Unabhängig der peinlichen Verhandlungsergebnissen der „Staatengemeinschaft“ in Glasgow, findet in deren Schatten ein weiterer Skandal statt. In diesem Falle im grünen Mantel.
Große Klima- und Landverschmutzer wie Shell und Nestlé hausieren aktuell mit einer relativ neuen Betrugsmasche – den sogenannten „Nature-based Solutions“ (NbS): Sie kommunizieren öffentlichkeitswirksam, dass sie ihre Treibhausgasemissionen auf null senken und gleichzeitig weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen, mehr vom Planeten abbauen und die industrielle Fleisch- und Milchproduktion steigern. Sie nennen dies die Reduzierung der Emissionen auf „Netto-Null“. Das Pflanzen von Bäumen, der Schutz von Wäldern und die Optimierung der industriellen Anbaumethoden, so behaupten sie, wird genug zusätzlichen Kohlenstoff in Pflanzen und im Boden speichern, um die Treibhausgasemissionen auszugleichen, die sie in die Atmosphäre pumpen.
Klimaschutz als beinhartes Geschäftsmodell
Was Konzerne und große Naturschutzunternehmen „naturbasierte Lösungen“ nennen, ist eine gefährliche Ablenkung. Ihre Marketingkonzepte sind geschmückt mit unbewiesenen Daten und der steilen Behauptung, dass bis 2030 37 Prozent der CO2-Einsparungen realistisch seien. Immer mehr Unternehmen, von Total über Microsoft bis Unilever, machen „naturbasierte Lösungen“ zum Kern ihrer Klimaaktionspläne, während die Naturschutzindustrie auf die Finanzierung von „naturbasierten Lösungen“ von Unternehmen zurückgreift, um im grünen Markt zu dominieren. Denn auch dieser ist ein beinhartes Geschäft voller Partei- bzw. Industrielobbyinteressen.
Aus Sicht der Naturschutzindustrie ist die Idee einfach: Unternehmen bezahlen sie dafür, Wälder zu umschließen oder Bäume auf Land zu pflanzen, von dem sie behaupten, dass es „degradiert“ sei und dass bei einer Wiederherstellung mehr Kohlenstoff absorbiert werden könnte.
Im Gegenzug behaupten die Konzerne, dass die Klimaschäden durch ihre anhaltenden Treibhausgasemissionen ausgeglichen werden. Oft wird ein Dokument, das als Carbon Credit (CO2-Zertifikat) bezeichnet wird, verwendet, um diese Aufrechnungsforderung zu vermarkten.
Naturbasierte Lösungen oder naturbasierte Enteignungen
Wenn Konzerne und große Naturschutzorganisationen von „Natur“ sprechen, meinen sie meist geschlossene Räume ohne Menschen. Gemeint sind Schutzgebiete, Baumplantagen und große Monokulturbetriebe. Ihre „Natur“ ist unvereinbar mit der Natur, die als Territorium verstanden wird, als Lebensraum, der untrennbar mit den Kulturen, Ernährungssystemen und Lebensgrundlagen der Gemeinschaften verbunden ist, die sich um sie kümmern und sich als intrinsische Teile davon verstehen.
„Naturbasierte Lösungen“ sind also keine Lösung, sondern ein Betrug. Die vermeintlichen Lösungen werden zu „naturbasierten Enteignungen“ führen, weil sie die verbleibenden Lebensräume von indigenen Völkern, Bauern und anderen waldabhängigen Gemeinschaften einschließen und „die Natur“ zu einem Dienstleister zwecks Ausgleiches der Umweltverschmutzungen durch Konzerne und zum Schutz von Gewinnen reduzieren werden. Der Unternehmen, die am meisten für das Klimachaos verantwortlich sind. Indigene Völker, Bauern und andere waldabhängige Gemeinschaften, deren Territorien eingeschlossen werden, werden mit mehr Gewalt, mehr Einschränkungen bei der Nutzung ihres Landes und mehr Kontrolle über ihr Territorium konfrontiert sein.
Neues Gewand für alte Taktik
„Naturbasierte Lösungen“ sind eine Wiederholung der gescheiterten REDD+-Baumpflanzungs- und Waldschutzprogramme, die dieselben Naturschutzgruppen seit 15 Jahren fördern. REDD+ hat nichts getan, um die globalen Treibhausgasemissionen zu reduzieren oder die großen Lebensmittel- und Agrarunternehmen zu beherrschen, die die Entwaldung vorantreiben. Sein bleibendes Vermächtnis ist jedoch der Verlust von Land und Wäldern für bäuerliche und waldbasierte Gemeinschaften und starke Einschränkungen bei der Nutzung ihres Landes. REDD+ hat auch eine Branche von „Nachhaltigkeits- und Sicherheitsberatern“ und Projektbefürwortern hervorgebracht, die davon profitieren, REDD+-Projekte als „nachhaltig“ zu deklarieren, trotz der Verletzungen von Rechten, die solche Projekte verursachen. Die Befürworter „naturbasierter Lösungen“ wenden nun die gleiche Taktik von Zertifizierungssystemen und Schutzmaßnahmen an, um Kritik abzuwehren und die Übernahme von Gemeinschaftsland und ‑wäldern durch die Unternehmen zu verschleiern.
