14. Juni 2021

Smarte Denker – ein Einblick in das intel­li­gente Verhalten von Orang-Utans

Dass Orang-Utans sehr intel­li­gent, einfalls­reich und kreativ sind, kann jeder bestä­tigen, der ein biss­chen Zeit mit den rothaa­rigen Wald­men­schen verbracht hat. Doch wie klug sind Orang-Utans? Und wie kann man ihre Intel­li­genz erforschen?

Was ist eigent­lich Intelligenz?

Intel­li­genz ist ein viel­schich­tiger Begriff, der viele Fähig­keiten zusam­men­fasst. Eine schnelle Auffas­sungs­gabe und Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung, die Fähig­keit schnell zu lernen, sich flexibel an neue Umwelt­be­din­gungen anzu­passen und logisch und effi­zient Probleme zu lösen sind nur einige davon. Doch wie erforscht man Intel­li­genz bei Tieren, die uns ja nicht durch verbale Sprache mitteilen können, was sie wahr­nehmen und denken? Hier sind Prima­to­logen und Kogni­ti­ons­bio­logen gefragt.

Von allen vier Menschen­affen, ist das Verhalten von Orang-Utans – neben dem von Gorillas, Bonobos und Schim­pansen – am schwie­rigsten in freier Wild­bahn zu erfor­schen. Das liegt vor allem daran, dass Orang-Utans im Gegen­satz zu den anderen Menschen­affen die meiste Zeit hoch oben im dichten Blät­ter­dach des Regen­waldes verbringen. Um mehr über ihre beson­deren Fähig­keiten zu erfahren, ist es daher neben der Frei­land­be­ob­ach­tung wichtig, ihr Verhalten auch unter kontrol­lierten Bedin­gungen zu beob­achten. Zum Beispiel, indem man sie mit einem neuen Problem konfron­tiert. Das ist für die Orang-Utans, die in Auffang­sta­tionen oder Zoos leben, eine will­kom­mene Abwechs­lung: So kommen Sie an beson­dere Lecke­reien, werden geistig geför­dert, und ihr Alltag wird berei­chert. Wir erhalten dadurch wich­tige Erkennt­nisse, um unsere nächsten Verwandten noch besser zu verstehen.

Orang-Utans benutzen Werk­zeuge, denken ökono­misch und treffen Entschei­dungen je nach Marktsituation.

In der Waldschule lernen die Tiere, Werkzeuge einzusetzen
In der Wald­schule lernen die Tiere, Werk­zeuge einzusetzen

Weniger als ein Prozent aller Tier­arten auf der Welt verwenden Werk­zeuge [1]. Da Werk­zeug­ge­brauch so extrem selten ist, wird er oft fälsch­li­cher­weise pauschal als intel­li­gent gewertet. Es gibt beispiels­weise Insekten, wie etwa Amei­sen­löwen, die Werk­zeuge nutzen. Jedoch ist ihr Verhalten ange­boren und stereotyp, wird also typi­scher­weise immer gleich­blei­bend in nur einer bestimmten Situa­tion eingesetzt.

Intel­li­genter Werk­zeug­ge­brauch erfor­dert die Fähig­keit, mehrere Infor­ma­ti­ons­ebenen zu inte­grieren, und das Verhalten schnell und flexibel an wech­selnde Situa­tionen anzu­passen. Und genau das können Orang-Utans. In meinen Studien haben wir heraus­ge­funden, dass Orang-Utans sorg­fältig zwischen sofort verfüg­barer Nahrung und Werk­zeug­ein­satz abwägen [2]. Wenn etwa das Futter in der Appa­ratur besser war als das sofort verfüg­bare Futter, wählten sie lieber das Werk­zeug und den damit verbun­denen Arbeits­ein­satz, um an den Lecker­bissen in der Appa­ratur zu gelangen. Dabei hinter­fragten die Tiere auch Details wie Quali­täts­un­ter­schiede beim Futter und ob ein bestimmtes Werk­zeug in der jewei­ligen Situa­tion über­haupt funk­tio­nieren könnte.

Padana nutzt einen Haken als Werkzeug
Versuch: Padana nutzt einen Haken als Werkzeug

Und das sogar wenn die Aufgabe immer komplexer und mehr­di­men­sio­naler wurde. In der freien Wild­bahn muss ein Orang-Utan auch ökono­mi­sche Entschei­dungen treffen. Beob­ach­tungen zeigen, dass Orang-Utans einen sehr guten Orien­tie­rungs­sinn haben und sich scheinbar merken können wann, wo, welche Früchte reif werden. Das ist beacht­lich, da Orang-Utans je nach Gebiet zwischen 100 bis zu über 300 verschie­dene Pflan­zen­arten und davon mehr als 150 verschie­dene Frucht­sorten fressen, von denen viele zu unter­schied­li­chen Zeiten reif werden [3, 4].

Was die Erfin­dung eines Haken­werk­zeuges betrifft, sind Orang-Utans auf dem Level von acht­jäh­rigen Kindern.

