Dass Orang-Utans sehr intelligent, einfallsreich und kreativ sind, kann jeder bestätigen, der ein bisschen Zeit mit den rothaarigen Waldmenschen verbracht hat. Doch wie klug sind Orang-Utans? Und wie kann man ihre Intelligenz erforschen?
Was ist eigentlich Intelligenz?
Intelligenz ist ein vielschichtiger Begriff, der viele Fähigkeiten zusammenfasst. Eine schnelle Auffassungsgabe und Informationsverarbeitung, die Fähigkeit schnell zu lernen, sich flexibel an neue Umweltbedingungen anzupassen und logisch und effizient Probleme zu lösen sind nur einige davon. Doch wie erforscht man Intelligenz bei Tieren, die uns ja nicht durch verbale Sprache mitteilen können, was sie wahrnehmen und denken? Hier sind Primatologen und Kognitionsbiologen gefragt.
Von allen vier Menschenaffen, ist das Verhalten von Orang-Utans – neben dem von Gorillas, Bonobos und Schimpansen – am schwierigsten in freier Wildbahn zu erforschen. Das liegt vor allem daran, dass Orang-Utans im Gegensatz zu den anderen Menschenaffen die meiste Zeit hoch oben im dichten Blätterdach des Regenwaldes verbringen. Um mehr über ihre besonderen Fähigkeiten zu erfahren, ist es daher neben der Freilandbeobachtung wichtig, ihr Verhalten auch unter kontrollierten Bedingungen zu beobachten. Zum Beispiel, indem man sie mit einem neuen Problem konfrontiert. Das ist für die Orang-Utans, die in Auffangstationen oder Zoos leben, eine willkommene Abwechslung: So kommen Sie an besondere Leckereien, werden geistig gefördert, und ihr Alltag wird bereichert. Wir erhalten dadurch wichtige Erkenntnisse, um unsere nächsten Verwandten noch besser zu verstehen.
Orang-Utans benutzen Werkzeuge, denken ökonomisch und treffen Entscheidungen je nach Marktsituation.
Weniger als ein Prozent aller Tierarten auf der Welt verwenden Werkzeuge [1]. Da Werkzeuggebrauch so extrem selten ist, wird er oft fälschlicherweise pauschal als intelligent gewertet. Es gibt beispielsweise Insekten, wie etwa Ameisenlöwen, die Werkzeuge nutzen. Jedoch ist ihr Verhalten angeboren und stereotyp, wird also typischerweise immer gleichbleibend in nur einer bestimmten Situation eingesetzt.
Intelligenter Werkzeuggebrauch erfordert die Fähigkeit, mehrere Informationsebenen zu integrieren, und das Verhalten schnell und flexibel an wechselnde Situationen anzupassen. Und genau das können Orang-Utans. In meinen Studien haben wir herausgefunden, dass Orang-Utans sorgfältig zwischen sofort verfügbarer Nahrung und Werkzeugeinsatz abwägen [2]. Wenn etwa das Futter in der Apparatur besser war als das sofort verfügbare Futter, wählten sie lieber das Werkzeug und den damit verbundenen Arbeitseinsatz, um an den Leckerbissen in der Apparatur zu gelangen. Dabei hinterfragten die Tiere auch Details wie Qualitätsunterschiede beim Futter und ob ein bestimmtes Werkzeug in der jeweiligen Situation überhaupt funktionieren könnte.
Und das sogar wenn die Aufgabe immer komplexer und mehrdimensionaler wurde. In der freien Wildbahn muss ein Orang-Utan auch ökonomische Entscheidungen treffen. Beobachtungen zeigen, dass Orang-Utans einen sehr guten Orientierungssinn haben und sich scheinbar merken können wann, wo, welche Früchte reif werden. Das ist beachtlich, da Orang-Utans je nach Gebiet zwischen 100 bis zu über 300 verschiedene Pflanzenarten und davon mehr als 150 verschiedene Fruchtsorten fressen, von denen viele zu unterschiedlichen Zeiten reif werden [3, 4].
Was die Erfindung eines Hakenwerkzeuges betrifft, sind Orang-Utans auf dem Level von achtjährigen Kindern.
