April 2020. Wer erinnert sich noch an die verheerenden Buschbrände in Australien? Nur wenige Monate sind seitdem vergangen, und schon sind sie durch die nächste Krise fast in Vergessenheit geraten.
Das Corona-Virus dominiert alle Kanäle, ob medial oder in unseren Köpfen. Wir dürfen aber auf keinen Fall vergessen, dass beide Krisen die Symptome einer Krankheit sind: des rasanten Zusammenbrechens der weltweiten Ökosysteme, das solche Krisen in immer schnellerer Abfolge zum Ergebnis hat.
Natürlich muss in einer Krise schnell und drastisch reagiert werden. Alle Mann an Deck. Bzw. wie bei uns ins Homeoffice. Wir dürfen aber dabei nicht die wesentlich größere Aufgabe vergessen: die langfristige Wiederherstellung der Balance zwischen Menschen und Planeten.
Das Corona Virus ist eine schreckliche Katastrophe für die Menschheit. Unbestritten. Aber sie ist nicht die erste auf der Liste zoonotischer Krankheiten (von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten).
Pandemien als Folge von Habitatsverlust
Die lange Liste von Zoonosen zeigt in den meisten Fällen das gleiche Muster: den vorangegangenen Konsum von Wildtieren (entweder in Form von Fleisch oder sogenannter traditioneller chinesischer oder asiatischer Medizin). Meist an den zerfransten Übergängen der letzten noch erhaltenen Regenwälder dieser ächzenden Erde. Aber zunehmend auch – aufgrund von steigender Nachfrage bei sinkendem Angebot – aus der Tiefe von bis dato fast unberührten Primärwäldern.
Der Verlust von natürlichen Habitaten und Biodiversität und die gleichzeitige Zunahme von Tier-Mensch-Kontakten ist das perfekte Rezept für ein Desaster, welches uns jetzt schon wie eine der Plagen aus dem alten Testament vorkommt. Gleichzeitig warnt die Wissenschaft seit Jahren und prophezeit noch Schlimmeres. In einem aktuellen Artikel von John Vidal wird davon ausgegangen, dass bei weiterem Zurückdrängen von Habitaten und Biodiversität zoonotische Krankheiten wie Corona weiter zunehmen werden.
Die aufkommenden Epidemien erinnern mich bildlich an Stürme oder Brände. Beides gab es schon, bevor der Mensch anfing sich in die letzten Winkel der Erde zu verbreiten. Durch die menschenverursachte Klimakatastrophe nehmen diese zerstörerischen Ereignisse aber zu. Regionalisiert auf die deutschen „Rekordsommer“ fällt ja immer das Argument, dass es in früheren Jahren mal einen noch heißeren Sommer gab. Das mag stimmen, aber nicht mehrere Sommer in Folge mit entsprechend heißen Temperaturen.
In einem ähnlichen Zusammenhang ist die Zunahme von Krankheiten durch die Zerstörung von Ökosystemen zu betrachten. Durch unser maßloses Eingreifen in intakte Ökosysteme schaffen wir das Ausbreiten meist vermeidbarer Epidemien.
Katastrophen wie Brände oder Epidemien passieren. Ihnen gehört wie im derzeitigen Katastrophenfall die volle Aufmerksamkeit. Aber um sie langfristig zu verringern, führt kein Weg an einer wirklichen Ursachenbekämpfung vorbei.
Globale Probleme brauchen lokale Lösungen
Aber wie? Globale Probleme zu bekämpfen, beginnt immer mit lokalen Lösungen (und nicht internationalen Klimakonferenzen). Was muss sich dringlich bei uns verändern? Antworten können nur systemimmanent gefunden werden.
