16. April 2022
Unsere Orang-Utan-Neuankömmlinge aus 2021

Wie geht es den Neuan­kömm­lingen aus dem letzten Jahr?

Wenn die Orang-Utans zu uns kommen, haben sie meist eine trau­rige Geschichte hinter sich. Viele von ihnen sind trau­ma­ti­siert, einige verletzt, oft sind sie Waisen. So bitter die Anlässe sind, so froh sind wir doch, dass wir diesen wunder­baren Tieren die Chance auf ein neues Leben ermög­li­chen können. Denn mit ihrer Rettung beginnt unsere Arbeit. Die meisten Orang-Utans bleiben für viele Jahre bei uns, in denen sie einen umfang­rei­chen Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess durch­laufen. Auch letztes Jahr haben wir wieder viele Orang-Utans in unseren Rettungs­zen­tren Nyaru Menteng und Samboja Lestari aufge­nommen. Einige von Ihnen haben wir jetzt besucht….

Galaksi: der Obstliebhaber

Galaksi

Galaksi ist das indo­ne­si­sche Wort für Galaxis – seinen Namen hat unser kleiner Herzens­bre­cher von seinen Baby­sit­te­rinnen bekommen. Als er im August des letzten Jahres zu uns kam, war Galaksi unge­fähr sieben Monate alt und wog grade mal 2,4 Kilo­gramm. Dorf­be­wohner hatten ihn allein im Wald gefunden und die Behörden infor­miert. Das Rettungs­team des BKSDA machte sich sofort auf den Weg. Direkt nach seiner Ankunft im Baby­haus in Samboja Lestari unter­suchte unser Vete­ri­när­team den Orang-Utan-Jungen und gab ihm immer wieder Milch zu Trinken. Nach der Unter­su­chung konnten alle erst mal aufatmen: Er war zwar sehr dünn, hatte aber keine Verletzungen.

Seither hat Galaksi ordent­lich an Gewicht zuge­legt: 8,9 Kilo­gramm bringt er nach acht Monaten guter Pflege auf die Waage! Er lässt keine Gele­gen­heit aus, Milch zu trinken und genießt jeden einzelnen Tropfen. Dazu gibt es jede Menge Obst. Ganz beson­ders liebt er Drachen­früchte und Bananen. Klar. Auch sonst entwi­ckelt sich der Orang-Utan-Junge genau so, wie es sein soll. Er spielt viel, am liebsten im Wald, klet­tert allein auf Bäume und erkundet seine Umge­bung. Wenn er einen Fremden sieht, kommt er sofort vom Baum herunter und läuft zu seiner Baby­sit­terin, um sie zu umarmen. Die Nähe zur Baby­sit­terin als Ersatz­mutter ist wichtig für die Entwick­lung der Tiere.

Ramangai: der unab­hän­gige Geist

Ramangai

Vor über einem Jahr kamen Ramangai, Onyer und Aiko in unser Rettungs­zen­trum. Ramangai war im Wald von einem Baum direkt vor die Füße eines Dorf­be­woh­ners gefallen – so zumin­dest die Geschichte des Mannes, der ihn fand. Er hat den Orang-Utan-Jungen dann mehrere Tage mit Kaffee, gesüßter Kondens­milch und Bananen gefüt­tert. Keine gute Idee. Als das Rettungs­team eintraf, war Ramangai dehy­driert und geschwächt. Schon auf dem Weg ins Rettungs­zen­trum bekam er seine erste Infu­sion. Bei seiner Ankunft im Zentrum hatte er trockene Narben am linken Arm und am rechten Unter­schenkel, und die Haut an seinen Fingern schälte sich. Ramangai war so stark dehy­driert, dass er Fieber bekam, stumpfes Haar hatte und zu schwach war, um sich zu bewegen. Er brauchte einige Tage, bis sein Gesund­heits­zu­stand eini­ger­maßen stabil war. Zu diesem Zeit­punkt war er etwas über sechs Monate alt und wog 2,6 kg.

Wenn wir ihn heute sehen, scheint das lange her zu sein. Ramangai ist sehr selbst­be­wusst und erkundet seine Umge­bung auf eine Faust. Dann klet­tert er auf Bäume – wenn sie nicht allzu hoch sind – oder spielt mit erkenn­barer Freude in den vielen Pfützen, die während der Regen­zeit auf dem Gelände der Wald­schule verteilt sind. Er ist gesund und entwi­ckelt sich genauso, wie es für einen Orang-Utans seines Alters sein soll.

