Wenn die Orang-Utans zu uns kommen, haben sie meist eine traurige Geschichte hinter sich. Viele von ihnen sind traumatisiert, einige verletzt, oft sind sie Waisen. So bitter die Anlässe sind, so froh sind wir doch, dass wir diesen wunderbaren Tieren die Chance auf ein neues Leben ermöglichen können. Denn mit ihrer Rettung beginnt unsere Arbeit. Die meisten Orang-Utans bleiben für viele Jahre bei uns, in denen sie einen umfangreichen Rehabilitationsprozess durchlaufen. Auch letztes Jahr haben wir wieder viele Orang-Utans in unseren Rettungszentren Nyaru Menteng und Samboja Lestari aufgenommen. Einige von Ihnen haben wir jetzt besucht….

Galaksi: der Obstliebhaber

Galaksi ist das indonesische Wort für Galaxis – seinen Namen hat unser kleiner Herzensbrecher von seinen Babysitterinnen bekommen. Als er im August des letzten Jahres zu uns kam, war Galaksi ungefähr sieben Monate alt und wog grade mal 2,4 Kilogramm. Dorfbewohner hatten ihn allein im Wald gefunden und die Behörden informiert. Das Rettungsteam des BKSDA machte sich sofort auf den Weg. Direkt nach seiner Ankunft im Babyhaus in Samboja Lestari untersuchte unser Veterinärteam den Orang-Utan-Jungen und gab ihm immer wieder Milch zu Trinken. Nach der Untersuchung konnten alle erst mal aufatmen: Er war zwar sehr dünn, hatte aber keine Verletzungen.
Seither hat Galaksi ordentlich an Gewicht zugelegt: 8,9 Kilogramm bringt er nach acht Monaten guter Pflege auf die Waage! Er lässt keine Gelegenheit aus, Milch zu trinken und genießt jeden einzelnen Tropfen. Dazu gibt es jede Menge Obst. Ganz besonders liebt er Drachenfrüchte und Bananen. Klar. Auch sonst entwickelt sich der Orang-Utan-Junge genau so, wie es sein soll. Er spielt viel, am liebsten im Wald, klettert allein auf Bäume und erkundet seine Umgebung. Wenn er einen Fremden sieht, kommt er sofort vom Baum herunter und läuft zu seiner Babysitterin, um sie zu umarmen. Die Nähe zur Babysitterin als Ersatzmutter ist wichtig für die Entwicklung der Tiere.
Ramangai: der unabhängige Geist

Vor über einem Jahr kamen Ramangai, Onyer und Aiko in unser Rettungszentrum. Ramangai war im Wald von einem Baum direkt vor die Füße eines Dorfbewohners gefallen – so zumindest die Geschichte des Mannes, der ihn fand. Er hat den Orang-Utan-Jungen dann mehrere Tage mit Kaffee, gesüßter Kondensmilch und Bananen gefüttert. Keine gute Idee. Als das Rettungsteam eintraf, war Ramangai dehydriert und geschwächt. Schon auf dem Weg ins Rettungszentrum bekam er seine erste Infusion. Bei seiner Ankunft im Zentrum hatte er trockene Narben am linken Arm und am rechten Unterschenkel, und die Haut an seinen Fingern schälte sich. Ramangai war so stark dehydriert, dass er Fieber bekam, stumpfes Haar hatte und zu schwach war, um sich zu bewegen. Er brauchte einige Tage, bis sein Gesundheitszustand einigermaßen stabil war. Zu diesem Zeitpunkt war er etwas über sechs Monate alt und wog 2,6 kg.
Wenn wir ihn heute sehen, scheint das lange her zu sein. Ramangai ist sehr selbstbewusst und erkundet seine Umgebung auf eine Faust. Dann klettert er auf Bäume – wenn sie nicht allzu hoch sind – oder spielt mit erkennbarer Freude in den vielen Pfützen, die während der Regenzeit auf dem Gelände der Waldschule verteilt sind. Er ist gesund und entwickelt sich genauso, wie es für einen Orang-Utans seines Alters sein soll.
Onyer: der Umarmer

