Was machen Orang-Utan-Mütter, wenn sie obige Aufforderung an ihr Kleines richten wollen? In Worte können sie ihre Absicht ja schlecht fassen. Ihr Kommunikationsmittel ist so einfach wie verblüffend: Sie kratzen sich „übertrieben“ laut und auffällig, was dann die gewünschte Aufmerksamkeit des Jungen findet.
Kratzen gehört normalerweise zu dem, was die Wissenschaftler self-directed behavior (auf sich selbst gerichtetes Verhalten) nennen. Dies ist bei vielen Primaten üblich, wozu außer Kratzen auch Berührungen im eigenen Gesicht oder Pflege des eigenen Fells gehören. Inwiefern solche Verhaltensweisen aber auch kommunikativen Zwecken dienen, wird seit einigen Jahren unter Fachleuten debattiert. Forscher der Universität Zürich haben dazu kürzlich Sumatra-Orang-Utans beobachtet.
Kommunikation im Regenwald
Aufbauend auf früheren Studien an Schimpansen versuchten sie, die These zu untermauern, dass lautes und auffälliges Kratzen besonders in der Mutter-Kind-Beziehung ein absichtlich eingesetztes Kommunikationsmittel des Weibchens sei, um ihr Junges zu führen. Tatsächlich konnten auch die Forscher solches Kratzen aus bis zu 15 Metern Entfernung hören, während „normales“ Kratzen sehr viel unauffälliger und leiser ist. Das Weibchen wandte sich dabei offenbar bewusst ihrem Jungen zu und lenkte so dessen Aufmerksamkeit zusätzlich auf sich. Es wurde deutlich, dass das scheinbar übertriebene „Kommunikations-Kratzen“ hauptsächlich dann eingesetzt wurde, wenn das Weibchen mit seinem Jungen aufbrechen wollte. Der junge Orang-Utan folgte dann seiner Mutter, die auf diese Weise ihren Weg durch den Wald mit dem Jungen koordinierte.
Ob auch Borneo-Orang-Utans dieses Verhalten regelmäßig zeigen, kann man noch nicht mit Gewissheit sagen, aber die Annahme, dass sie es tun, liegt sehr nahe. Auch Schimpansen und Bonobos kommunizieren mit ihren Jungen auf ähnliche Weise.
Menschenaffen allgemein zeigen ein reiches Repertoire an kommunikativen Lauten und Gesten, die sie kontextabhängig einsetzen und auch wechseln können, wenn sie von ihren Artgenossen nicht verstanden werden. Beispielsweise bei Orang-Utans in Gefangenschaft wurde dies häufig beobachtet. Wildlebende Orang-Utans allerdings setzen Laute nur selten zur direkten Kommunikation ein, vielleicht um Prädatoren oder fremde Orang-Utans nicht auf sich aufmerksam zu machen. Die Kratzlaute sind zwar auch zu hören, aber weniger weit als Rufe. Insofern stellen sie eine Aufforderung der Mutter an das Junge dar, die nicht unmittelbar dringlich ist.
Biologie oder Kultur – weiterer Forschungsbedarf
Die oben skizzierten Forschungsergebnisse basieren lediglich auf siebzehn Individuen. Die Autorinnen und Autoren der Studie weisen darauf hin, dass noch sehr viel Forschungsbedarf besteht, um alle Einzelheiten der Kommunikation unter Menschenaffen allgemein und Orang-Utans im Besonderen zu verstehen. Gerade auch Menschenaffen zeigen Ansätze von Kulturbildung. Ob das beschriebene Kommunikationsverhalten angeboren oder sozusagen kulturell vererbt wird, ist daher für die weitere Forschung von besonderem Interesse. Dafür müssen in Zukunft mehr und größere Populationen beobachtet werden, um etwaige Unterschiede und Gemeinsamkeiten festzustellen.
Das Besondere bei Orang-Utans ist zudem, dass sie anders als andere Primaten nicht in dauerhaften Verbänden leben, sondern in aller Regel nur als Mutter-Kind-Gruppen anzutreffen sind. Erlerntes Verhalten wird also zum allergrößten Teil über die Mutter weitergegeben. In welchem Maß wilde Orang-Utans auch von anderen Individuen als ihrer Mutter lernen und das Erlernte weitergeben, ist ebenfalls eine interessante Frage. Die von BOS ausgewilderten Tiere haben ja immer ihre menschlichen Pflegerinnen und ihre etwa gleichalten Artgenossen als Vorbilder.
So nah man bei BOS den Orang-Utans auch ist, die wilden Vertreter ihrer Art haben immer noch ihre Geheimnisse. Sie zu erforschen mag auch helfen, die Arbeit von BOS noch weiter zu verbessern.
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