Wir erleben täglich (Wirtschafts-) Geschichte: Erstmalig gibt es in Deutschland eine epidemiologische Begründung dafür, massenhaft Geld ins System zu pumpen, um den krisengebeutelten globalen Kapitalismus zu stabilisieren. Eigentlich die perfekte Zeit für einen sogenannten „Green New Deal“: den Umbau unseres wachstumsbasierten Wirtschaftssystems auf vorrangig nachhaltige Ziele und den Fokus auf Erhalt der lebenserhaltenden Ökosysteme dieser Erde.
Dabei waren die abstrakten und akademische Debatten der letzten Jahre um eine sozial-ökologische Transformation nicht hilfreich bzw. haben ihrem Dunstkreis nicht entkommen können. Nicht erst im Nachhinein erstaunlich ob dieser fahrlässigen Blindheit unserer Politik- und Wirtschaftseliten.
Doch wir müssen die Zeichen der Zeit richtig deuten. Lässt sich das, was aktuell wirtschaftlich ins Rutschen kommt, mit einem grünen Investitionspaket aufhalten? Der Kapitalismus basiert auf der permanenten Erzeugung von Einkommensströmen. Arbeitnehmer brauchen fortlaufendes Arbeitseinkommen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Unternehmen brauchen einen permanenten Profitstrom, um am Markt bestehen zu bleiben, Anleihen zu verkaufen und ihre Kredite zu bedienen. Da diese Einkommensströme nun versiegen, tritt zu Tage, was sich über die vergangenen Jahrzehnte aufgebaut hat: ein massiver Schuldenberg, der das Wachstum in der neoliberalen Epoche künstlich am Laufen gehalten hat. Die Nullzinspolitik und gewaltigen Anleihenkäufe der Zentralbanken haben diesem System nach der Finanzkrise 2007/2008 weitere Zeit gekauft. Die bisher verabschiedeten Investitionspakete werden nicht ausreichen, um den nun zu Tage tretenden ökonomischen Schaden zu begrenzen. Und der ökonomische Lock-Down wird nicht nur Monate anhalten – er wird in Zyklen wiederkehren, bis ein Impfstoff verfügbar ist.
Green New Deal als Lösung?
Ein Green New Deal scheint hier zu kurz zu greifen, er erreicht nicht die Beschäftigungs- und Refinanzierungseffekte, die dem historischen New Deal seine traumhaften Wachstumsraten beschert hat. Die Wachstumsressourcen des globalen Kapitalismus – auch im wörtlichen Sinne seiner materiellen Ressourcen – sind nachhaltig erschöpft. Dazu kommen existentielle Bedrohungen wie die Klimakatastrophe sowie globale Pandemien, die eine nachhaltige, planvolle Form des Wirtschaftens erfordern.
Die Debatte um notwendige und vernachlässigbare Produktion, die Umstellung der Produktion etwa von Autozulieferern auf Medizinprodukte und die staatliche Stützung der Unternehmen bieten hier Ansatzpunkte. Neben den naheliegenden sozialpolitischen Forderungen müssen in den kommenden Monaten Ansätze eines neuen wirtschaftspolitischen Paradigmas diskutierbar gemacht werden, das in der Lage wäre, eine ökonomische Alternative zu bilden. Dieses alternative Paradigma sollten neben massiver sozialer Umverteilung und dem ökologischem Umbau der Wirtschaft auch Elemente der Vergesellschaftung und der demokratischen, digital unterstützen Wirtschaftsplanung.
Nicht zuletzt darf die heiße Kartoffel „Bevölkerungswachstum“ nicht den Populisten und Rechten überlassen werden. Stattdessen muss dieser schmerzliche Diskurs in die Mitte einer globalen Lösungsfindung und weit entfernt von Stammtischen alternder Gesellschaften stattfinden.
Eine tiefgreifende Transformation wird stattfinden. Ein „weiter so“ ist keine Option. In welche Richtung sie verläuft – eine sozial-ökologische oder eine autoritäre — ist davon abhängig, wie nun die Weichen gestellt werden.
Daniel Merdes, 16.04.2020