. Mireault G, Reddy V. 2016 Humor in infants. Cham, Switzerland: Springer.
2. Reddy V. 1991 Playing with others’ expectations: teasing and mucking about in the first year. In natural theories of mind: evolution, development and simulation of everyday mindreading. Cambridge, MA: Basil Blackwell.
3. Reddy V, Mireault G. 2015 Teasing and clowning in infancy. Curr. Biol. 25, R20–R23.
4. Reddy V. 1991 Playing with others’ expectations: teasing and mucking about in the first year. In natural theories of mind: evolution, development and simulation of everyday mindreading. Cambridge, MA: Basil Blackwell.
5. Eckert J, Winkler SL, Cartmill EA. 2020 Just kidding: the evolutionary roots of playful teasing. Biol. Lett. 16: 20200370.
6. Krupenye C, Kano F, Hirata S, Call J, Tomasello M, 2016. Great apes anticipate that other individuals will act according to false beliefs. Science, 7 : 110–114.
7. M. E. Kret, E. Prochazkova, E. H.M. Sterck, Z. Clay, 2020 Emotional expressions in human and non-human great apes, Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 115, 378–395.
8. M. Davila Ross, M. J Owren, E. Zimmermann, 2009 Reconstructing the Evolution of Laughter in Great Apes and Humans, Current Biology 19, 1106–1111.
9. Call J, Tomasello M. 2007 The gestural repertoire of chimpanzees (pan troglodytes). In The gestural communication of apes and monkeys, pp. 17–39. New York, NY: Taylor & Francis Group/Lawrence Erlbaum Associates.
10. Cartmill EA, Byrne RW. 2010 Semantics of primate gestures: intentional meanings of orangutan gestures. Anim. Cogn. 13, 793–804.
11. Krupenye C, Tan J, Hare B. 2018 Bonobos voluntarily hand food to others but not toys or tools. Proc. R. Soc. B 285, 20181536.
12. Hiller B, Patterson PG. 1986 Conversations with Koko. Gorilla Journal. 10, 7–8.
13. Van Lawick-Goodall J. 1968 The behaviour of free living chimpanzees in the Gombe stream reserve. Anim. Behav. Monogr. 1, 161-IN12.