30. Dezember 2018

Soziale Gemein­schaften und Frem­den­feind­lich­keit unter weib­li­chen Orang-Utans

Im Mawas-Gebiet auf Borneo in der Provinz Zentral­ka­li­mantan lebt mit unge­fähr 3.000 Indi­vi­duen eine der letzten größeren wilden Orang-Utan-Popu­la­tionen. Dort unter­nimmt die indo­ne­si­sche BOS Foun­da­tion neben Rena­tu­rie­rungs­ar­beiten auch Neuan­sied­lungen von Orang-Utans. Letz­tere werden im Rahmen des Tuanan-Oran­gutan-Rese­arch-Projektes der Univer­sität Zürich erforscht.

Für diese große Lang­zeit­auf­gabe erhebt ein inter­na­tio­nales Forscher­team aus verschie­denen Diszi­plinen seit 16 Jahren möglichst viele Daten über altein­ge­ses­sene und neu ange­sie­delte Orang-Utans. Wert­volle Erkennt­nisse zum Schutz der bedrohten Menschen­affen sollen so gewonnen werden. Dr. Maria A. van Noor­dwijk unter­sucht vor allem die Entwick­lung und das Verhalten weib­li­cher Orang-Utans im Schutz­ge­biet. Vor Kurzem refe­rierte sie auf einer Veran­stal­tung über ihre neuesten Forschungsergebnisse.

Weib­liche Orang-Utans sind gesel­liger als Männchen

Gerade in ihrer Forschungs­do­mäne ist es bemer­kens­wert, wenn neues Wissen gene­riert wird. Schließ­lich ist die möglichst lücken­lose Daten­ge­win­nung über die Entwick­lung von Orang-Utans allge­mein eine schwie­rige Aufgabe, da die Menschen­affen nicht selten mehrere Jahr­zehnte leben. Daher sind Lang­zeit­daten beson­ders wichtig, jedoch auch knapp. Van Noor­dwijk berichtet, dass die Orang-Utans in ihren ersten sechs oder sieben Jahren mit der Mutter zusam­men­leben und in dieser Zeit auch gesäugt werden. Mit 15 Jahren sind weib­liche Orang-Utans ausge­wachsen. Im Unter­schied zu den männ­li­chen Artge­nossen, leben weib­liche Orang-Utans in den ersten 15 Jahren sehr eng mit der Mutter zusammen. Viele von ihnen werden über 50 Jahre alt. Während ihres kompletten Lebens haben Mütter und Töchter eine Bezie­hung zuein­ander und leben in der Nähe zuein­ander. Auch Schwes­tern haben weiterhin unter­ein­ander Kontakt. Obwohl sie auch viel Zeit jeweils alleine verbringen, halten sie durch regel­mä­ßige soziale Events ein stabiles gemein­schaft­li­ches Netz­werk aufrecht. Diese Gemein­schaft scheint gerade für weib­liche Orang-Utans sehr wichtig zu sein.

Im Gegen­satz zu Orang-Utan-Weib­chen halten sich männ­liche Vertreter dieser Menschen­affen nur kurze Zeit (ein paar Monate oder wenige Jahre) im Forschungs­ge­biet auf, kehren jedoch manchmal auch wieder zurück. Einige Orang-Utan-Männ­chen konnte van Noor­dwijk nach einigen Jahren Abwe­sen­heit wieder beob­achten. Dies spricht dafür, dass männ­liche Orang-Utans ein größeres Gebiet benö­tigen, in dem sie sich bewegen. Ein abschlie­ßendes Urteil könne sie sich auf dem Stand der heutigen Daten leider noch nicht erlauben. Nach van Noor­dwijk wäre es aber für den Schutz der Orang-Utans sehr wichtig, gerade auch Fragen des Wander- und Revier­ver­hal­tens klären zu können.
 

Frem­den­feind­lich­keit unter Orang-Utans?

