27. November 2023
Orang-Utans essen Honnig

Wann und warum sind wilde Orang-Utans neugierig — und was haben sie davon?

Unsere Baby­sit­te­rinnen und Tier­pfleger kennen dies nur allzu gut: Neugie­rige Orang-Utans, die ihre Nasen überall rein­ste­cken müssen, auf der Suche nach Lecke­reien oder neuem, inter­es­santem Spiel­zeug. Eine Gruppe von Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaft­lern hat kürz­lich in einer Feld­studie auf Sumatra die Neugier wild­le­bender Orang-Utans unter­sucht. Und ist dabei zu einigen span­nenden Ergeb­nissen gekommen.

Neue Objekte und Situa­tionen kommen in unbe­rührten, natür­li­chen Lebens­räumen in der Regel selten vor. Doch bieten sie, wenn sie sich ergeben sollten, ausge­zeich­nete Möglich­keiten, etwas Neues zu lernen. Denn genau in solch einem Umfeld werden Indi­vi­duen oft inno­vativ, um aus der unbe­kannten, mögli­cher­weise bedroh­li­chen Situa­tion herauszukommen.

Inno­va­ti­ons­for­schung beim Menschen

Indi­vi­duen, die aktiver mit neuen Stimuli umgehen und offen sind diese zu erkunden, nutzen auch aktiver neue Lern­mög­lich­keiten aus. Solche Menschen entwi­ckeln schneller adap­tive Fähig­keiten und Wissen als zöger­liche Individuen.

Wie sieht es bei den Tieren aus?

Die Prima­to­login Dr. Caro­line Schuppi hat sich mit einer Gruppe von Forsche­rinnen und Forschern auf die Suche nach Faktoren gemacht, die die Neugier bei Orang-Utans beein­flussen können. Die Studie „Ecolo­gical, social, and intrinsic factors affec­ting wild oran­gutans’ curio­sity, assessed using a field expe­ri­ment“ unter­sucht, wie Orang-Utans auf Neues reagieren, aber auch, wie offen sie sind, Neues zu erkunden. Im Gegen­satz zu klas­si­schen Studien zu Reak­tionen auf Neuheiten, haben die Wissen­schaft­le­rinnen und Wissen­schaftler hier auf ein Expe­ri­ment­de­sign mit natür­li­chen Mate­ria­lien gesetzt.
Die Hypo­these der Forschungs­gruppe lautete, dass drei Faktoren das Orang-Utan-Verhalten beein­flussen: Das Alter der Tiere, die Anwe­sen­heit einer Gruppe von Artge­nossen, die sich auch für die neuen Objekte inter­es­siert und die Verfüg­bar­keit von Nahrung. Je nach Ausgangs­lage zeigen die Orang-Utans Inter­esse oder komplettes Desin­ter­esse für die neuen Stimuli.

Big Male Orang-Utans Patek und Komo

Inno­va­tionen aus Notwen­dig­keit oder Gelegenheit?

In der Inno­va­ti­ons­for­schung gibt es eine fort­lau­fende Debatte darüber, ob Notwen­dig­keit oder Gele­gen­heit zu Erfin­dungen führt, d.h., ob Indi­vi­duen eher dazu neigen inno­vativ zu sein, wenn sie ökolo­gi­schen Druck verspüren (z. B. bei Nahrungs­mit­tel­knapp­heit oder in Zeiten erhöhten Ener­gie­auf­wands) oder wenn sie geeig­nete ökolo­gi­sche Bedin­gungen und Reize vorfinden (z. B. die Ressourcen und Mate­ria­lien, die für Inno­va­tionen benö­tigt werden) und über erhöhte Mengen an Energie und Zeit verfügen. In der Natur ist eine Sache klar: Neuar­tige Objekte und Situa­tionen stellen poten­zi­elle Gefahren für Wild­tiere dar, beispiels­weise in Form von Verlet­zungen, Vergif­tungen oder der Bedro­hung durch Feinde. Aus evolu­tio­närer Sicht sind Umwelt­ri­siken für lang­le­bige Arten bedeut­samer, so dass bei Arten wie Orang-Utans ein höheres Maß an Desin­ter­esse für neue Objekte zu vermuten wäre.

Was verraten die Studienergebnisse?