Woher soll all das Land kommen?
Die Unternehmen mit „naturbasierten Lösungen“ in ihren Klimaschutzplänen wollen ihre Produktion stark umweltbelastender Produkte steigern. In der fehlerhaften Logik der „naturbasierten Lösungen“ von Unternehmen bedeutet mehr Umweltverschmutzung, dass Unternehmen mehr Land als ihre Kohlenstoffspeicher beanspruchen müssen; es wird mehr Enteignungen und weitere Beschränkungen der bäuerlichen Landwirtschaft und der gemeinschaftlichen Nutzung ihrer Territorien bedeuten. Es wird auch eine noch stärkere Kontrolle der Unternehmen über Land und Wälder bedeuten.
Der italienische Energiekonzern Eni zum Beispiel will bis 2050 noch 90 Prozent seiner Energie aus fossilen Brennstoffen gewinnen. Um diese Emissionen auszugleichen, muss er das gesamte Potenzial aller Wälder in Italien beanspruchen, um Kohlenstoff zu absorbieren – acht Millionen Hektar für Enis „Netto-Null“-Anspruch!
Laut Oxfam könnten allein die Netto-Null-Ziele von nur vier der großen Öl- und Gaskonzerne (Shell, BP, Total und Eni) eine Landfläche benötigen, die doppelt so groß ist wie die Großbritanniens. Das sind nur einige der großen Energiekonzerne. Der „Netto-Null“-Plan des weltgrößten Lebensmittelkonzerns Nestlé könnte 4,4 Millionen Hektar Land pro Jahr für den Ausgleich benötigen. Und auch die Pläne von Big-Tech-Firmen wie Microsoft und Amazon basieren auf der Anrechnung ähnlich großer Flächen.
Mehr Klimachaos und Biodiversitätsverlust
Konzerne und die großen Naturschutz-NGOs bieten diese „grünen“ Unternehmenslösungen nicht nur in den Klimagesprächen an; sie drängen die Idee auch in Regierungssitzungen der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity). Im Zusammenhang mit dem UN-Food Systems Summit im September 2021 wird „nature-positive production“ als ähnliches Konzept wie NbS genutzt – um die Landwirtschaft weiter zu industrialisieren und die Kontrolle der Unternehmen auszubauen. Wenn diese Versuche erfolgreich sind, kommt es zu mehr Klimachaos und einem noch schnelleren Verlust an Biodiversität, während Konzerne weiterhin von der Zerstörung und Verbrennung fossilen Kohlenstoffs profitieren.
Regierungen müssen wissen, dass es eine wachsende Bewegung von Gemeinschaften, Organisationen und Aktivisten an vorderster Front für Klimagerechtigkeit gibt.
Ich plädiere dafür, „naturbasierte Lösungen“ und alle Ausgleichsprogramme neu zu überdenken. In ihrer jetzigen Form sind sie nicht darauf ausgelegt, der Klimakrise zu begegnen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, ein oder zwei Jahrzehnte ungezügelter Unternehmensgewinne aus der Ausbeutung von fossilem Kohlenstoff und der industriellen Landwirtschaft zu erkaufen und gleichzeitig die Kontrolle über die Gebiete der Gemeinschaft von außen zu erhöhen.
Klimaneutralität bedeutet kaum mehr als Papiereinsparungen, erreicht durch kreative Buchführung und nicht überprüfbare Behauptungen, hypothetische Emissionen verhindert zu haben. Die Zeit für solche Ablenkungen ist abgelaufen. Nur ein rascher und terminierter Plan, die verbleibenden Kohle‑, Öl- und Gasreserven im Boden zu belassen und die industrielle Landwirtschaft ökologisch zu reformieren, wird ein katastrophales Klimachaos verhindern.
Grassroots-Gemeinschaften an vorderster Front, die gegen die Förderung fossiler Brennstoffe, Pipelines, Minen, Plantagen und andere Projekte der Rohstoffindustrie sind, weisen den Weg. Der Widerstand gegen „naturbasierte Lösungen“ und der gemeinschaftliche Widerstand gegen die Zerstörung unterirdischer Kohlenstoffvorkommen, den Bergbau und die Agrarindustrie durch Konzerne müssen als Teil desselben Kampfes verstanden werden.
Grassroots-Gemeinschaften stehen auch an vorderster Front bei den Kämpfen um Ernährungssouveränität und Agrarökologie, die notwendig sind, um die vielfältige Krise des Planeten zu lösen. Wir erkennen und unterstützen die Kämpfe, die von Basisgemeinschaften um die Kontrolle über die Gebiete geführt werden, von denen sie heute und in Zukunft abhängen.
In Mawas reparieren wir zerstörte Torfmoore, forsten auf und unterstützen die lokalen Gemeinden durch neue, sichere und nachhaltige Einnahmemöglichkeiten. Sie können helfen!