Es war 4 Uhr morgens, als wir das Lager verließen. Die Dunkelheit ließ den Urwald immer noch als nur schwache Silhouette alter, mächtiger Bäume und ihrer Vielzahl von Epiphyten und Lianen erscheinen. Der Fluss war in frühen Morgennebel gehüllt, und alles, was man hören konnte, waren die eindringlichen Laute von Gibbons, die in der Ferne hallten.
Die Techniker der BOS Foundation, Otong und Tukijo, starteten das Boot. Wir rasten durch die Dunkelheit das gewundene Flussnetz hinunter, während das schnelle Tuckern des Motors uns vibrieren ließ. Beide Techniker waren in lokalen Dayak-Dörfern aufgewachsen, und es war offensichtlich, dass sie ein umfassendes Wissen über die Gegend besaßen, als sie sich leicht durch den Friedhof umgestürzter Bäume navigierten, die halb im Fluss versunken waren. Während wir uns unserem Ziel näherten, brach die Morgendämmerung an und beleuchtete einen purpurroten Himmel. Der Motor tuckerte noch in seinen letzten Zügen, und wir ließen uns auf das Flussufer zutreiben, das von Schlamm und Abfall gepolstert war. Es war Zeit auszusteigen.
Als Tukijo und ich in das dichte Unterholz eindrangen, begann ein Orchester aus Vögeln, Insekten und Primaten im ganzen Wald ein wahres Crescendo. Der Dschungel erwachte. Von unserem vertrauenswürdigen GPS geleitet, näherten wir uns Kisars Schlafnest. In dem Augenblick begannen die Bäume begonnen zu schwanken und sich unter einem enormen Gewicht zu wiegen. Eine riesige Gestalt in langen roten Haaren schwang sich durch den Baldachin. Es war Frühstückszeit für den gutaussehenden Mann mit Bart, und eine Frucht, bekannt als Tapang, stand auf der Speisekarte. Der sanfte Riese saß in den Bäumen und schluckte an den reifen, saftigen Früchten. Ich saß auf einem Holzstamm, während ich Daten sammelte und den Kaugeräuschen dieses zufriedenen Wesens lauschte.
Einige Zeit war vergangen, und Kisars neugierige Natur schien jetzt zu siegen. Er interessierte sich nicht mehr für sein Frühstück, sondern beschäftigte sich zunehmend mit unserer Anwesenheit. Er umschlang einen Baum, seine Arme und Beine fest darum gewickelt. In einer schnellen Bewegung rutschte er den Stamm hinab, und mit einem leisen Knall schlug sein Hintern auf den Boden. Ich muss zugeben, dass er ziemlich komisch dabei aussah. Trotzdem entfernten wir uns, um bald zu entdecken, dass Kisar uns wie zufällig folgte. Nach ein paar Metern hielt er an und rollte sich auf den Rücken, die Arme hinter den Kopf gestützt. Er lag da wie ein sonnenbadender Wookiee mit glasigen Hündchenaugen.
Zum Glück war Kisar nach einer ersten Inspektion schnell von den haarlosen Wesen mit Klemmbrettern unter den Armen gelangweilt. Das Essen kam ihm wieder in den Sinn, und er kletterte wieder hoch in den Baldachin aus Blättern. Kisar war praktisch nicht mehr zu sehen, aber wir wussten, dass er dort war, weil wir die bekannten Geräusche eines fressenden Orang-Utans wahrnahmen. Die Mittagszeit rückte näher, und der Wald lag still und friedlich da. Es fühlte sich an, als würde alles Leben nach Erleichterung von der saunaähnlichen Hitze der Tropen suchen. Alles war still, bis auf den kleinen Meranti-Zweig, der blütenlos zu Boden schwebte.
Schließlich wurde die Ruhe aber durch ein plötzliches Krachen unterbrochen, als Kisar hektisch vom Baldachin herabstieg. Er hatte die summenden Bewohner eines Bienenstocks verärgert. Indem er seine großen, fleischigen Finger in den klebrigen Honig steckte, hatte er die harte Arbeit der beschäftigten Bienen zerstört. Sie waren, gelinde gesagt, nicht erfreut und hatten Kisar als Vergeltung umschwärmt und ihm ins Gesicht und in die Hände gestochen. Eine Wolke wütender Bienen folgte Kisar, als er wie ein Elefant in einem Porzellanladen durch den Wald sprang. Er fand schließlich Erleichterung am Fluss, wo er Wasser über sein Gesicht spritzte. Nachdem die Bienen die Jagd aufgegeben hatten, ruhte er sich eine Zeit lang mit einem mürrischen Ausdruck auf seinem wunden, zerstochenen Gesicht aus.
Wir folgten Kisar in den folgenden Tagen weiter, um ausreichende Daten über sein Verhalten nach seiner Freilassung im Jahr 2019 zu sammeln. Es war eine unglaubliche Erfahrung, ihn so komfortabel an sein neues Zuhause angepasst zu erleben. Er futterte den ganzen Tag über große Mengen und verbrachte viel Zeit hoch oben im Baldachin. Einmal zeigte er sogar dominante Verhaltensweisen, die die Aufmerksamkeit einer jungen Frau namens Garu auf sich zogen. Während wir seinen Alltag weiterhin überwachen, freuen wir uns, dass alles auf eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Natur hindeutet. Genieße Dein neues Waldheim, Kisar!
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