Orang-Utans können nicht nur Werk­zeuge gebrau­chen, sie stellen diese sogar selbst her. Doch sind sie auch in der Lage, ein neues Werk­zeug aus einem unbe­kannten Mate­rial und für ein noch nie zuvor ange­trof­fenes Problem erfinden? An dem soge­nannten ‘Haken­test‘ schei­tern sogar Kinder bis zu einem Alter von circa acht Jahren [5, 6]. Der  Test geht so: Ein mit einer Beloh­nung befülltes Körb­chen mit Henkel befindet sich  am Boden eines durch­sich­tigen Röhr­chens. Als einziges Hilfs­mittel gibt es eine Schnur und ein gerades Stück Draht. Um an die Beloh­nung zu gelangen, muss der Draht an einem Ende –  und zwar in einem bestimmten Winkel – zu einem Haken gebogen werden, während das rest­liche Stück gerade bleibt. Nun muss der Draht richtig herum einge­führt, der Haken in den Henkel einge­hängt und das Körb­chen vorsichtig nach oben gezogen werden. Oben ange­kommen wird es dann mit der anderen Hand entgegengenommen.

Padana zieht mit dem selbst gebogenen Haken ein Körbchen hoch
Padana zieht mit dem selbst gebo­genen Haken ein Körb­chen hoch

Da so viele unbe­lohnte Teil­schritte nötig sind, gilt der Versuch in der Verglei­chenden Psycho­logie als sehr schwierig. Da nicht bekannt war, ob Primaten in der Lage sind, dieses komplexe Problem zu lösen, entschied ich mich, diese Studie mit Orang-Utans durch­zu­führen. Mit Verblüf­fung und Freude wurde ich Zeuge, wie zwei der fünf Orang-Utans, Padana und Pini, inner­halb der ersten Minuten auf die Lösung kamen [7]. Die genaue Analyse ergab, dass sie dabei ziel­ori­en­tiert vorgingen. Sie bogen den Haken meis­tens direkt mit ihren Zähnen und dem Mund, während sie den Rest des Werk­zeugs gerade hielten. Danach führten sie es sofort richtig herum ein, hakten es in den Henkel ein und zogen das Körb­chen hoch. Inter­es­san­ter­weise verbes­serten sie das Werk­zeug­de­sign sogar in den folgenden Durch­gängen, da die Haken gegen Ende in einem stei­leren Winkel gebogen wurden als noch zu Beginn.
Diese Fähig­keit bei einem unserer nächsten Verwandten zu finden, ist erstaun­lich. In der mensch­li­chen Evolu­tion erscheinen Haken­werk­zeuge erst relativ spät. Erste archäo­lo­gi­sche Funde von Angel­haken und harpu­nen­ar­tigen, gekrümmten Objekten sind etwa 16.000 — 60.000 Jahre alt [8].

Verschiedene Haken als Werkzeug
Verschie­dene Haken als Werkzeug

Flexibel und schnell.

Wie flexibel und schnell die Orang-Utans aus dem Draht ein weiteres Werk­zeug herstellen können, zeigte sich in einer zweiten Aufgabe. Hier befand sich die Beloh­nung in der Mitte eines hori­zon­talen Röhr­chens. Um zu dem Futter zu gelangen, mussten die Tiere auf die Idee kommen ein um 90 Grad gebo­genes Draht­stück gerade zu biegen, um es als Stoß­werk­zeug zu benutzen. Auf diese Lösung kamen alle teil­neh­menden Orang-Utans [7].

Einfalls­reich und kreativ.

In anderen Studien wurden Orang-Utans mit einer Erdnuss konfron­tiert, die sich uner­reichbar tief in einer Röhre befand. Die Tiere spuckten spontan mehr­mals Wasser in das Gefäß. Dadurch hob sich der Wasser­spiegel, wobei die an der Ober­fläche schwim­mende Erdnuss immer höher beför­dert wurde, bis die Tiere sie schließ­lich greifen konnten. Dabei gingen sie immer ziel­stre­biger vor. Während sie beim ersten Mal noch knapp zehn Minuten benö­tigten, um auf die Idee zu kommen, brauchten sie beim letzten von zehn Durch­gängen nur noch wenige Sekunden [10, 11].

Gene­rell scheinen tech­ni­sche Intel­li­genz und die Fähig­keit neuar­tige Probleme zu lösen bei Orang-Utans stark ausge­prägt zu sein. In freier Wild­bahn lässt sich das zum Beispiel anhand der komplexen Nest­kon­struk­tionen beob­achten. Eine kürz­lich veröf­fent­lichte Studie hat die Schlaf­nester genauer unter­sucht. Dabei wurde fest­ge­stellt, dass Orang-Utans manchmal Äste von zwei oder sogar mehreren neben­ein­an­der­lie­genden Bäumen  zu einem Nest verknüpfen — ganz flexibel an die jewei­ligen Bedin­gungen ange­passt [9].

Planen Orang-Utans zukünf­tige Handlungsschritte?

