Andri Kornelius arbeitet für die BOS Foundation im Kommunikationsteam des Rettungszentrums Nyaru Menteng. Er hat die Auswilderung der vier rehabilitierten Orang-Utans Dius, Sebangau, Jazzboy und Itang in den Nationalpark Bukit Baka Bukit Raya im Mai 2022 begleitet. Eine Reise, die für ihn aus verschiedenen Gründen unvergesslich bleiben wird.
Diese Auswilderung hat mich wirklich sehr bewegt, denn ich habe alle vier Orang-Utans seit Jahren auf ihrer Rehabilitation begleitet und ihre Fortschritte genau verfolgt. Insbesondere die von Dius, der als gerade mal 18 Monate altes Baby aus illegaler Haustierhaltung befreit und als Waisenkind zu uns ins Nyaru Menteng Rehabilitationszentrum kam.
Seine Geschichte habe ich über die Jahre immer wieder dokumentiert.
Von der Waldschule zur Walduni und schließlich in die Freiheit
Zwischen ihrem Abschluss der Waldschule und der tatsächlichen Auswilderung lebten die Orang-Utans einige Zeit halbselbständig auf unseren Vorauswilderungsinseln – wir nennen diese Zeit die Walduni. Auf den Inseln müssen die Orang-Utans beweisen, dass sie alle Fertigkeiten erworben haben, die sie für das Leben in freier Wildbahn brauchen, während unser Team sie weiterhin genau beobachtet und regelmäßig zufüttert. Denn die Inseln bieten nicht immer ausreichend Nahrung für alle Bewohner.
Dius von der Vorauswilderungsinsel abzuholen, war ein echtes Abenteuer
Schon Ende Januar 2022 begann für die vier Orang-Utans der Auswilderungsprozess und wir mussten sie von der Insel Badak Kecil abholen. Das machen wir so viele Wochen vor der eigentlichen Auswilderung, weil die Kandidaten noch einmal genauestens medizinisch untersucht werden, um sicherzustellen, dass sie nicht irgendwelche Krankheiten oder Infektionen in ihr neues Zuhause einschleppen. Auch eine längere Quarantänezeit müssen die Tiere ertragen – aus dem gleichen Grund.
Als wir versuchten, uns Dius auf der Insel zu nähern, war er von einem Schwarm Bienen umgeben. Offenbar hatte er gerade Waldhonig genascht und so die Bienen gegen sich aufgebracht, die nicht nur ihn, sondern auch alles, was sich ihm näherte, angriffen. Es war kein einfaches Unterfangen, Dius zu sedieren und von der Insel zu bringen. Unsere Tierpfleger und ‑ärzte waren lange unterwegs, mussten sogar schwimmen, aber schließlich gelang es ihnen, Dius zu erreichen und ins Rettungszentrum Nyaru Menteng zu bringen.
In der Schubkarre zum letzten Check-Up
Nachdem Dius, Sebangau, Itang und Jazzboy alle Test bestanden und die Quarantäne hinter sich gebracht haben, war am 18. Mai endlich der Tag der Abreise gekommen. Und auch der des Abschieds. Denn so sehr wir uns darüber freuen, dass unsere Schützlinge endlich das Leben führen können, für das sie geboren wurden, so sind sie uns in all den Jahren doch ans Herz gewachsen.
Noch einmal wiegen, ehe es losgeht
Dius und Jazzboy waren die ersten, die in eine leichte Narkose gelegt wurden, gefolgt von Itang und Sebangau. Dann wurden die vier in ihre Transportboxen gelegt, in denen sie nun für längere Zeit ausharren mussten.
In dieser Box geht es auf die lange Reise
Die Reise beginnt
Wir brachen am frühen Abend mit den Jeeps auf. Nach etwa acht Stunden Fahrt hatten wir gegen zwei Uhr morgens unser erstes Etappenziel – das Dorf Tumbang Hiran – erreicht. Am nächsten Morgen setzten wir die Reise in schmalen, langen Motorbooten auf dem Fluss fort. Und dieser Teil der Reise, für den wir einen weiteren Tag brauchten, wurde dann richtig abenteuerlich.
Wir mussten Stromschnellen meistern und immer wieder Felsen ausweichen, was unseren erfahrenen Bootsführern und unserem gesamten Team einiges abverlangte, um die Boote unbeschadet ans Ziel zu bringen. Eine Stunde lang regnete es außerdem ununterbrochen, was zusätzlich die Sicht einschränkte. Das hat uns ganz schön gefordert.
