Unsere Babysitterinnen und Tierpfleger kennen dies nur allzu gut: Neugierige Orang-Utans, die ihre Nasen überall reinstecken müssen, auf der Suche nach Leckereien oder neuem, interessantem Spielzeug. Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat kürzlich in einer Feldstudie auf Sumatra die Neugier wildlebender Orang-Utans untersucht. Und ist dabei zu einigen spannenden Ergebnissen gekommen.
Neue Objekte und Situationen kommen in unberührten, natürlichen Lebensräumen in der Regel selten vor. Doch bieten sie, wenn sie sich ergeben sollten, ausgezeichnete Möglichkeiten, etwas Neues zu lernen. Denn genau in solch einem Umfeld werden Individuen oft innovativ, um aus der unbekannten, möglicherweise bedrohlichen Situation herauszukommen.
Innovationsforschung beim Menschen
Individuen, die aktiver mit neuen Stimuli umgehen und offen sind diese zu erkunden, nutzen auch aktiver neue Lernmöglichkeiten aus. Solche Menschen entwickeln schneller adaptive Fähigkeiten und Wissen als zögerliche Individuen.
Wie sieht es bei den Tieren aus?
Die Primatologin Dr. Caroline Schuppi hat sich mit einer Gruppe von Forscherinnen und Forschern auf die Suche nach Faktoren gemacht, die die Neugier bei Orang-Utans beeinflussen können. Die Studie „Ecological, social, and intrinsic factors affecting wild orangutans’ curiosity, assessed using a field experiment“ untersucht, wie Orang-Utans auf Neues reagieren, aber auch, wie offen sie sind, Neues zu erkunden. Im Gegensatz zu klassischen Studien zu Reaktionen auf Neuheiten, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier auf ein Experimentdesign mit natürlichen Materialien gesetzt.
Die Hypothese der Forschungsgruppe lautete, dass drei Faktoren das Orang-Utan-Verhalten beeinflussen: Das Alter der Tiere, die Anwesenheit einer Gruppe von Artgenossen, die sich auch für die neuen Objekte interessiert und die Verfügbarkeit von Nahrung. Je nach Ausgangslage zeigen die Orang-Utans Interesse oder komplettes Desinteresse für die neuen Stimuli.
Innovationen aus Notwendigkeit oder Gelegenheit?
In der Innovationsforschung gibt es eine fortlaufende Debatte darüber, ob Notwendigkeit oder Gelegenheit zu Erfindungen führt, d.h., ob Individuen eher dazu neigen innovativ zu sein, wenn sie ökologischen Druck verspüren (z. B. bei Nahrungsmittelknappheit oder in Zeiten erhöhten Energieaufwands) oder wenn sie geeignete ökologische Bedingungen und Reize vorfinden (z. B. die Ressourcen und Materialien, die für Innovationen benötigt werden) und über erhöhte Mengen an Energie und Zeit verfügen. In der Natur ist eine Sache klar: Neuartige Objekte und Situationen stellen potenzielle Gefahren für Wildtiere dar, beispielsweise in Form von Verletzungen, Vergiftungen oder der Bedrohung durch Feinde. Aus evolutionärer Sicht sind Umweltrisiken für langlebige Arten bedeutsamer, so dass bei Arten wie Orang-Utans ein höheres Maß an Desinteresse für neue Objekte zu vermuten wäre.
Was verraten die Studienergebnisse?
Die Studie fand nun heraus, dass wilde, junge Orang-Utans ein viel größeres Interesse an neuen Dingen zeigten. Außerdem erkunden sie länger visuell neuartige Reize als ihre erwachsenen Artgenossen.
So ein Verhalten beobachten auch unsere Post-Release-Monitoring-Teams. Orang-Utan-Junge Bungaran, der 2016 als Baby mit seiner Mutter Signe in Kehje Sewen ausgewildert wurde, ist ein gutes Beispiel dafür. Neugierig klettert er von Ast zu Ast auf der Suche nach Nahrung und probiert Neues aus.
Insgesamt waren die Orang-Utans in der Studie jedoch zurückhaltend, wenn es darum ging, direkt mit dem Objekt des Experiments zu interagieren. Diese Kombination aus Interesse und Scheu schützt die Tieren vermutlich vor zu gefährlichen Objekten, die für sie z. B. giftig sein könnten, erlaubt ihnen aber gleichzeitig Neues zu erlernen.
Neben dem Alter ermutigt auch die Gegenwart von Artgenossen die Orang-Utans mit neuen, unbekannten Objekten zu interagieren. So erforschen wilde Orang-Utans am ehesten neue Gegenstände (Stimuli) oder nutzen Lernmöglichkeiten, wenn sich in ihrer Nähe weitere Waldmenschen befinden, die ebenfalls eine positive Reaktion auf die Reize zeigen.
Hinsichtlich der Umwelteinflüsse haben die Forscherinnen und Forscher festgestellt, dass eine hohe Nahrungsverfügbarkeit (und somit wahrscheinlich ein hohes Energieniveau) mit einer gesteigerten visuellen Erkundung des Versuchsapparats korreliert. Allerdings gab es während des Experimentzeitraums keine Fälle von Nahrungsknappheit. Daher ist es schwer zu sagen, wie die Orang-Utans in solch einer Situation reagieren würden.
Je jünger und satter, umso neugieriger und lernfähiger
Die Studie zeigt, dass wilde, junge Orang-Utans neugieriger sind und neue Reize länger erkunden als erwachsene Orang-Utans. Gleichzeitig sind sie aber vorsichtiger, was ihnen hilft, sicherer Neues über ihre Umwelt zu lernen. Überraschenderweise fördert die Anwesenheit von Artgenossen die Neugier und Erkundungslust bei den normalerweise solitär lebenden Orang-Utans.
Ein hohes Energieniveau führt zu verstärktem Interesse an neuen Reizen, aber es scheint, dass Orang-Utans in Phasen geringer Energie tatsächlich näher an diese herangehen, was in einer weiteren Studie detailliert untersucht werden soll.
Festgestellt wurde, dass Altersunterschiede einen stärkeren Einfluss auf die Neugier haben als die Anwesenheit von Artgenossen oder die Verfügbarkeit von Nahrung. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass junge Orang-Utans am besten geeignet sind, Lernmöglichkeiten durch neue Reize auszunutzen, wobei die Unterstützung durch Artgenossen und günstige Umweltbedingungen ihre Neugier weiter fördern können.
Quellen:
Ecological, social, and intrinsic factors affecting wild orangutans’ curiosity, assessed using a field experiment | Scientific Reports (nature.com)
Greenberg, R. S. The role of neophobia and neophilia in the development of innovative behaviour of birds. In Animal innovation (eds Reader, S. & Laland, K. N.) 175–196 (Oxford University, 2003).