7. November 2022
Orang-Utan-Hand

Welche Zukunft haben die Orang-Utans auf Borneo?

Eine Studie von 33 Wissen­schaft­lern aus der ganzen Welt hat vier Szena­rien für die Entwick­lung in den nächsten zehn Jahre model­liert. Ihr Fazit: Es gibt gute Voraus­set­zungen, aber wir müssen noch konse­quenter Handeln.


Werden unsere Enkel­kinder noch Orang-Utans in freier Wild­bahn kennen oder droht dieser majes­tä­ti­schen Art, die uns Menschen so unglaub­lich ähnlich ist, bald die erneute Herauf­stu­fung auf der Roten Liste der bedrohten Arten? Dieser Frage sind 33 Orang-Utan-Experten rund um den Globus nach­ge­gangen: In ihrer soeben veröf­fent­lichten Studie haben sie verschie­dene Szena­rien model­liert und unter­sucht, wie sich die Popu­la­tion des Borneo-Orang-Utans in den nächsten zehn Jahren unter den verschie­denen Annahmen entwi­ckelt.
Die gute Nach­richt vorab: Es besteht eine reelle Chance, dass sich die Orang-Utan-Popu­la­tionen erholt und bis 2122 auf 148 % ihres momen­tanen Bestandes wächst. Dafür müssen jedoch zwei ganz entschei­dende Voraus­set­zungen erfüllt sein: Die Wilderei und Zerstö­rung des Lebens­raumes der Wald­men­schen müssen aufhören!

Jagd und Abhol­zung ließen Orang-Utans an vielen Orten für immer verschwinden


Seit der moderne Mensch vor etwa 80 000 Jahren in das Verbrei­tungs­ge­biet der Orang-Utans auf dem asia­ti­schen Fest­land einge­drungen ist, wurde die Art verfolgt. Zunächst mit Pfeil und Bogen, dann mit Blas­rohren und schließ­lich mit Schuss­waffen haben die Menschen Orang-Utans gejagt. Die unkon­trol­lierte Jagd spielte eine wich­tige Rolle beim Aussterben des Orang-Utans in Südchina, Thai­land, Vietnam, Kambo­dscha, auf der Malai­ischen Halb­insel, der Insel Java und in verschie­denen Teilen Borneos und Suma­tras: Dort kommt die Art bereits heute nicht mehr vor.
Die Menschen begannen außerdem, Wälder in land­wirt­schaft­liche Flächen und Plan­tagen umzu­wan­deln. Neben der Wilderei ist diese Zerstö­rung des Lebens­raums der Orang-Utans Haupt­grund für das Verschwinden der Art.


Hier gibt es jedoch bereits eine gute Nach­richt zu vermelden: Die Abhol­zun­grate in Indo­ne­sien und Malaysia, wo die letzten Orang-Utans leben, ist gesunken! Laut einem Bericht der Orga­ni­sa­tion Chain Reac­tion Rese­arch wurden im Jahr 2020 “nur” 38.000 Hektar gerodet im Vergleich zu 90.000 Hektar in 2019. Die Gründe für diese Entwick­lung sind viel­fältig und werden von Exper­tinnen und Experten noch disku­tiert. Großen Einfluss scheint jedoch die Nach­hal­tig­keits­stra­tegie “No Peat, No Explo­ita­tion” zu haben, nach der viele inter­na­tio­nale Unter­nehmen ausschließ­lich Zulie­ferer auswählen, welche sich dem verant­wor­tungs­vollen Anbau von Palmöl verpflichten.

Gesicht vom Orang-Utan-Männchen


Über­leben oder Aussterben? Vier Szena­rien für die Orang-Utan-Popu­la­tion
Wie kann es nun mit dem Orang-Utan-Schutz weiter­gehen? Welches sind die besten Stra­te­gien? Auch für unsere Arbeit in den Schutz­zen­tren auf Borneo sind die Modelle und Ergeb­nisse der Forsche­rinnen und Forscher höchst aufschluss­reich. Im Folgenden werden die Szena­rien und ihre Auswir­kungen kurz vorgestellt.

Über­leben oder Aussterben? Vier Szena­rien für die Orang-Utan-Population


Wie kann es nun mit dem Orang-Utan-Schutz weiter­gehen? Welches sind die besten Stra­te­gien? Auch für unsere Arbeit in den Schutz­zen­tren auf Borneo sind die Modelle und Ergeb­nisse der Forsche­rinnen und Forscher höchst aufschluss­reich. Im Folgenden werden die Szena­rien und ihre Auswir­kungen kurz vorgestellt.


Szenario 1: Weiter­ma­chen wie bisher


Als erstes betrachtet die Studie die bishe­rige Entwick­lung und kommt zu einem nieder­schmet­ternden Ergebnis: Wenn sich nichts an der aktu­ellen Situa­tion ändert, könnte die Orang-Utan-Popu­la­tion in den nächsten zehn Jahren um 27 % schrumpfen. Wenn man bedenkt, dass im Zeit­raum 1999 bis 2015 bereits rund 100.000 Orang-Utans alleine auf Borneo verschwunden sind, ist das eine entsetz­liche Vorstellung.