Ob Menschen­affen für die Zukunft planen, wird immer noch disku­tiert [z.B. 12]. Dennoch gibt es mehrere Studien, die darauf hinweisen, dass Orang-Utans sowie andere Menschen­affen das passende Werk­zeug für eine zukünf­tige Anwen­dung auswählen, mit sich trans­por­tieren, um das Werk­zeug dann eine Stunde später oder sogar erst am nächsten Tag verwenden zu können [13, 14]. Inter­es­san­ter­weise entscheiden Orang-Utans, wenn sie die Wahl zwischen einer sofor­tigen Beloh­nung (einer wohl­schme­ckenden Traube) und mehreren unter­schied­li­chen Werk­zeugen haben, für das Werk­zeug, mit dem sie mehr als eine Stunde später an noch besser schme­ckenden Frucht­saft gelangen. Und dass, obwohl der Apparat während der Auswahl nicht sichtbar ist, das Werk­zeug in der Warte­zeit komplett funk­ti­onslos ist, und diese Wahl erst ganz am Ende zu Erfolg führt [14].

Ich bin davon über­zeugt, dass wir weiter darüber staunen werden, welche beson­deren Fähig­keiten diese außer­ge­wöhn­li­chen, so selten gewor­denen Tiere besitzen. Es gibt noch viel zu entdecken.

Eines unserer wich­tigsten Ziele ist es, mehr Regen­wald­flä­chen zu erwerben und zu Schutz­wald für unsere Orang-Utans umzu­wan­deln. Helfen auch Sie diesen faszi­nie­renden Lebens­raum und seine gewal­tige Arten­viel­falt zu erhalten und zu schützen. Werden auch Sie zum BOS-Unter­stützer. Mit ihrer Spende helfen sie den Orang-Utans und dem Regen­wald! Jeder Beitrag hilft.

Beitrag von Dr. Isabelle Laumer

Dr. Isabelle Laumer ist Primatologin und forscht über Orang-Utans
Dr. Isabelle Laumer ist Prima­to­login und forscht über Orang-Utans

Refe­renzen

1.    Biro D, Haslam M, Rutz C. (2013) Tool use as adapt­a­tion. Phil Trans R Soc B 368: 20120408.

2.    Laumer I.B., Auer­sperg A.M.I., Bugnyar T., Call J. (2019) Oran­gutans (Pongo abelii) make flexible decis­ions rela­tive to reward quality and tool func­tion­a­lity in a multi-dimen­sional tool-use task. PLoS One 14(2): e0211031.

3.    Galdikas, B. M. F. (1988). Oran­gutan diet, range and acti­vity at Tanjung Putting, Central Borneo. Inter­na­tional Journal of Prima­to­logy 9:1–35.

4.    Rijksen, H.D. (1978). A field Study of Suma­tran Oran­gutan (Pongo pygmaeus abelii Lesson 1827): Ecology, Beha­vior, and Conser­va­tion. Nether­lands: Veenan and Zonen.

5.    Cutting N, Apperly IA, Beck SR. (2011) Why do children lack the flexi­bi­lity to inno­vate tools? Journal of Expe­ri­mental Child Psycho­logy 109, 497–511.

6.    Cutting N., Apperly I.A., Chap­pell J., Beck, S.R. (2014) The puzzling diffi­culty of tool inno­va­tion: Why can´t children piece their know­ledge toge­ther? Journal of Expe­ri­mental Child Psycho­logy 125, 110–117.

7.    Laumer I.B., Call J., Bugnyar T., Auer­sperg A.M.I. (2018) Spon­ta­neous inno­va­tion of hook-bending and unben­ding in oran­gutans (Pongo abelii). Scien­tific Reports 8:16518

8.    Brad­field J., Choyke A.M. (2016) Bone tech­no­logy in Africa. Ency­clo­paedia of the History of Science, Tech­no­logy, and Medi­cine in Non-Western Cultures. 10.1007/978–94-007‑3934-5_8476‑2

9.    Didik Prasetyo, Sri Suci Utami, Jatna Supri­jatna (2012) Nest struc­tures in Bornean oran­gutans. Journal Biologi Indo­nesia 8 (2): 217–227.

10.    Mendes N., Hanus D., Call J. (2007) Raising the level: oran­gutans use water as a tool. Biology Letters 3, 453–455.

11.    DeLong C.M., Burnett C. (2020) Bornean Oran­gutans (Pongo pygmaeus pygmaeus) use water as a tool in the floa­ting object task. Animal Beha­vior and Cogni­tion, 7(3):327–342.

12.    Sudden­dorf T, Corballis MC, Collier-Baker E. (2009) How great is great ape fore­sight? Anim. Cogn. 12, 751–754.

13.    Mulcahy N., Call J. (2006) Apes Save Tools for Future Use. Science: 1038–1040.

14.    Osvath M., Osvath H. (2008) Chim­panzee (Pan troglo­dytes) and oran­gutan (Pongo abelii) forethought: self-control and pre-expe­ri­ence in the face of future tool use Animal Cogni­tion 11:661–674.