Da die Anzahl der Orang-Utans im Forschungs­ge­biet während der letzten Jahre stark zuge­nommen hat, stellte sich für die Forscherin eine neue inter­es­sante Frage: Was passiert mit Orang-Utans, die neu in das Gebiet kommen? Werden sie freudig aufge­nommen oder stoßen sie auf Ableh­nung? Die Ergeb­nisse sind eindeutig. Wenn neue weib­liche Orang-Utans in das Forschungs­ge­biet kommen, beob­achtet Dr. Maria A. van Noor­dwijk, dass die altein­ge­ses­senen Weib­chen die Neuan­kömm­linge regel­recht jagen und atta­ckieren. Aber auch Indi­vi­duen inner­halb der altein­ge­ses­senen Popu­la­tion zeigen sich dann unter­ein­ander vermehrt aggressiv. Die Neuan­sied­lung weib­li­cher Orang-Utans ist also mit enormen Problemen verbunden. Beide Seiten, die Neuan­kömm­linge wie die Altein­ge­ses­senen, stehen offenbar unter beson­derem Stress. Die Neuen erleiden Atta­cken durch Indi­vi­duen der bestehenden Popu­la­tion, bei letz­teren wird das soziale Netz­werk durch­ein­ander gebracht.

Inter­es­sant wäre es, für die Zukunft Paral­lelen zum Menschen zu ziehen. Schließ­lich ist eine Ableh­nung oder Angst vor fremden Vertre­tern der eigenen Art, die neu in das eigene Gebiet kommen, nichts Unbe­kanntes beim Menschen. Im Fach­jargon wird so ein Phänomen „Xeno­phobie“, also Frem­den­feind­lich­keit, genannt. Viel­leicht gewähren uns Dr. Maria van Noor­dwijks Ergeb­nisse einen evolu­tionär-psycho­lo­gi­schen Einblick in die Ursa­chen von Xeno­phobie. Bei unseren Verwandten scheint Stress durch die Belas­tung bestehender sozialer Struk­turen, Aggres­sionen gegen Fremde enorm zu fördern. Weitere Lang­zeit­daten könnten auch Infor­ma­tionen darüber liefern, wie einige der altein­ge­ses­senen Orang-Utan-Popu­la­tionen diese Heraus­for­de­rung durchaus meis­tern und es schaffen, neuan­ge­sie­delte Artge­nossen zu inte­grieren. Auch aus diesem Wissen könnten wir als Menschen viel­leicht wert­volle Tipps für unsere sozialen Gruppen und Gemein­schaften ableiten. Aller­dings sind Schlüsse aus tieri­schem Verhalten, selbst wenn es um die uns so nah verwandten Primaten geht, immer mit großer Vorsicht zu ziehen. Mensch­liche Gesell­schaften sind dann doch deut­lich komplexer als Menschenaffenpopulationen.

Schlüs­sel­pro­blem: Der Verlust an Lebensraum

Neben diesen Aspekten drängt sich noch eine weitere Frage auf: Warum gab es ausge­rechnet in den vergan­genen Jahren einen rasanten Anstieg der Zahl weib­li­cher Orang-Utans im Tuanan-Areal? Dies hängt, so die Wissen­schaft­lerin, mit den starken Wald­bränden von 2015 zusammen, wodurch es zu einem großen Verlust an Lebens­raum für die Menschen­affen auf Borneo gekommen ist. Weniger Habi­tate und mehr Aggres­sionen und Stress scheinen so einen fatalen Teufels­kreis zu bilden.

 

Aus den Forschungs­er­geb­nissen könne man folgendes ableiten: Der Lebens­raum der Orang-Utans müsse verstärkt geschützt werden. Der Habi­tats­ver­lust ist die Wurzel des Problems. Ohne ihn würde keine Unruhe in die bestehenden Popu­la­tionen kommen. Männ­chen scheinen deut­lich größere Habi­tate zu benö­tigen. Dies und auch die bestehenden sozialen Struk­turen sollten in der Zukunft bei der Neuan­sied­lung verstärkt berück­sich­tigt werden. Gleich­zeitig wären weitere Lang­zeit­daten über das Sozi­al­leben gerade weib­li­cher Orang-Utans sehr bedeu­tend, um ein größeres Verständnis von Aggres­sionen, Stress und „Frem­den­feind­lich­keit“ unserer gene­ti­schen Verwandten und damit mögli­cher­weise auch bei uns zu bekommen. Die nächsten Jahre werden also wahr­schein­lich weitere inter­es­sante und vor allem wissen­schaft­lich fundierte Neuig­keiten aus dem Tuanan-Oran­gutan-Forschungs-Projekt hervorbringen.

Gast­bei­trag: Jan Mücher

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