Gemächlich klettert Inung, unser Orang-Utan-Weibchen, das vor acht Jahren im Bukit Batikap Regenwald ausgewildert wurde, mit ihrem neugeborenen Baby Indie durch das dichte Blätterdach – stets darauf bedacht, stabile Äste beim Klettern auszuwählen. Sie ist auf der Suche nach einem geeigneten Schafplatz, denn der Tag neigt sich bald dem Ende zu. Es war ein entspannter Tag, an dem sie mit ihrer Kleinen viele wohlschmeckende Früchte gefunden hat. Doch bevor sie und Indie sich zum Schlafen legen können, muss Inung erst ein Nest hoch oben in den Bäumen bauen.
Glücklicherweise wird sie schnell fündig und beginnt mit der komplizierten Konstruktion. Der Regenwald ist erfüllt von abendlichen Klängen, als aus der Ferne, ein sogenannter ‘Long Call‘ erklingt. Inung erkennt an der individuellen Struktur dieses komplexen Rufes, dass dieser von Indies Vater stammt. Entspannt baut sie weiter, um sich dann zusammen mit Indie zum Schlafen hinzulegen. Was dieser Ruf bedeutet, und welche Informationen Inung dadurch übermittelt werden, erläutern wir später. Nun widmen wir uns erstmal dem Schlaf von Orang-Utans.
Was passiert im Schlaf?
Wenn wir schlafen, sinken Puls, Atemfrequenz und Blutdruck ab, die Gehirnaktivität verändert sich und wir driften in verschiedene Stadien der NREM Schlafphase (non-rapid eye movement ‘Schlaf ohne rasche Augenbewegung‘ e.g. 1). Schlaf beim Menschen, Orang-Utans und anderen Säugetieren ist durch zyklische Phasen von NREM und REM Schlaf (rapid eye movement) gekennzeichnet. Im REM-Schlaf steigen Gehirnaktivität, Puls- und Atemfrequenz wieder an, begleitet von einem verringerten Tonus der Skelettmuskulatur. Bewegungen, die man im Traum durchlebt, werden so im Schlaf nicht ausgeführt (was bei Schlaf in einem Baumnest fatal wäre). Während Menschen im Durchschnitt sieben bis acht Stunden Schlaf benötigen, so ist die Schlafenszeit bei Säugetieren stark artspezifisch und reicht von rund zwei Stunden bei Elefanten (2) zu bis zu 20 Stunden bei manchen Fledermausarten (3). Orang-Utans schlafen ähnlich lange wie der Mensch – etwa neun Stunden (4). Die Frage, ob Orang-Utans und andere Tiere träumen und ob sie sich dessen bewusst sind, kann bisher zumindest von rein wissenschaftlicher Seite nicht beantwortet werden. Allerdings sprechen die ähnlichen Schlafphasen und andere Indizien dafür, dass zumindest Säugetiere wie Orang-Utans, ähnlich wie wir Menschen, Tageserlebnisse im Traum rekapitulieren (e.g. 5, 6).
Schlafnester bei Menschenaffen.
Alle vier Menschenaffen, Orang-Utans, Schimpansen, Bonobos und Gorillas, schlafen in selbstgebauten Schlafnestern. Die Nester werden selten wiederholt genutzt und jeden Tag an einer neuen Stelle neu gebaut. Manchmal wird auch tagsüber ein Nest konstruiert, um etwa nach der Nahrungsaufnahme zu ruhen. Gorillas fallen etwas aus der Reihe, da sie ihre Nester, im Gegensatz zu den anderen Menschenaffen, meist auf dem Boden errichten. Man geht davon aus, dass Menschenaffen Schlafnester bereits im Miozän, etwa vor 18–14 Millionen von Jahren (das ist der Zeitpunkt als Menschenaffen entwicklungsgeschichtlich entstanden sind), gebaut haben, als evolutionäre Anpassung an ihre zunehmende Körpergröße und Schlafbedürfnisse. Interessanterweise ist das Nestbauen nicht angeboren. Menschenaffenkinder müssen es erlernen (7).
Lernen ein stabiles, mehrschichtiges Schlafnest zu bauen – ein jahrelanges Unterfangen.
Junge Orang-Utans müssen von ihrer Mutter lernen, wie man ein stabiles Schlafnest hoch oben in den Baumwipfeln baut. Diese komplexen, ovalen Gebilde bestehen oft aus bis zu sieben Schichten und können sogar ein 90kg schweres Männchen sicher tragen. Zuallererst werden an einer geeigneten Stelle im Baum – oft dort, wo sich eine Astgabel befindet – mehrere große Äste zur geplanten Mitte des Nestes umgebogen. Diese bilden die Plattform, auf der das eigentliche Schlafnest entsteht. Dabei muss vorsichtig gearbeitet werden, damit die Äste beim Biegen nicht auseinanderbrechen und die Holzfasern immer noch miteinander verbunden sind. Nun werden mittelgroße und kleinere Äste zur Mitte hingebogen und mit dem Untergrund verwebt, so dass ein Lattenrost-ähnliches Gebilde entsteht. Im Verlauf von etwa einer halben Stunde werden weitere kurze Äste und Blätter von den umliegenden Ästen gepflückt und geschickt mit dem Untergrund zu einer Matratze verwebt. Je nach Bedarf, werden sogar Kopfkissen und Decke aus Pflanzenmaterial hergestellt. Zum Schluss wird manchmal auch noch ein Dach aus großen Blättern über dem Nest konstruiert – wer möchte schon im Schlaf nass geregnet werden?