Orang-Utans können nicht nur Werkzeuge gebrauchen, sie stellen diese sogar selbst her. Doch sind sie auch in der Lage, ein neues Werkzeug aus einem unbekannten Material und für ein noch nie zuvor angetroffenes Problem erfinden? An dem sogenannten ‘Hakentest‘ scheitern sogar Kinder bis zu einem Alter von circa acht Jahren [5, 6]. Der Test geht so: Ein mit einer Belohnung befülltes Körbchen mit Henkel befindet sich am Boden eines durchsichtigen Röhrchens. Als einziges Hilfsmittel gibt es eine Schnur und ein gerades Stück Draht. Um an die Belohnung zu gelangen, muss der Draht an einem Ende – und zwar in einem bestimmten Winkel – zu einem Haken gebogen werden, während das restliche Stück gerade bleibt. Nun muss der Draht richtig herum eingeführt, der Haken in den Henkel eingehängt und das Körbchen vorsichtig nach oben gezogen werden. Oben angekommen wird es dann mit der anderen Hand entgegengenommen.
Da so viele unbelohnte Teilschritte nötig sind, gilt der Versuch in der Vergleichenden Psychologie als sehr schwierig. Da nicht bekannt war, ob Primaten in der Lage sind, dieses komplexe Problem zu lösen, entschied ich mich, diese Studie mit Orang-Utans durchzuführen. Mit Verblüffung und Freude wurde ich Zeuge, wie zwei der fünf Orang-Utans, Padana und Pini, innerhalb der ersten Minuten auf die Lösung kamen [7]. Die genaue Analyse ergab, dass sie dabei zielorientiert vorgingen. Sie bogen den Haken meistens direkt mit ihren Zähnen und dem Mund, während sie den Rest des Werkzeugs gerade hielten. Danach führten sie es sofort richtig herum ein, hakten es in den Henkel ein und zogen das Körbchen hoch. Interessanterweise verbesserten sie das Werkzeugdesign sogar in den folgenden Durchgängen, da die Haken gegen Ende in einem steileren Winkel gebogen wurden als noch zu Beginn.
Diese Fähigkeit bei einem unserer nächsten Verwandten zu finden, ist erstaunlich. In der menschlichen Evolution erscheinen Hakenwerkzeuge erst relativ spät. Erste archäologische Funde von Angelhaken und harpunenartigen, gekrümmten Objekten sind etwa 16.000 — 60.000 Jahre alt [8].
Flexibel und schnell.
Wie flexibel und schnell die Orang-Utans aus dem Draht ein weiteres Werkzeug herstellen können, zeigte sich in einer zweiten Aufgabe. Hier befand sich die Belohnung in der Mitte eines horizontalen Röhrchens. Um zu dem Futter zu gelangen, mussten die Tiere auf die Idee kommen ein um 90 Grad gebogenes Drahtstück gerade zu biegen, um es als Stoßwerkzeug zu benutzen. Auf diese Lösung kamen alle teilnehmenden Orang-Utans [7].
Einfallsreich und kreativ.
In anderen Studien wurden Orang-Utans mit einer Erdnuss konfrontiert, die sich unerreichbar tief in einer Röhre befand. Die Tiere spuckten spontan mehrmals Wasser in das Gefäß. Dadurch hob sich der Wasserspiegel, wobei die an der Oberfläche schwimmende Erdnuss immer höher befördert wurde, bis die Tiere sie schließlich greifen konnten. Dabei gingen sie immer zielstrebiger vor. Während sie beim ersten Mal noch knapp zehn Minuten benötigten, um auf die Idee zu kommen, brauchten sie beim letzten von zehn Durchgängen nur noch wenige Sekunden [10, 11].
Generell scheinen technische Intelligenz und die Fähigkeit neuartige Probleme zu lösen bei Orang-Utans stark ausgeprägt zu sein. In freier Wildbahn lässt sich das zum Beispiel anhand der komplexen Nestkonstruktionen beobachten. Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat die Schlafnester genauer untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass Orang-Utans manchmal Äste von zwei oder sogar mehreren nebeneinanderliegenden Bäumen zu einem Nest verknüpfen — ganz flexibel an die jeweiligen Bedingungen angepasst [9].