Onyer wurde uns im Februar des letzten Jahres von einem Dorfbewohner im Bezirk Mihing Raya in Zentral-Kalimantan übergeben. Da war der Orang-Utan-Waise ungefähr acht Monate alt und wog 2,3 Kilogramm. Der „Finder“ behauptete, er habe Onyer am 19. Januar allein und ohne Mutter auf dem Gelände einer Goldmine gefunden. Dann habe er ihn mit nach Hause genommen und einen Weg gesucht, die zuständigen Behörden zu informieren. Das dauerte offenbar einen ganzen Monat. Am 25. Februar, wurde Onyer an das Team der BKSDA übergeben. Leider ähneln sich diese Geschichten immer wieder. Oft glauben die Finder, sie könnten gut für die kleinen Menschenaffen sorgen. Doch aus gutem Grund ist es illegal, Orang-Utans als Haustiere zu halten.
In der Zeit bei uns hat sich Onyer prächtig entwickelt. Er ist selbstbewusst, verspielt und ein echter Raufbold geworden. In manchen Situationen neigt er zu aggressivem Verhalten. Vermutlich, weil er sich bedroht fühlt. Dann greift er sogar die Tierärzte an. Unbekannten Menschen gegenüber ist er allgemein eher misstrauisch. Dann geht Onyer gern auf „Nummer sicher“ und läuft zu einer der Babysitterinnen oder einem vertrauten Spielgefährten und klammert sich an sie. Das beruhigt. Eine seiner liebsten Spielgefährtinnen ist Aiko; mit ihr lernt er auf Bäume zu klettern. Und: Onyer ist ein perfektes Fotomodell! Sobald er eine Kamera erblickt, schaut er direkt in die Linse — wir haben viele Bilder, auf denen er sein eigenes Spiegelbild bewundert!
Aiko: die Kletterin

Wenn es so etwas unter Orang-Utans gibt, dann ist Aiko wohl die beste Freundin von Onyer. Mit ihm tobt sie am liebsten durch die Bäume und erlebt immer wieder neue Abenteuer. Beim Klettern ist sie schon viel geschickter als die Gleichaltrigen ihrer Gruppe. Sie ist sehr unabhängig und sehr gut darin, Kontakte zu knüpfen.
Aiko wurde am 23. März 2021 von einem Bewohner des Dorfes Muroi in der Region Kapuas, Zentralkalimantan, gefunden. Bei der Übergabe erzählte er, er habe das kleine Orang-Utan-Mädchen in seinem Garten gefunden, nachdem sie von einem Hund gejagt worden war. Aiko war mit knapp unter drei Kilogramm sehr dünn und wurde von unseren Tierärzten auf ein Alter von etwa acht bis neun Monaten geschätzt.
Im Laufe der Zeit lebte sich Aiko gut ein. Von Anfang an hatte sie einen guten Appetit. Und von ihrer Lieblingsspeise – Milch – kann sie gar nicht genug bekommen! Wenn sie das Gefühl hat, nicht genug zu haben, dann winselt sie sehr eindringlich bei ihrer Babysitterin um mehr. Aiko wird ihren Weg machen, davon sind wir überzeugt. Ihren Namen hat sie übrigens von einer/m unserer Unterstützer:innen bekommen: Vor genau einem Jahr haben wir weltweit dazu aufgerufen, dem kleinen namenlosen Orang-Utan-Mädchen einen Namen zu geben. Unter 1.400 Einsendungen wurde dann am Ende Aiko ausgewählt. Eine gute Wahl, wie wir finden.
Feruza: die Überfliegerin

Als man Feruza fand, saß sie neben ihrer toten Mutter, die sich in einer Wildschweinfalle verfangen hatte und vermutlich sehr qualvoll verendet ist. So erzählte es der Dorfbewohner, der sie in der Gegend des Dorfes Pondok Labu im Bezirk Tabang, Ost-Kalimantan fand. Er nahm die kleine Waise mit nach Hause und kümmerte sich fast zwei Monate um sie. Mit Dosenmilch und Obst versuchte er sie aufzupäppeln. Dann sah er endlich ein, dass das nicht der richtige Weg war. Im November 2021 verständigte er das Wildtierrettungsteam der BKSDA, das das verängstigte Tier sofort abholten. Da war Feruza ungefähr ein Jahr alt und wog etwas mehr als vier Kilogramm. Ihr ganzes Verhalten schien darauf hinzudeuten, dass sie durch das Erlebte traumatisiert war. Wenn sie Angst hatte, drückte sie sich ganz fest an ihre Babysitterin. Auch wollte sie nicht allein schlafen: Immer, wenn sie zum Schlafen in ihr Körbchen gelegt wurde, fing sie laut an zu weinen.
Doch langsam und stetig entwickelt sich Feruza zu einem aktiven und eigenständigen Individuum. Sie ist sehr klug, klettert gern auf Bäume und nascht dort am liebsten Blattsprossen und Waldfrüchte. So hat sie auch schon etwas an Gewicht gewonnen und wiegt jetzt 4,8 Kilogramm. Ihr Verhalten ist das ihrer Altersgenossen etwas voraus. Weiter so, kleine Feruza!
Gami: Der Ruhige

