Bis vor kurzem wurde noch von manchen Forschern argumentiert, dass Tiere “stuck in time” wären, also nicht fähig, die Welt in voller zeitlicher Komplexität mit Vergangenheit und Zukunft wahrzunehmen. Jedoch gibt es mittlerweile einige Studien, die dies widerlegen. Menschenaffen haben eine sehr gute Erinnerungsfähigkeit. Sie können viele Jahre zuvor erlernte Informationen und Fähigkeiten abrufen, wie beispielsweise die Technik, um ein bestimmtes Werkzeug herzustellen (1). Doch was für Formen von Gedächtnis gibt es überhaupt? Und wie versuchen Forscher, dieses bei unseren nächsten Verwandten nachzuweisen?
Gedächtnis bezeichnet die Fähigkeit — bewusst oder unbewusst — Informationen umzuwandeln, zu speichern und sie wieder abzurufen. Dabei werden Information entweder kurzzeitig im Kurzzeitgedächtnis, oder für einen längeren Zeitraum im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Eine Subkomponente des Langzeitgedächtnisses ist das Episodische Gedächtnis. In diesem kann abgerufen werden, „was“, „wo“ und „wann“ passiert ist. Da Tiere uns nicht verbal mitteilen können, an was genau sie sich erinnern können, sind erfahrene Kognitionsbiologen und Primatologen gefragt.
In Bezug auf das „wann“, so konnte gezeigt werden, dass ein Gorilla namens King sich daran erinnern konnte, was er vor kurzem (vor ca. 7 Minuten) und 24 Stunden zuvor gegessen hatte (2). King erhielt von der Forscherin entweder einen Apfel, eine Banane, eine Birne, eine Orange oder Weintrauben. Nach dem Zeitintervall reichte ihm der Tierpfleger, der bei der Fütterung nicht anwesend war, fünf verschiedene Symbolkarten, die das jeweilige Futter darstellten. King konnte sich sowohl nach der kurzen, als auch nach der längeren Zeitdauer an das jeweilige Obst erinnern. Auf die Frage „Was hast du gegessen?“, gab er dem Pfleger die richtige Karte zurück. Und er konnte sich sogar an die jeweilige Person erinnern, die ihm das Obst gegeben hatte. Auf die Frage „Wer hat dir das Futter gegeben?“ wählte er nach der kurzen, sowie nach der langen Zeitspanne die richtige Symbolkarte für einen der zwei Forscher aus.
In einer weiteren Studie konnten Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos beobachten, wie zwei Leckerbissen, eine Weintraube und Fruchteis („was“), getrennt voneinander versteckt wurden (“wo“; 3). Nach fünf Minuten konnten die Menschenaffen zwischen den beiden Verstecken wählen. Nach dieser kurzen Zeitdauer entschieden sie sich für das schnell schmelzende Fruchteis. Nach einer Stunde Wartezeit („wann“) wählten sie das Versteck mit der Weintraube. Eine kluge Entscheidung, denn das Fruchteis war zu diesem Zeitpunkt längst geschmolzen und nicht mehr verfügbar.
Spontane episodische Erinnerungen, sind Erinnerungen an persönliche vergangene Ereignisse, die spontan ins Gedächtnis gerufen werden, ohne dass die Information vorher abgerufen wurde (4). Zum Beispiel kann ein einziger Hinweis, wie etwa ein Duft oder eine andere Wahrnehmung bei uns Menschen eine spontane autobiografische Erinnerung an etwas Vergangenes auslösen. Ist das bei Menschenaffen auch der Fall?
Orang-Utans und Schimpansen des Leipziger Zoos erinnerten sich nach drei Jahren an ein bestimmtes Werkzeug-Versteck Ereignis, als sie mit derselben Wissenschaftlerin, am selben Ort mit einer Werkzeugaufgabe konfrontiert wurden, die sie drei Jahre zuvor schon einmal erlebt hatten: ein Bananenstück auf einer Plattform außerhalb des Innengeheges (5). Zielstrebig suchten sie sofort in einem der Nebenräume in einer von zwei möglichen Boxen nach einem langen Stab, mit dem sie vor drei Jahren ein Stück Banane von genau dieser Plattform angelten. Dann transportierten sie es zur Plattform, um das Werkzeug zu verwenden und an den Leckerbissen heranzukommen. Und dies, obwohl sie in den vergangenen drei Jahren an anderen Aufgaben mit derselben Forscherin teilgenommen hatten. Erst die spezielle Werkzeugaufgabe löste dieses erstaunliche Verhalten aus, bei dem anscheinend die Erinnerung an das lang zurückliegende Versteckereignis getriggert wurde (5).
Zusammenfassend legen diese Ergebnisse nahe, dass mindestens zwei Menschenaffenarten, Orang-Utans und Schimpansen, sich für eine lange Zeitdauer an bestimmte Ereignisse erinnern und diese Erinnerung spontan abrufen können, um ein bestimmtes Problem zu lösen (5). Drei Jahre ist eine sehr lange Zeitspanne – nicht nur für Menschenaffen, sondern auch für uns Menschen.
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie, diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Jeder Beitrag hilft.
Text: Dr. Isabelle Laumer
Referenzen:
1. Vale, G. L., Flynn, E. G., Pender, L., Price, E., Whiten, A., Lambeth, S. P., Kendal, R. L. (2016). Robust retention and transfer of tool construction techniques in chimpanzees (Pan troglodytes). Journal of Comparative Psychology, 130(1), 24–35.
2. Schwartz B.L., Colon, M.R., Sanchez I.C., Rodriguez I.A., Evans S. (2002) Single-trial learning of “what” and “who” information in a gorilla (Gorilla gorilla gorilla): implications for episodic memory. Animal Cognition, DOI 10.1007/s10071-002‑0132‑0.
3. Martin-Ordas G., Haun D., Colmenares F., Call J (2010) Keeping track of time: evidence for episodic-like memory in great apes. Anim Cogn 13:331–340.
4. Berntsen, D. (1996). Involuntary autobiographical memories. Applied Cognitive Psychology, 10(5), 435–454.
5. Martin-Ordas G., Berntsen D., Call J. (2013) Memory for distant past events in chimpanzees and orangutans. Current Biology 23, 1438–1441.