Szenario 2: Half Earth – die Hälfte der Erdober­fläche wird zum Naturschutzgebiet


Der US Biologe E.O. Wilson hat diesen Ansatz entwi­ckelt. Wenn die Mensch­heit verhin­dern möchte, dass die biolo­gi­sche Viel­falt unseres Planeten weiterhin verloren geht, so seine Modell­an­nahme, dann müsse sie dessen Ober­fläche zur Hälfte unter Natur­schutz stellen. Nur wenn es uns gelingt, die unbe­rührte Natur zu erhalten, können wir den weiteren Verlust der Biodi­ver­sität verhin­dern.
Dieses Modell legten die Forsche­rinnen und Forscher der vorlie­genden Studie nun für die Wälder Borneos im indo­ne­si­schen Kali­mantan und im malay­ischen Sabah zugrunde und unter­suchten ihre Auswir­kungen auf die Orang-Utan-Popu­la­tion.
Das Ergebnis ihrer Berech­nungen: Nach dem Half Earth-Modell könnte, im Vergleich zur aktu­ellen Situa­tion, der Verlust der Orang-Utan-Popu­la­tion bis 2032 um mindes­tens die Hälfte redu­ziert werden.
Und es gibt noch eine gute Nach­richt: Sabah hat bereits 65% seiner bewal­deten Fläche unter Schutz gestellt und Kali­mantan, wo sich die BOS-Rettungs­zen­tren befinden, besteht sogar zu 67,1 % aus staat­li­chem Wald. Auf Borneo wurden die “Half Earth”-Ziele also bereits über­troffen! Leider bislang nur theo­re­tisch, denn noch immer werden in den offi­ziell geschützten Gebieten illegal Bäume gefällt. Wilderei ist eben­falls weiterhin ein Problem.

Orang-Utan im Regenwald
Orang-Utan-Weib­chen im Regenwald


Szenario 3: Whole Earth – ein umfas­sender Ansatz für Artenschutz


Die Forsche­rinnen und Forscher der vorlie­genden Studie unter­suchten als nächstes einen noch weiter­ge­henden Ansatz: Dieser setzt nicht nur den Schutz der Wälder wie im Half Earth-Szenario voraus, sondern eine grund­le­gende Verän­de­rung der momen­tanen poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Systeme. Ein Schlüs­sel­ele­ment ist hier die Einfüh­rung von Gemein­schafts­rechten für die Bewirt­schaf­tung der Wälder. Ein revo­lu­tio­närer Ansatz, der jedoch einige Risiken birgt. Denn die grund­le­genden Verän­de­rungen, die für das Whole Earth-Modell nötig wären, benö­tigen Zeit für die Umset­zung. In dieser Zeit könnte ein Macht- und Kontroll­va­kuum entstehen mit fatalen Folgen für die Orang-Utan-Popu­la­tion.
Für den betrach­teten Zeit­raum der nächsten zehn Jahre geht die Studie daher davon aus, dass das Whole Earth-Szenario die höchsten Verluste in der Orang-Utan-Popu­la­tion zur Folge hätte: Bis zu 56 % Verlust seien inner­halb von zehn Jahren vorstellbar.

Szenario 4: Eine Kombi­na­tion aus Half Earth und Whole Earth


Die Lösung liegt wie so oft in der Mitte. Zunächst empfiehlt die vorlie­gende Studie den Half Earth-Ansatz. Hierfür sind bereits sehr gute Voraus­set­zungen gegeben: Über die Hälfte der Wälder stehen schon heute unter Natur­schutz, die Akzep­tanz in der lokalen Bevöl­ke­rung ist entspre­chend groß. Entschei­dend ist jedoch, dass der Schutz der Wälder auch tatsäch­lich gewähr­leistet und die ille­gale Abhol­zung verhin­dert wird.

Orang-Utan am Fluß


Eine weitere Voraus­set­zung ist die enge Zusam­men­ar­beit mit den lokalen Gemeinden auf Borneo. Hier sind Empower­ment-Elemente des Whole-Earth-Ansatzes hilf­reich. Die Autorinnen und Autoren der Studie sind sich weit­ge­hend einig, dass ein sensi­blerer und gerech­terer Umgang mit den Commu­ni­ties zu den wich­tigsten Voraus­set­zungen für eine fried­liche Koexis­tenz zwischen Menschen und Orang-Utans gehört.


Damit bestärkt uns die Studie darin, dass die BOS Foun­da­tion mit ihrer Arbeit bereits den rich­tigen Weg einge­schlagen hat: Wir retten nicht nur Orang-Utans und bereiten sie in unseren Schutz­zen­tren auf ihr künf­tiges Leben in Frei­heit vor, wir beziehen auch die lokalen Gemeinden in unsere Arbeit ein, nicht zuletzt in den Auffors­tungs­pro­jekten von Lebens­wald in Mawas.

Refe­renzen:
Meijaard, E., Sheil, D., Sherman, J., Chua, L., Ni’ma­tullah, S., Wilson, K., Ancrenaz, M., Liswanto D., Wich, S., Goos­sens, B., Kühl, H.,Voigt, M., Kurniawan, Trianto, A., Priatna, D., Banes, G., Massingham, E., Y., Rayadin, Y., Payne, J., Marshall, A. (2022). Resto­ring the oran­gutan in a Whole- or Half-Earth context. Oryx, 1–12. doi:10.1017/S003060532200093X

The Chain: Defo­re­sta­tion Driven by Oil Palm Falls to a Four-Year Low, Chain Reac­tion Rese­arch, [https://chainreactionresearch.com/the-chain-deforestation-driven-by-oil-palm-falls-to-a-four-year-low/], zuletzt aufge­rufen am 26.10.22