Der Evolutionsbiologe James Askew verbrachte mehrere Monate im Regenwald Borneos, um die Rufe erwachsener Orang-Utan Männchen zu erforschen. Gemeinsam mit seinem Team hat er neue Erkenntnisse über die Bedeutung der sogenannten ‘Long Calls’ gewonnen.
Bisher wurden bei Orang-Utans etwa 32 Lautäußerungen identifiziert (1). Doch nicht alle Rufe kommen in allen Populationen vor. Bei manchen Lautäußerungen wird vermutet, dass sie sozial erlernt werden, und somit eine weitere Komponente der kulturellen Variation zwischen Orang-Utan Populationen darstellen könnten. Generell lassen sich die Rufe der Orang-Utans in drei Klassen einteilen. Rufe und Laute die über kurze Distanz hörbar sind (unter 25 Meter), mittlere Distanz (250 Meter) und Langdistanz (mehr als 250 Meter).
Der sogenannte ‘Long Call‘ (zu deutsch „langer Ruf“) gehört zu den Langdistanz Rufen und ist einer der häufigsten Lautäußerungen ausgewachsener Orang-Utan Männchen. Dieser Ruf ist — sogar im dichten Regenwald — bis zu 1500 Meter weit hörbar. Er besteht aus drei Teilen: Einer Einführung, die sich wie ein niederfrequentes Grummeln anhört, einem Höhepunkt mit mehreren starken Impulsen und blubbernden Lauten im Abklang (2). Am häufigsten hört man den komplexen Ruf von ausgewachsenen Männchen, die sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Kehlsack und ausgeprägte Wangenwulste besitzen. Männchen ohne diese Geschlechtsmerkmale rufen deutlich weniger. Ein typischer ‘Long Call‘ dauert oft über eine Minute an und Abfolgen dieses Rufes können sogar mehr als 10 Minuten andauern (3). Hier ist ein ‘Long Call‘ zu hören.
Ist der ‘Long Call‘ eines Männchens von einem anderen unterscheidbar?
Um dieser und anderer Fragen nachzugehen, begab sich James mehrere Monate in den Jahren 2007 bis 2010 in die Sumpfregenwälder von Sabangau auf Borneo. Es ist nicht einfach, Orang-Utan Männchen im dichten Regenwald ausfindig zu machen. Doch sobald James einen Ruf hörte, begaben er sich sofort in diese Richtung, egal wie weit er vom Basislager entfernt war. Sobald er den Orang-Utan gefunden hatte, wurde dieser mehrere Tage mit großzügigem Abstand begleitet und jede Lautäußerung mit einem speziellen Mikrofon aufgezeichnet. Dazu wurde auch die Richtung, in der der Ruf abgesetzt wurde und der zugehörige Kontext notiert, sowie die Reiseroute via GPS ermittelt. So gelang es ihm und dem Forschungsteam im Laufe des Beobachtungszeitraums Daten von knapp 80 ‘Long Calls‘ von drei ausgewachsenen Männchen namens Peter Pan, Jupiter und Salvador zu erhalten (4).
Wie bereits aus anderen Studien in anderen Teilen Borneos und Sumatra bekannt war (5–7), so waren auch die ‘Long Calls‘ der Orang-Utans Peter Pan, Jupiter und Salvador individuell unterscheidbar (4).
Bildliche Darstellung des zeitlichen Verlaufs des Frequenzspektrums der ‘Long calls’ der Männchen Salvador (obere Grafik) und Jupiter (unten). Man kann hier sehr gut die unterschiedlichen Pulsarten der Rufe erkennen (Quelle: Askew & Morrogh-Bernard, 2016).
Ob andere Orang-Utans die den ‘Long call’ hören, den Rufenden identifizieren können, ist bisher noch nicht eindeutig nachgewiesen. Dennoch sprechen einige Indizien dafür, dass Weibchen sowie andere Männchen wissen, wer der Rufende ist. Wenn Männchen aufeinandertreffen, so kommt es oft zu Aggression. Beobachtungen zeigen, dass niederrangige Orang-Utan Männchen den Rufen von dominanten Männchen ausweichen (5, 8) und sexuell aktive Weibchen sich den Rufen von dominanten Männchen annähern (9). Weibliche Orang-Utans mit Jungtieren dagegen scheinen sich von einem rufenden Männchen eher wegzubewegen (7).
Ändern sich die ‘Long calls’ je nach Kontext, in dem sie getätigt werden?