Die Orang-Utans verfolgen alles, was um sie herum vor sich geht
Die Transportboxen mit unserer wertvollen Fracht sichern wir für die Fahrt auf dem Fluss übrigens mit großen Schwimmbojen. Denn schwimmen können Orang-Utans nicht.
Sebangau und Dius kommen sich nach der Freilassung direkt näher
Endlich, nach mehr als 24 Stunden herausfordernder Reise hatten wir unser Ziel im Bukit Baka Bukit Raya Nationalpark erreicht.
Sebangau durfte als Erste in die Freiheit stürmen. Und das tat sie auch. Kaum wurde ihre Transportbox geöffnet, da kletterte die Elfjährige schon auf einen hohen Baum, um sich auf dessen Ästen zu entspannen.
Sebangau erklimmt sofort einen Baum
Der stattliche Dius war als nächstes dran und folgte Sebangau auf ihren Baum. Wenig später konnte das Team sie in inniger Umarmung beobachten. Womöglich wurde hier das nächste Orang-Utan-Baby gezeugt?
Dius und Sebangau vereint
Anschließend erkundeten die beiden die Umgebung und futterten gemeinsam ein paar Rattansprossen. Der 18-jährige Dius baute ein Schlafnest in einem Rambutanbaum, von dessen Früchten sie sich noch einige gönnten, ehe sie Seite an Seite ihre erste Nacht im Regenwald verbrachten.
Itang baut sich ein Nest zum Ausruhen und Jazzboy randaliert
Ein Stück entfernt durften auch Itang und Jazzboy endlich ihre Transportkisten verlassen. Itang (12) kletterte sofort auf einen Baum und baute sich dort oben ein Nest.
Itangs erster Schritt in Freiheit
Jazzboy hingegen kletterte nicht sofort auf den nächsten Baum. Er drehte sich – zur Überraschung aller – direkt zur Transportbox um, packte sie und warf sie zur Seite. Anscheinend hatte sich bei dem 17-Jährigen eine Menge Frust über die lange Reise aufgestaut, die erstmal raus musste, ehe er sich seiner neuen Heimat zuwenden wollte. Doch auch er machte sich dann bald auf, den Nationalpark zu erobern.
Jazzboy macht sich auf den Weg
Bei Sonnenuntergang hatten wir alle vier Orang-Utans freigelassen und starteten mit den Booten ins eine Stunde entfernte Camp. Das gestaltete sich noch schwieriger als die Anreise, denn es wurde immer dunkler und durch die eingeschränkte Sicht war es noch heikler, die Stromschnellen und Felsen unbeschadet zu passieren.
Glücksgefühle, Adrenalinschub und Erleichterung: eine emotionale Reise
An einer Stelle blieb das Boot – während wir gerade eine Passage mit gefährlichen Stromschnellen queren mussten – zwischen zwei großen Felsen stecken. Ich dachte, wir würden jeden Moment kentern. Wir ließen uns ins Wasser gleiten, um das Boot anzuschieben. Schließlich gelang es uns, das Boot zu befreien.
Das Boot hängt fest
Doch ehe wir endlich mitten in der Nacht das Camp erreichten, musste wir noch so einige weitere Stromschnellen meistern. Die Bootsführer hatten wirklich einen harten Job zu erledigen, um uns sicher ans Ziel zu bringen. Gut, dass sie den Fluss so gut kennen.
Auf dieser Reise durchlebte ich eine Achterbahn der Gefühle. Als wir die vier Orang-Utans freiließen, durchströmten mich überwältigende Glücksgefühle. Kurze Zeit später war es zunächst ein Nervenkitzel und schließlich große Angst, dass das Boot untergehen würde.
Aber es war jede Herausforderung wert, die wir auf uns genommen haben! Ich bin glücklich, dass wir diesen vier Orang-Utans die Möglichkeit geben konnten, in Freiheit zu leben, sich hoffentlich fortzupflanzen und so zum Erhalt der Art beizutragen. Ich hoffe sehr, dass mein Bericht noch mehr Menschen inspiriert, sich für Orang-Utans und die Umwelt zu interessieren und in ihrem täglichen Leben aktiv zu werden.
Wir alle können unseren Teil dazu beitragen, die Orang-Utans zu retten!
Autor: Andri Kornelius, Kommunikationsteam in Nyaru Menteng, Zentral-Kalimantan