Penelope Coulter durfte acht Monate als Volontärin bei der BOS Foundation in Kehje Sewen ausgewilderte Orang-Utans beobachten. Jetzt ist ihr Abenteuer in Borneo zu Ende. Zum Abschluss lesen Sie hier die aufregenden Erlebnisse ihrer letzten Woche unter den neuen Wilden.
Acht Monate habe ich als Volontärin bei der BOS Foundation in Ost-Kalimantan verbracht. Ich gehörte einem Team an, das die von BOS ausgewilderten Orang-Utans in ihrem neuen Lebensraum beobachtet. Während meiner letzten Woche im Regenwald von Kehje Sewen traf ich einige der ausgewilderten Orang-Utans wieder und konnte Neues über ihre Aufenthaltsorte und Aktivitäten beobachten und auswerten.
So auch Yayang und ihre Töchter Sayang und Louise, auf die ich bereits einige Wochen zuvor getroffen war. Damals war das sieben Jahre alte Orang-Utan-Weibchen Sayang allein im Regenwald unterwegs. Aber wir wussten, dass ihre Mutter Yayang und deren zweites Baby Louise nicht weit entfernt sein konnten. Auch wenn Sayang gerne für ein paar Tage ihre Unabhängigkeit genießt, kehrt sie nach einiger Zeit doch noch immer zu ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester zurück.
Ein ganz normales Verhalten für ihr Alter.
Als Volontärin im Monitoring-Team brachte ich nicht nur Stunden damit zu, zu überwachen, ob die ausgewilderten Orang-Utans gut in der Wildnis zurechtkommen. Auch auf Fragen zum Verhalten der Tiere versuchen wir nach Möglichkeit Antworten zu finden. Wann beschließt ein Orang-Utan zum Beispiel, wieder allein im Wald auf Erkundungstour zu gehen, nachdem er Zeit mit anderen Artgenossen verbracht hat? Oder anders gefragt: Was bringt Orang-Utans – die ja eigentlich Einzelgänger sind – dazu, sich zeitweise doch zu Gruppen zusammenzuschließen?
Bei der Rückkehr von meiner vorletzten Patrouille raschelte es plötzlich laut im Blätterdach direkt über uns. Einige Kollegen haben im Laufe der Jahre gelernt, bestimmte Orang-Utans schon von weitem zu erkennen. Zum Teil nur anhand der Bewegungen in den Blättern wissen sie, welcher Orang-Utan sich da gerade nähert, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. An diesem Tag ahnten wir daher bereits, dass wir gleich auf Sayang treffen würden. Gerade als ich mich fragte, ob sie noch immer alleine unterwegs war, tauchte auch Casey direkt neben Sayang zwischen den Bäumen auf. Es machte den Eindruck, als hätten sich Sayang und Casey angefreundet. Es war fantastisch, den beiden zuzusehen, wie sie gemeinsam auf Futtersuche gingen, kuschelten und durch den Wald tollten. Zurück im Camp fragten wir uns, ob das nun der endgültige Anfang von Sayangs Unabhängigkeit sein würde. Denn nur ein paar Tage zuvor hatte ich ihre Mutter und ihre kleine Schwester im Dschungel getroffen. Und Sayang war weit und breit nicht zu entdecken.
Gerade als Volontärin war es für mich außergewöhnlich, zu erleben, welche ständig wechselnden Beziehungen die Orang-Utans untereinander eingehen – vor allem die Weibchen. Manchmal liegen Tage, Wochen oder gar Monate zwischen den Sichtungen einzelner Tiere. Und jedes Mal stellt sich dann die spannende Frage, wer gerade mit wem „abhängt“. Noch vor ein paar Wochen wanderte Casey gemeinsam mit Lesan und ihrem Baby durch den Wald. Die Gelegenheit, eine ausgewilderte Mutter mit ihrem in der Wildnis geborenen Baby zu beobachten, ist für das Projekt „Auswilderung“ ganz wesentlich. Gerade während meines letzten Monats im Beobachtungsteam ergaben sich mehrere Gelegenheiten, ausgewilderte Mütter mit ihren im Wald geborenen Jungen zu erleben. Was für ein Privileg und einmaliges Erlebnis!
Die letzte Begegnung mit einem Orang-Utan hatte ich an meinem letzten Tag als Volontärin mit Sayang. Ich wurde durch knackende Äste und die für Orang-Utans typischen Kussgeräusche auf sie aufmerksam. Nachdem wir sie einige Tage zuvor mit Casey gesehen hatten, waren wir nun ganz gespannt zu erfahren, ob sie allein oder in Gesellschaft erscheinen würde. Es war bereits später Nachmittag und die Dämmerung zog auf, weshalb es nicht einfach war, Sayang zu entdecken. Bevor ich sie gefunden hatte, begegneten zwei große, glänzende Augen meinem Blick. Es handelte sich um das kleine Baby Louise, das seiner Mutter über die Schulter linste, die auf Futtersuche in den Ästen über mir herumkletterte. Und nur einige Bäume weiter, klammerte sich Sayang an den Stamm eines Baumes. Die Familie war also wieder einmal vereint.
In den folgenden Tagen konnten die Mitarbeiter Sayang, Yayang und Louise immer wieder gemeinsam beobachten. Und in ihrem Gefolge befand sich Casey. Sayang wurde beobachtet, wie sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester kuschelte und auf Futtersuche ging, während sie mit Casey wild herumtobte.
Die spannendste Entwicklung, die wir in meiner letzten Woche beobachten konnten, war zu sehen, wie Louise ihre Kletterfähigkeiten verbesserte. Louise ist zwar erst ein Jahr alt, klettert aber bereits sehr hoch. Sie ist eine richtige kleine Akrobatin. Ihre Mutter Yayang vertraut den Fähigkeiten ihrer Tochter sehr und lässt sie sogar außerhalb ihrer Reichweite klettern. Ein großer Entwicklungsschritt für Mutter und Tochter.
In wenigen Tagen werde ich den Wald von Kehje Sewen verlassen. Ich gehe in dem wunderbaren Wissen, mich nicht nur von den Orang-Utans zu verabschieden, die jetzt ihre zweite Chance auf ein Leben in Freiheit haben, sondern auch von einer neuen Generation wilder Orang-Utans.