17. April 2020

Haus­ge­machte Plagen — ein Kommentar von BOS-Geschäfts­führer Daniel Merdes

April 2020. Wer erin­nert sich noch an die verhee­renden Busch­brände in Austra­lien? Nur wenige Monate sind seitdem vergangen, und schon sind sie durch die nächste Krise fast in Verges­sen­heit geraten. 

Das Corona-Virus domi­niert alle Kanäle, ob medial oder in unseren Köpfen. Wir dürfen aber auf keinen Fall vergessen, dass beide Krisen die Symptome einer Krank­heit sind: des rasanten Zusam­men­bre­chens der welt­weiten Ökosys­teme, das solche Krisen in immer schnel­lerer Abfolge zum Ergebnis hat.

Natür­lich muss in einer Krise schnell und dras­tisch reagiert werden. Alle Mann an Deck. Bzw. wie bei uns ins Home­of­fice. Wir dürfen aber dabei nicht die wesent­lich größere Aufgabe vergessen: die lang­fris­tige Wieder­her­stel­lung der Balance zwischen Menschen und Planeten. 

Das Corona Virus ist eine schreck­liche Kata­strophe für die Mensch­heit. Unbe­stritten. Aber sie ist nicht die erste auf der Liste zoono­ti­scher Krank­heiten (von Tieren auf Menschen über­trag­bare Krankheiten).

Pande­mien als Folge von Habitatsverlust

Die lange Liste von Zoonosen zeigt in den meisten Fällen das gleiche Muster: den voran­ge­gan­genen Konsum von Wild­tieren (entweder in Form von Fleisch oder soge­nannter tradi­tio­neller chine­si­scher oder asia­ti­scher Medizin). Meist an den zerfransten Über­gängen der letzten noch erhal­tenen Regen­wälder dieser ächzenden Erde. Aber zuneh­mend auch – aufgrund von stei­gender Nach­frage bei sinkendem Angebot – aus der Tiefe von bis dato fast unbe­rührten Primärwäldern. 

Der Verlust von natür­li­chen Habi­taten und Biodi­ver­sität und die gleich­zei­tige Zunahme von Tier-Mensch-Kontakten ist das perfekte Rezept für ein Desaster, welches uns jetzt schon wie eine der Plagen aus dem alten Testa­ment vorkommt. Gleich­zeitig warnt die Wissen­schaft seit Jahren und prophe­zeit noch Schlim­meres. In einem aktu­ellen Artikel von John Vidal wird davon ausge­gangen, dass bei weiterem Zurück­drängen von Habi­taten und Biodi­ver­sität zoono­ti­sche Krank­heiten wie Corona weiter zunehmen werden. 

Die aufkom­menden Epide­mien erin­nern mich bild­lich an Stürme oder Brände. Beides gab es schon, bevor der Mensch anfing sich in die letzten Winkel der Erde zu verbreiten. Durch die menschen­ver­ur­sachte Klima­ka­ta­strophe nehmen diese zerstö­re­ri­schen Ereig­nisse aber zu. Regio­na­li­siert auf die deut­schen „Rekord­sommer“ fällt ja immer das Argu­ment, dass es in früheren Jahren mal einen noch heißeren Sommer gab. Das mag stimmen, aber nicht mehrere Sommer in Folge mit entspre­chend heißen Temperaturen. 

In einem ähnli­chen Zusam­men­hang ist die Zunahme von Krank­heiten durch die Zerstö­rung von Ökosys­temen zu betrachten. Durch unser maßloses Eingreifen in intakte Ökosys­teme schaffen wir das Ausbreiten meist vermeid­barer Epidemien. 

Kata­stro­phen wie Brände oder Epide­mien passieren. Ihnen gehört wie im derzei­tigen Kata­stro­phen­fall die volle Aufmerk­sam­keit. Aber um sie lang­fristig zu verrin­gern, führt kein Weg an einer wirk­li­chen Ursa­chen­be­kämp­fung vorbei. 

Globale Probleme brau­chen lokale Lösungen

Aber wie? Globale Probleme zu bekämpfen, beginnt immer mit lokalen Lösungen (und nicht inter­na­tio­nalen Klima­kon­fe­renzen). Was muss sich dring­lich bei uns verän­dern? Antworten können nur system­im­ma­nent gefunden werden. 