Gami war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er im November des letzten Jahres ins Rettungszentrum Samboja Lestari kam. Zuvor wurde er mehrfach auf dem Gelände einer Firma in der Nähe von Samarinda gesehen. Immer wieder kreuzte er auf dem Firmengelände auf und hatte wohl seit längerer Zeit auch kein Schlafnest mehr gebaut. Glücklicherweise konnte ihn das BKSDA-Rettungsteam einfangen, um ihm im Rettungszentrum erst einmal zu untersuchen. Um auszuschließen, dass er ansteckende Krankheiten überträgt, zog er zuerst in den Quarantäne-Komplex. Gami war sichtlich untergewichtig und wog nur 58 kg – deutlich zu wenig für einen Orang-Utan seines Alters!
Einige Ergebnisse seiner allgemeinen Untersuchung stehen noch aus. Doch er frisst gut und ist auch schon wieder zu Kräften gekommen. Gami ist sehr ruhig, zeigt kein aggressives Verhalten und zieht sich in die Ecke seines Käfigs zurück, sobald sich ihm unbekannte Menschen nähern. Er ist ein stiller Beobachter.
Uli: der Älteste

Mitte letzten Jahres tauchte plötzlich ein imposanter männlicher Orang-Utan in dem kleinen Dorf Loesan in Ost-Kalimantan auf. Er verhielt sich friedlich und nahm gern das Obst an, welches ihm von den Dorfbewohnern gereicht wurde. Schnell fanden die Bilder seines Besuches in dem Dorf den Weg in die sozialen Medien, wo das Video viral ging. Das rief dann auch die Behörden auf den Plan: Ein Rettungsteam aus Balikapapan machte sich gemeinsam mit unserem Tierarzt Muhtadin Wahyu auf den Weg, um die Rettungskation durchzuführen.
Am 11. Juni 2021 kam das Männchen im Rehabilitationszentrum von Samboja Lestari an, wo er erst einmal in Quarantäne musste. Das ist Standard für alle Neuankömmlinge. Seine medizinische Untersuchung ergab, dass er 79 Kilogramm wog und abgesehen von einem verkrümmten Zeigefinger gesund war. Die Ärzte schätzten ihn auf ein Alter von 24–25 Jahren. Dann entdeckte das Team zwei Mikrochips im Körper des Männchens – ein sicheres Indiz, dass er schon mal in einer Rettungsstation war! Und tatsächlich — im Archiv von Samboja Lestari wurde das Team vor Ort fündig: Die aus dem Chip ausgelesenen Daten belegten eindeutig, dass es sich bei dem Männchen um Uli handelte. Er war am 6. Februar 1998 aus Palangka Raya in Zentralkalimantan gerettet und nach Wanariset — unserem alten Orang-Utan-Rehabilitationszentrum — in Ostkalimantan gebracht wurde. Knapp eineinhalb Jahre später im September 1999 wurde er in einem sehr jungen Alter im Meratus Mountain Protection Forest ausgewildert.
Nun war er wieder in unserer Obhut. Uli ist ein sehr freundliches Männchen. Er frisst das ihm angebotene Futter, spielt mit den Blättern, die wir ihm in den Käfig legen. Oder er beobachtet die Pfleger und Techniker bei ihrer Arbeit. Uli bleibt noch eine Weile im Sozialisierungskomplex, bis er auf eine unserer Vorauswilderungen kommt. Dort soll er noch mal beweisen, dass er ohne menschliche Unterstützung im Regenwald leben kann, bevor wir ihn – weitab von menschlichen Siedlungen – wieder in der Wildnis Borneos auswildern können. Doch wir sind zuversichtlich: Schließlich hat er über zwanzig Jahre unabhängig von uns Menschen überlebt.