Planen Orang-Utans zukünftige Handlungsschritte?
Ob Menschenaffen für die Zukunft planen, wird immer noch diskutiert [z.B. 12]. Dennoch gibt es mehrere Studien, die darauf hinweisen, dass Orang-Utans sowie andere Menschenaffen das passende Werkzeug für eine zukünftige Anwendung auswählen, mit sich transportieren, um das Werkzeug dann eine Stunde später oder sogar erst am nächsten Tag verwenden zu können [13, 14]. Interessanterweise entscheiden Orang-Utans, wenn sie die Wahl zwischen einer sofortigen Belohnung (einer wohlschmeckenden Traube) und mehreren unterschiedlichen Werkzeugen haben, für das Werkzeug, mit dem sie mehr als eine Stunde später an noch besser schmeckenden Fruchtsaft gelangen. Und dass, obwohl der Apparat während der Auswahl nicht sichtbar ist, das Werkzeug in der Wartezeit komplett funktionslos ist, und diese Wahl erst ganz am Ende zu Erfolg führt [14].
Ich bin davon überzeugt, dass wir weiter darüber staunen werden, welche besonderen Fähigkeiten diese außergewöhnlichen, so selten gewordenen Tiere besitzen. Es gibt noch viel zu entdecken.
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Werden auch Sie zum BOS-Unterstützer. Mit ihrer Spende helfen sie den Orang-Utans und dem Regenwald! Jeder Beitrag hilft.
Beitrag von Dr. Isabelle Laumer
Referenzen
1. Biro D, Haslam M, Rutz C. (2013) Tool use as adaptation. Phil Trans R Soc B 368: 20120408.
2. Laumer I.B., Auersperg A.M.I., Bugnyar T., Call J. (2019) Orangutans (Pongo abelii) make flexible decisions relative to reward quality and tool functionality in a multi-dimensional tool-use task. PLoS One 14(2): e0211031.
3. Galdikas, B. M. F. (1988). Orangutan diet, range and activity at Tanjung Putting, Central Borneo. International Journal of Primatology 9:1–35.
4. Rijksen, H.D. (1978). A field Study of Sumatran Orangutan (Pongo pygmaeus abelii Lesson 1827): Ecology, Behavior, and Conservation. Netherlands: Veenan and Zonen.
5. Cutting N, Apperly IA, Beck SR. (2011) Why do children lack the flexibility to innovate tools? Journal of Experimental Child Psychology 109, 497–511.
6. Cutting N., Apperly I.A., Chappell J., Beck, S.R. (2014) The puzzling difficulty of tool innovation: Why can´t children piece their knowledge together? Journal of Experimental Child Psychology 125, 110–117.
7. Laumer I.B., Call J., Bugnyar T., Auersperg A.M.I. (2018) Spontaneous innovation of hook-bending and unbending in orangutans (Pongo abelii). Scientific Reports 8:16518
8. Bradfield J., Choyke A.M. (2016) Bone technology in Africa. Encyclopaedia of the History of Science, Technology, and Medicine in Non-Western Cultures. 10.1007/978–94-007‑3934-5_8476‑2
9. Didik Prasetyo, Sri Suci Utami, Jatna Suprijatna (2012) Nest structures in Bornean orangutans. Journal Biologi Indonesia 8 (2): 217–227.
10. Mendes N., Hanus D., Call J. (2007) Raising the level: orangutans use water as a tool. Biology Letters 3, 453–455.
11. DeLong C.M., Burnett C. (2020) Bornean Orangutans (Pongo pygmaeus pygmaeus) use water as a tool in the floating object task. Animal Behavior and Cognition, 7(3):327–342.
12. Suddendorf T, Corballis MC, Collier-Baker E. (2009) How great is great ape foresight? Anim. Cogn. 12, 751–754.
13. Mulcahy N., Call J. (2006) Apes Save Tools for Future Use. Science: 1038–1040.
14. Osvath M., Osvath H. (2008) Chimpanzee (Pan troglodytes) and orangutan (Pongo abelii) forethought: self-control and pre-experience in the face of future tool use Animal Cognition 11:661–674.