Wir erleben täglich (Wirt­schafts-) Geschichte: Erst­malig gibt es in Deutsch­land eine epide­mio­lo­gi­sche Begrün­dung dafür, massen­haft Geld ins System zu pumpen, um den krisen­ge­beu­telten globalen Kapi­ta­lismus zu stabi­li­sieren. Eigent­lich die perfekte Zeit für einen soge­nannten „Green New Deal“: den Umbau unseres wachs­tums­ba­sierten Wirt­schafts­sys­tems auf vorrangig nach­hal­tige Ziele und den Fokus auf Erhalt der lebens­er­hal­tenden Ökosys­teme dieser Erde. 

Dabei waren die abstrakten und akade­mi­sche Debatten der letzten Jahre um eine sozial-ökolo­gi­sche Trans­for­ma­tion nicht hilf­reich bzw. haben ihrem Dunst­kreis nicht entkommen können. Nicht erst im Nach­hinein erstaun­lich ob dieser fahr­läs­sigen Blind­heit unserer Politik- und Wirtschaftseliten. 

Doch wir müssen die Zeichen der Zeit richtig deuten. Lässt sich das, was aktuell wirt­schaft­lich ins Rutschen kommt, mit einem grünen Inves­ti­ti­ons­paket aufhalten? Der Kapi­ta­lismus basiert auf der perma­nenten Erzeu­gung von Einkom­mens­strömen. Arbeit­nehmer brau­chen fort­lau­fendes Arbeits­ein­kommen, um ihren Lebens­un­ter­halt zu bestreiten. Unter­nehmen brau­chen einen perma­nenten Profit­strom, um am Markt bestehen zu bleiben, Anleihen zu verkaufen und ihre Kredite zu bedienen. Da diese Einkom­mens­ströme nun versiegen, tritt zu Tage, was sich über die vergan­genen Jahr­zehnte aufge­baut hat: ein massiver Schul­den­berg, der das Wachstum in der neoli­be­ralen Epoche künst­lich am Laufen gehalten hat. Die Null­zins­po­litik und gewal­tigen Anlei­hen­käufe der Zentral­banken haben diesem System nach der Finanz­krise 2007/2008 weitere Zeit gekauft. Die bisher verab­schie­deten Inves­ti­ti­ons­pa­kete werden nicht ausrei­chen, um den nun zu Tage tretenden ökono­mi­schen Schaden zu begrenzen. Und der ökono­mi­sche Lock-Down wird nicht nur Monate anhalten – er wird in Zyklen wieder­kehren, bis ein Impf­stoff verfügbar ist.

Green New Deal als Lösung?

Ein Green New Deal scheint hier zu kurz zu greifen, er erreicht nicht die Beschäf­ti­gungs- und Refi­nan­zie­rungs­ef­fekte, die dem histo­ri­schen New Deal seine traum­haften Wachs­tums­raten beschert hat. Die Wachs­tums­res­sourcen des globalen Kapi­ta­lismus – auch im wört­li­chen Sinne seiner mate­ri­ellen Ressourcen – sind nach­haltig erschöpft. Dazu kommen exis­ten­ti­elle Bedro­hungen wie die Klima­ka­ta­strophe sowie globale Pande­mien, die eine nach­hal­tige, plan­volle Form des Wirt­schaf­tens erfordern.

Die Debatte um notwen­dige und vernach­läs­sig­bare Produk­tion, die Umstel­lung der Produk­tion etwa von Auto­zu­lie­fe­rern auf Medi­zin­pro­dukte und die staat­liche Stüt­zung der Unter­nehmen bieten hier Ansatz­punkte. Neben den nahe­lie­genden sozi­al­po­li­ti­schen Forde­rungen müssen in den kommenden Monaten Ansätze eines neuen wirt­schafts­po­li­ti­schen Para­digmas disku­tierbar gemacht werden, das in der Lage wäre, eine ökono­mi­sche Alter­na­tive zu bilden. Dieses alter­na­tive Para­digma sollten neben massiver sozialer Umver­tei­lung und dem ökolo­gi­schem Umbau der Wirt­schaft auch Elemente der Verge­sell­schaf­tung und der demo­kra­ti­schen, digital unter­stützen Wirt­schafts­pla­nung

Nicht zuletzt darf die heiße Kartoffel „Bevöl­ke­rungs­wachstum“ nicht den Popu­listen und Rechten über­lassen werden. Statt­dessen muss dieser schmerz­liche Diskurs in die Mitte einer globalen Lösungs­fin­dung und weit entfernt von Stamm­ti­schen alternder Gesell­schaften stattfinden. 

Eine tief­grei­fende Trans­for­ma­tion wird statt­finden. Ein „weiter so“ ist keine Option. In welche Rich­tung sie verläuft – eine sozial-ökolo­gi­sche oder eine auto­ri­täre — ist davon abhängig, wie nun die Weichen gestellt werden. 

 

Daniel Merdes, 16.04.2020