Genau weiß man es nicht – Wissenschaftler schätzen die Anzahl sämtlicher Tier‑, Pilz- und Pflanzenarten auf fünf bis 30 Millionen. Identifiziert sind bislang „nur“ etwa zwei Millionen Spezies. Das heißt nicht etwa, dass man alles von ihnen wüsste. Von vielen Arten ist einfach nur bekannt, dass es sie gibt. Noch jedenfalls.
Denn pro Jahr verschwinden geschätzt mehrere tausend Arten auf Nimmerwiedersehen — eine gegenwärtige Aussterberate, die möglicherweise tausend- bis zehntausendmal so groß ist wie es die natürliche Aussterberate wäre. Darunter auch Tiere und Pflanzen, von deren Existenz wir noch gar nichts erfahren haben…
Die rote Liste
Dokumentiert wird dies von der im schweizerischen Gland ansässigen International Union for Conservation of Nature – IUCN. Hinter dieser Organisation stehen Ministerien und andere Stellen verschiedener Staaten, sowie internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen. Seit 1963 ermitteln Experten auf Basis möglichst aller verfügbaren Daten alle fünf bis zehn Jahre die sogenannte Aussterbewahrscheinlichkeit verschiedenster Tier- und Pflanzenarten. Vielschichtige Nutzungsanalysen zum Beispiel aus Landwirtschaft, Fischerei und Jagd, sowie langfristige Naturbeobachtungen fließen in mathematische Modelle ein und verdichten sich schließlich zur sogenannten „Rote Liste der bedrohten Arten“ (siehe PDF am Ende des Beitrages).
Die Rote Liste definiert sieben Stadien der Bestandsentwicklung:
EX – Extinct (ausgestorben zwischen dem Jahr 1500 und der Gegenwart)
EW – Extinct in the Wild (in freier Wildbahn ausgestorben)
CR – Critically Endangered (vom Aussterben bedroht)
EN – Endangered (stark gefährdet)
VU – Vulnerable (gefährdet)
NT – Near Threatened (gering gefährdet, auf der Vorwarnliste)
LC – Least Concern (nicht gefährdet)
Daneben wird noch unterschieden zwischen
DD – Data Deficient (unzureichende Daten)
NE – Not Evaluated (nicht bewertet)
Zu den letzten beiden Gruppen gehört die übergroße Mehrheit aller Spezies: Bislang konnte die IUCN lediglich wenig mehr als 70.000 Arten in das Bewertungssystem aufnehmen.
Zentrale Kriterien der Einteilung sind Populationsgrößen mit der Anzahl fortpflanzungsfähiger Individuen, der Fortpflanzungsrate und der Generationenlänge sowie die jeweils aktuelle Rate des Bestandsrückgangs und dessen zeitliche Dauer in der Vergangenheit. Wichtige Merkmale sind auch starke Bestandsfluktuationen und insgesamt die geografische Verbreitung. So stellen Fragmentierung („Verinselung“) und Rückgang ursprünglich zusammenhängender Vorkommensgebiete sehr oft einen bedeutenen Faktor der Bedrohungsanalyse dar.
Letzteres gilt gerade auch für den Borneo-Orang-Utan. Zwischen 1973 und 2010 wurden 56 Prozent des Lebensraumes der Orang-Utans zerstört und 39 % sind vollständig verschwunden – ein Gebiet größer als Portugal (fast 99.000 km²). Bis 2025 werden voraussichtlich weitere 57.000 km² Wald in Plantagen umgewandelt, etwa die doppelte Fläche Belgiens. Eben diese fortdauernde Bedrohung des Lebensraumes der Orang-Utans hat die Experten dazu veranlasst, Anfang 2016 den Bedrohungsstatus von Pongo pygmaeus zu revidieren.
Hinzu kommt, dass Orang-Utans schon natürlicherweise zu den Säugetieren mit der geringsten Fortpflanzungsrate zählen. Ein Orang-Utan-Weibchen in der Wildnis bringt im Laufe von vielleicht 40 Jahren in der Regel nicht mehr als drei Junge zur Welt. Jedes einzelne von ihnen hat durch die langjährige Fürsorge der Mutter eine im Vergleich zu vielen anderen Wildtieren sehr gute Chance, seinerseits das fortpflanzungsfähige Alter zu erreichen. Die niedrige Reproduktionsrate macht jede Orang-Utan-Population aber noch zusätzlich verwundbar.
Intakte Habitate als Schlüssel zum Überleben
Wie schon vorher sein Vetter Pongo abelii auf Sumatra, gehört nunmehr auch der Borneo-Orang-Utan zu den vom Aussterben bedrohten Spezies.
Dass die Orang-Utans auf Borneo gefährdet sind, ist wahrlich nicht neu, aber critically endangered – also akut vom Aussterben bedroht – schienen sie bisher dann doch noch nicht zu sein. Laut neuen Studien jedoch werden, gerechnet ab 1950 bis zum Jahr 2025, ca. 82 Prozent der Borneo-Orang-Utans verschwunden sein.
Die alarmierende Heraufsetzung des Bedrohungsstatus begründet sich ganz wesentlich durch den rapiden Verlust an Lebensraum. Wenn immer mehr Regenwald zugunsten von Bergbau oder riesiger Plantagen vernichtet wird und die verbleibenden Waldgebiete immer mehr zerstückelt und zerteilt werden, bleibt den rothaarigen Menschenaffen keine Lebensgrundlage in freier Wildbahn.
Gegen das große Verschwinden
Dass über die Jahrmillionen Arten aussterben, ist ganz natürlich. Was wir jetzt erleben, ist allerdings ein Massenaussterben innerhalb eines erdgeschichtlich gesehen winzigen Augenblicks. Aber auch, dass ein großer Teil aller existierenden Spezies mehr oder weniger plötzlich einer globalen Katastrophe zum Opfer fällt, ist in der langen Geschichte des irdischen Lebens schon einige Male geschehen. Nur haben wir jetzt etwas völlig Neues: Verantwortung. Unsere Spezies ist nicht nur einfach ursächlich für den gegenwärtigen Floren- und Faunenschwund, sondern weiß auch um ihr eigenes Wirken. Und sie kann dieses Wirken verändern und zum Besseren wenden.
Noch leben fortpflanzungsfähige Orang-Utan-Populationen, noch ist nicht aller Wald abgeholzt. Vom Aussterben bedroht bedeutet im Umkehrschluss, dass sie eben noch nicht ausgestorben sind. BOS und seine Unterstützer weltweit können immer noch den Unterschied machen!