‘Long Calls‘ werden in mehreren Situationen abgegeben. Sie können spontan erfolgen, als Reaktion auf ‘Long Calls‘ anderer Männchen, als Reaktion auf das Fallen eines Baumes oder andere Störungen und gegenüber Menschen, die ihnen zu nahekommen. ‘Long Calls‘, die im aufgeregten Zustand abgegeben werden, sind etwas schneller, haben Pulse von kürzerer Dauer und enthalten mehr Pulse und blubbernde Laute als spontan abgegebene Rufe (7). Es gibt Hinweise, dass weibliche Orang-Utans den Unterschied zwischen einem aufgeregtem ‘Long Call‘, der durch eine Störung hervorgerufen wurde und einem spontan ausgestoßenen ‘Long Call‘ erkennen können: Denn sie scheinen den Ruf zu ignorieren, der durch eine Störung hervorgerufen wurde (7). Forscher vermuten, dass ‘Long Call‘ Rufe die das Orang-Utan Männchen spontan äußert, dazu dienen Weibchen anzulocken und andere Männchen davon abzuhalten, in die Gegend zu kommen.
Welche Botschaft steckt in der Rufrichtung der ‘Long calls’?
Aus den Analysen geht hervor, dass Orang-Utan Männchen im Sumpfregenwald von Sabangau ihre ‘Long Calls‘ unter anderem dazu verwenden, um ihre zukünftige Reiserichtung „anzukündigen“ (4). Dies wurde bereits schon für Sumatra-Orang-Utans gezeigt (10). Dabei wenden sich Orang-Utans der geplanten Reiserichtung zu, während sie die Lautäußerung von sich geben. In der Studie wurde gezeigt, dass der letzte ‘Long Call‘, der kurz vor dem schlafen abgegeben wurde, eine bessere als zufällige Vorhersage der Reiserichtung bis 16:00 Uhr am nächsten Tag lieferte — also ca. 22 Stunden nach dem abendlichen Ruf! ‘Long Calls‘ die unter Tags abgegeben werden, sagen die weitere Reiserichtung für viele Stunden voraus, wohingegen ein neuer Ruf eine Änderung der Hauptreiserichtung anzeigen kann (10). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass männliche Orang-Utans ihre Reisepläne lange im Voraus schmieden und sie ihren Artgenossen ankündigen.
James Askew absolvierte seinen PhD in Evolutionsbiologie an der University of Southern California. Er studiert Verhaltensökologie und Reproduktionsphysiologie in drei Orang-Utan-Populationen auf Borneo und Sumatra.
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie, diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Jeder Beitrag hilft.
Text: Dr. Isabelle Laumer
Referenzen:
1. Hardus, M. E., Lameira, A. R., Singleton, I., Morrogh- Bernard, H. C., Knott, C. D., Ancrenaz, M., Utami Atmoko, S. S. & Wich, S. A. 2009: A description of the orangutan’s vocal and sound repertoire, with a focus on geographic variation. In: Orangutans: Geographic Variation in Behavioral Ecology and Conservation (Wich, S. A., Mitra Setia, T. & van Schaik, C. P., eds). Oxford University Press, Oxford, pp. 49—60.
2. Galdikas BFM (1983). The orang-utan long call and snag crash at Tanjung Puting Reserve. Primates 24: 371–384.
3. J. Askew, 2016, Information stammt aus noch nicht veröffentlichten Daten.
4. Askew J.A., Morrogh-Bernard H.C. (2016) Acoustic Characteristics of Long Calls Produced by Male Orang-Utans (Pongo pygmaeus wurmbii): Advertising Individual Identity, Context, and Travel Direction, Folia Primatol 2016;87:305–319.
5. Delgado RA (2003). The Function of Adult Male Long Calls in Wild Orang-Utans (Pongo pygmaeus). PhD dissertation, Duke University, Durham.
6. Delgado RA, Lameira A, Davila Ross M, Husson SJ, Morrogh-Bernard HC, Wich SA (2009). Geographical variation in orangutan long calls. In Orangutans: Geographic Variation in Behavioral Ecology and Conservation (Wich SA, Utami Atmoko SS, Mitra Setia T, van Schaik CP, eds.), pp 215–224. New York, Oxford University Press.
7. Spillmann B, Dunkel LP, van Noordwijk MA, Amda RNA, Lameira AR, Wich SA, van Schaik CP (2010). Acoustic properties of long calls given by flanged male orang-utans (Pongo pygmaeus wurmbii) reflect both individual identity and context. Ethology 116: 385–395.
8. Mitani J (1985). Sexual selection and adult male orang-utan long calls. Animal Behaviour 33: 272–283.
9. Mitra Setia T, van Schaik CP (2007). The response of adult orang-utans to flanged male long calls: inferences about their function. Folia Primatologica 78: 215–226.
10. van Schaik CP, Damerius L, Isler K (2013). Wild orangutan males plan and communicate their travel direction one day in advance. PLoS One 8: e74896.