Die Studie fand nun heraus, dass wilde, junge Orang-Utans ein viel größeres Inter­esse an neuen Dingen zeigten. Außerdem erkunden sie länger visuell neuar­tige Reize als ihre erwach­senen Artge­nossen.
So ein Verhalten beob­achten auch unsere Post-Release-Moni­to­ring-Teams. Orang-Utan-Junge Bungaran, der 2016 als Baby mit seiner Mutter Signe in Kehje Sewen ausge­wil­dert wurde, ist ein gutes Beispiel dafür. Neugierig klet­tert er von Ast zu Ast auf der Suche nach Nahrung und probiert Neues aus.

Orang-Utan Bungaran auf Entdeckungsreise
Orang-Utan Bungaran auf Entdeckungsreise

Insge­samt waren die Orang-Utans in der Studie jedoch zurück­hal­tend, wenn es darum ging, direkt mit dem Objekt des Expe­ri­ments zu inter­agieren. Diese Kombi­na­tion aus Inter­esse und Scheu schützt die Tieren vermut­lich vor zu gefähr­li­chen Objekten, die für sie z. B. giftig sein könnten, erlaubt ihnen aber gleich­zeitig Neues zu erlernen.
Neben dem Alter ermu­tigt auch die Gegen­wart von Artge­nossen die Orang-Utans mit neuen, unbe­kannten Objekten zu inter­agieren. So erfor­schen wilde Orang-Utans am ehesten neue Gegen­stände (Stimuli) oder nutzen Lern­mög­lich­keiten, wenn sich in ihrer Nähe weitere Wald­men­schen befinden, die eben­falls eine posi­tive Reak­tion auf die Reize zeigen.
Hinsicht­lich der Umwelt­ein­flüsse haben die Forsche­rinnen und Forscher fest­ge­stellt, dass eine hohe Nahrungs­ver­füg­bar­keit (und somit wahr­schein­lich ein hohes Ener­gie­ni­veau) mit einer gestei­gerten visu­ellen Erkun­dung des Versuchs­ap­pa­rats korre­liert. Aller­dings gab es während des Expe­ri­m­ent­zeit­raums keine Fälle von Nahrungs­knapp­heit. Daher ist es schwer zu sagen, wie die Orang-Utans in solch einer Situa­tion reagieren würden.

Je jünger und satter, umso neugie­riger und lernfähiger

Orang-Utan Valentino in der Dschungelschule
Die Anwe­sen­heit von Artge­nossen hat starken Einfluß auf die Neugier 

Die Studie zeigt, dass wilde, junge Orang-Utans neugie­riger sind und neue Reize länger erkunden als erwach­sene Orang-Utans. Gleich­zeitig sind sie aber vorsich­tiger, was ihnen hilft, sicherer Neues über ihre Umwelt zu lernen. Über­ra­schen­der­weise fördert die Anwe­sen­heit von Artge­nossen die Neugier und Erkun­dungs­lust bei den norma­ler­weise solitär lebenden Orang-Utans.
Ein hohes Ener­gie­ni­veau führt zu verstärktem Inter­esse an neuen Reizen, aber es scheint, dass Orang-Utans in Phasen geringer Energie tatsäch­lich näher an diese heran­gehen, was in einer weiteren Studie detail­liert unter­sucht werden soll.
Fest­ge­stellt wurde, dass Alters­un­ter­schiede einen stär­keren Einfluss auf die Neugier haben als die Anwe­sen­heit von Artge­nossen oder die Verfüg­bar­keit von Nahrung. Diese Erkennt­nisse legen nahe, dass junge Orang-Utans am besten geeignet sind, Lern­mög­lich­keiten durch neue Reize auszu­nutzen, wobei die Unter­stüt­zung durch Artge­nossen und güns­tige Umwelt­be­din­gungen ihre Neugier weiter fördern können.

Quellen:

Ecolo­gical, social, and intrinsic factors affec­ting wild oran­gutans’ curio­sity, assessed using a field expe­ri­ment | Scien­tific Reports (nature.com)

Green­berg, R. S. The role of neophobia and neophilia in the deve­lo­p­ment of inno­va­tive beha­viour of birds. In Animal inno­va­tion (eds Reader, S. & Laland, K. N.) 175–196 (Oxford Univer­sity, 2003).