Onyer: der Umarmer

Onyer

Onyer wurde uns im Februar des letzten Jahres von einem Dorf­be­wohner im Bezirk Mihing Raya in Zentral-Kali­mantan über­geben. Da war der Orang-Utan-Waise unge­fähr acht Monate alt und wog 2,3 Kilo­gramm. Der „Finder“ behaup­tete, er habe Onyer am 19. Januar allein und ohne Mutter auf dem Gelände einer Gold­mine gefunden. Dann habe er ihn mit nach Hause genommen und einen Weg gesucht, die zustän­digen Behörden zu infor­mieren. Das dauerte offenbar einen ganzen Monat. Am 25. Februar, wurde Onyer an das Team der BKSDA über­geben. Leider ähneln sich diese Geschichten immer wieder. Oft glauben die Finder, sie könnten gut für die kleinen Menschen­affen sorgen. Doch aus gutem Grund ist es illegal, Orang-Utans als Haus­tiere zu halten.

In der Zeit bei uns hat sich Onyer prächtig entwi­ckelt. Er ist selbst­be­wusst, verspielt und ein echter Rauf­bold geworden. In manchen Situa­tionen neigt er zu aggres­sivem Verhalten. Vermut­lich, weil er sich bedroht fühlt. Dann greift er sogar die Tier­ärzte an. Unbe­kannten Menschen gegen­über ist er allge­mein eher miss­trau­isch. Dann geht Onyer gern auf „Nummer sicher“ und läuft zu einer der Baby­sit­te­rinnen oder einem vertrauten Spiel­ge­fährten und klam­mert sich an sie. Das beru­higt.  Eine seiner liebsten Spiel­ge­fähr­tinnen ist Aiko; mit ihr lernt er auf Bäume zu klet­tern. Und: Onyer ist ein perfektes Foto­mo­dell! Sobald er eine Kamera erblickt, schaut er direkt in die Linse — wir haben viele Bilder, auf denen er sein eigenes Spie­gel­bild bewundert!

Aiko: die Kletterin

Aiko

Wenn es so etwas unter Orang-Utans gibt, dann ist Aiko wohl die beste Freundin von Onyer. Mit ihm tobt sie am liebsten durch die Bäume und erlebt immer wieder neue Aben­teuer. Beim Klet­tern ist sie schon viel geschickter als die Gleich­alt­rigen ihrer Gruppe. Sie ist sehr unab­hängig und sehr gut darin, Kontakte zu knüpfen.

Aiko wurde am 23. März 2021 von einem Bewohner des Dorfes Muroi in der Region Kapuas, Zentral­ka­li­mantan, gefunden. Bei der Über­gabe erzählte er, er habe das kleine Orang-Utan-Mädchen in seinem Garten gefunden, nachdem sie von einem Hund gejagt worden war. Aiko war mit knapp unter drei Kilo­gramm sehr dünn und wurde von unseren Tier­ärzten auf ein Alter von etwa acht bis neun Monaten geschätzt.

Im Laufe der Zeit lebte sich Aiko gut ein. Von Anfang an hatte sie einen guten Appetit. Und von ihrer Lieb­lings­speise – Milch – kann sie gar nicht genug bekommen! Wenn sie das Gefühl hat, nicht genug zu haben, dann winselt sie sehr eindring­lich bei ihrer Baby­sit­terin um mehr. Aiko wird ihren Weg machen, davon sind wir über­zeugt. Ihren Namen hat sie übri­gens von einer/m unserer Unterstützer:innen bekommen: Vor genau einem Jahr haben wir welt­weit dazu aufge­rufen, dem kleinen namen­losen Orang-Utan-Mädchen einen Namen zu geben. Unter 1.400 Einsen­dungen wurde dann am Ende Aiko ausge­wählt. Eine gute Wahl, wie wir finden.

Feruza: die Überfliegerin

Feruza

Als man Feruza fand, saß sie neben ihrer toten Mutter, die sich in einer Wild­schwein­falle verfangen hatte und vermut­lich sehr qual­voll verendet ist. So erzählte es der Dorf­be­wohner, der sie in der Gegend des Dorfes Pondok Labu im Bezirk Tabang, Ost-Kali­mantan fand. Er nahm die kleine Waise mit nach Hause und kümmerte sich fast zwei Monate um sie. Mit Dosen­milch und Obst versuchte er sie aufzu­päp­peln. Dann sah er endlich ein, dass das nicht der rich­tige Weg war. Im November 2021 verstän­digte er das Wild­tier­ret­tungs­team der BKSDA, das das verängs­tigte Tier sofort abholten. Da war Feruza unge­fähr ein Jahr alt und wog etwas mehr als vier Kilo­gramm. Ihr ganzes Verhalten schien darauf hinzu­deuten, dass sie durch das Erlebte trau­ma­ti­siert war. Wenn sie Angst hatte, drückte sie sich ganz fest an ihre Baby­sit­terin. Auch wollte sie nicht allein schlafen: Immer, wenn sie zum Schlafen in ihr Körb­chen gelegt wurde, fing sie laut an zu weinen.