Welche Höhe und welche Baumarten werden bevorzugt?
Große erwachsene Männchen bauen ihre Nester meist tiefer auf einer Höhe von etwa fünf bis neun Metern. Die leichter gewichtigen Weibchen und kleineren Männchen ohne sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Wangenwülste und Kehlsäcke (die bilden sich meist erst später aus), schlafen weiter oben im Baum, in einer Höhe von durchschnittlich 10–14 Metern (8). Tag-Nester werden meist in größerer Höhe, zwischen 10 bis 24 Metern, errichtet.
Doch nicht nur eine bestimmte Höhe wird bevorzugt. Man hat herausgefunden, dass besonders Orang-Utan-Mütter Wert auf einen von dichten Blättern geschützten Platz im Baum legen (9). Vermutlich um ihren Nachwuchs vor potentiellen Gefahren, wie Wilderern oder den selten gewordenen Sunda-Nebelpardern zu schützen. Je nach Gebiet und Beschaffenheit des Regenwaldes, bevorzugen Orang-Utans bestimmte Bäume als Schlaforte. In Zentralkalimantan nisten Orang-Utans am häufigsten in Bäumen der Familien Elaeocarpaceae, Euphorbiaceae und Anacardiaceae (8). Das Holz dieser Bäume ist sehr stabil, und die Zweige weisen eine hohe Flexibilität auf. Interessanterweise scheinen manche dieser Baumarten sogar pflanzliche Inhaltstoffe aufzuweisen, die Insekten wie Moskitos abhalten.
Und nun enträtseln wir die Botschaft des ‘Long Calls‘, die Inung von dem Männchen vernommen hat. Neueste Studien haben ergeben, dass dieser komplexe mehrteilige Ruf, der bis zu 1500 Meter weit hörbar ist und in eine bestimmte Richtung geäußert wird, den Weibchen in der Umgebung mitteilt, wohin es am nächsten Morgen geht. Das Revier eines Männchens überschneidet sich oft mit dem von mehreren Weibchen. Wenn das Männchen weiterzieht, folgen ihm die Weibchen. Somit planen männliche Orang-Utans schon einen Tag im Voraus, in welche Richtung es am nächsten Tag gehen soll (10, 11).
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Regenwaldflächen zu erwerben und zu Schutzwald für unsere Orang-Utans umzuwandeln. Helfen auch Sie diesen faszinierenden Lebensraum und seine gewaltige Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Werden auch Sie zum BOS-Unterstützer. Mit ihrer Spende helfen sie den Orang-Utans und dem Regenwald! Jeder Beitrag hilft.
Text:
Dr. Isabelle Laumer
Referenzen:
1. Rasch B, and Born J. (2013) About sleep’s role in memory. Physiological Reviews 93(2):681–766.
2. Gravett N, Bhagwandin A, Sutcliffe R, Landen K, Chase MJ, Lyamin OI, Siegel JM, and Manger PR (2017). Inactivity/sleep in two wild free-roaming African elephant matriarchs — Does large body size make elephants the shortest mammalian sleepers? PLOS ONE 12:e0171903.
3. Zepelin H, Rchtschaffen A (1974). Mammalian Sleep, Longevity, and Energy Metabolism. Brain Behavior and Evolution 10:425–470.
4. Samson DR, Shumaker RW (2013). Documenting orangutan sleep architecture: sleeping platform complexity increases sleep quality in captive Pongo. BEHAVIOUR 150:845–861.
5. PR Manager, JM Siegel (2020) Do all mammals dream? The Journal of Comparative Neurology Research in Systems Neuroscience. DOI 10.1002/cne.24860.
6. HF Olafsdottir, C Barry , AB Saleem, D Hassabism, H J Spiers (2015) Hippocampal place cells construct reward related sequences through unexplored space. eLife; 4:e06063.
7. Videan EN. 2006. Bed-building in captive chimpanzees (Pan troglodytes): the importance of early rearing. American Journal of Primatology 68(7):745–751.
8. Didik Prasetyo, Sri Suci Utami, Jatna Suprijatna (2012) Nest structures in Bornean orangutans. Journal Biologi Indonesia 8 (2): 217–227.
9. Arora, N., Van Noordwijk, M.A., Ackermann, C., Willems, E.P., Nater, A., Greminger, M., Nietlisbach, P., Dunkel, L.P., Atmoko, S.U., Pamungkas, J., Perwitasari-Farajallah, D., (2012) Parentage-based pedigree reconstruction reveals female matrilineal clusters and male-biased dispersal in nongregarious Asian great apes, the Bornean orangutans (Pongo pygmaeus). Mol. Ecol. 21 (13), 3352–3362.
10. van Schaik CP, Damerius L, Isler K (2013) Wild Orangutan Males Plan and Communicate Their Travel Direction One Day in Advance. PLoS ONE 8(9): e74896.
11. Askew J, A, Morrogh-Bernard H, C (2016) Acoustic Characteristics of Long Calls Produced by Male Orang-Utans (Pongo pygmaeus wurmbii): Advertising Individual Identity, Context, and Travel Direction. Folia Primatol; 87:305–319.
12. F Fauzi, Suemarno, A Afandhi, AS Leksono (2020) Nesting behavior of Bornean immature orangutan (Pongo pygmaeus wurmbii) in Nyaru Menteng Arboretum School, Palangka Raya, Central Kalimantan, Indonesia; Biodiversitas: Volume 21, 5, 2172–2179.