Doch langsam und stetig entwi­ckelt sich Feruza zu einem aktiven und eigen­stän­digen Indi­vi­duum. Sie ist sehr klug, klet­tert gern auf Bäume und nascht dort am liebsten Blatt­sprossen und Wald­früchte. So hat sie auch schon etwas an Gewicht gewonnen und wiegt jetzt 4,8 Kilo­gramm. Ihr Verhalten ist das ihrer Alters­ge­nossen etwas voraus. Weiter so, kleine Feruza!

Gami: Der Ruhige

Gami

Gami war unge­fähr zwanzig Jahre alt, als er im November des letzten Jahres ins Rettungs­zen­trum Samboja Lestari kam. Zuvor wurde er mehr­fach auf dem Gelände einer Firma in der Nähe von Sama­rinda gesehen. Immer wieder kreuzte er auf dem Firmen­ge­lände auf und hatte wohl seit längerer Zeit auch kein Schlaf­nest mehr gebaut. Glück­li­cher­weise konnte ihn das BKSDA-Rettungs­team einfangen, um ihm im Rettungs­zen­trum erst einmal zu unter­su­chen. Um auszu­schließen, dass er anste­ckende Krank­heiten über­trägt, zog er zuerst in den Quaran­täne-Komplex. Gami war sicht­lich unter­ge­wichtig und wog nur 58 kg – deut­lich zu wenig für einen Orang-Utan seines Alters!

Einige Ergeb­nisse seiner allge­meinen Unter­su­chung stehen noch aus. Doch er frisst gut und ist auch schon wieder zu Kräften gekommen. Gami ist sehr ruhig, zeigt kein aggres­sives Verhalten und zieht sich in die Ecke seines Käfigs zurück, sobald sich ihm unbe­kannte Menschen nähern. Er ist ein stiller Beobachter.

Uli: der Älteste

Uli

Mitte letzten Jahres tauchte plötz­lich ein impo­santer männ­li­cher Orang-Utan in dem kleinen Dorf Loesan in Ost-Kali­mantan auf. Er verhielt sich fried­lich und nahm gern das Obst an, welches ihm von den Dorf­be­woh­nern gereicht wurde. Schnell fanden die Bilder seines Besu­ches in dem Dorf den Weg in die sozialen Medien, wo das Video viral ging. Das rief dann auch die Behörden auf den Plan: Ein Rettungs­team aus Bali­ka­papan machte sich gemeinsam mit unserem Tier­arzt Muhtadin Wahyu auf den Weg, um die Rettungs­ka­tion durchzuführen.

Am 11. Juni 2021 kam das Männ­chen im Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trum von Samboja Lestari an, wo er erst einmal in Quaran­täne musste. Das ist Stan­dard für alle Neuan­kömm­linge. Seine medi­zi­ni­sche Unter­su­chung ergab, dass er 79 Kilo­gramm wog und abge­sehen von einem verkrümmten Zeige­finger gesund war. Die Ärzte schätzten ihn auf ein Alter von 24–25 Jahren. Dann entdeckte das Team zwei Mikro­chips im Körper des Männ­chens – ein sicheres Indiz, dass er schon mal in einer Rettungs­sta­tion war! Und tatsäch­lich — im Archiv von Samboja Lestari wurde das Team vor Ort fündig: Die aus dem Chip ausge­le­senen Daten belegten eindeutig, dass es sich bei dem Männ­chen um Uli handelte. Er war am 6. Februar 1998 aus Palangka Raya in Zentral­ka­li­mantan gerettet und nach Wana­riset — unserem alten Orang-Utan-Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trum — in Ostka­li­mantan gebracht wurde. Knapp einein­halb Jahre später im September 1999 wurde er in einem sehr jungen Alter im Meratus Moun­tain Protec­tion Forest ausgewildert.

Nun war er wieder in unserer Obhut. Uli ist ein sehr freund­li­ches Männ­chen. Er frisst das ihm ange­bo­tene Futter, spielt mit den Blät­tern, die wir ihm in den Käfig legen. Oder er beob­achtet die Pfleger und Tech­niker bei ihrer Arbeit. Uli bleibt noch eine Weile im Sozia­li­sie­rungs­kom­plex, bis er auf eine unserer Voraus­wil­de­rungen kommt. Dort soll er noch mal beweisen, dass er ohne mensch­liche Unter­stüt­zung im Regen­wald leben kann, bevor wir ihn – weitab von mensch­li­chen Sied­lungen – wieder in der Wildnis Borneos auswil­dern können. Doch wir sind zuver­sicht­lich: Schließ­lich hat er über zwanzig Jahre unab­hängig von uns Menschen überlebt.