Mittlerweile werden nicht nur in deutschen Supermärkten Papiertüten und ‑verpackungen als ökologische Alternative von Plastik angepriesen. Gern wird dabei mit Begriffen wie Nachhaltigkeit geworben. Es ist also kein Wunder, dass die Verwendung von Papier und Pappe als Verpackungsmaterial in der EU am weitesten verbreitet ist und enorm schnell wächst.
Was steckt dahinter?
Aufgrund der Digitalisierung ist die Produktion von normalem Papier in Europa nach ihrem Höhepunkt im Jahr 2005 um 35,8 Prozent bis 2018 gesunken. Nun könnte man annehmen, dass der Druck auf die Wälder also nachgelassen habe. Doch die Realität sieht anders aus. Zwischen 1991 und 2018 stieg die europäische Papier- und Kartonproduktion um 42,1 Prozent. Denn wo die Verwendung von normalem Papier zurückging, stieg gleichzeitig der Einsatz von Zellstoff für die Herstellung von Verpackungspapier und ‑karton explosionsartig an und hat sich fast verdoppelt (+ 82,5 %).
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Weltweit werden etwa drei Milliarden Bäume jährlich gefällt, um die Nachfrage nach Papierverpackungen zu decken. Die Papier- und Zellstoffindustrie ist einer der größten Umweltverschmutzer und Süßwasserverbraucher der Welt. Außerdem nutzt sie vier Prozent der weltweiten Energie und ist sehr chemieintensiv, sie verschmutzt Flüsse und schädigt Ökosysteme.
Müllproduzent Europa
Die Gesamtmenge an Verpackungsmüll in der EU steigt weiter an. Im Jahr 2022 hatte jeder Europäer ca.180 kg Müll durch Verpackungen zu verantworten, wobei allein auf Papierverpackungen zehn Kilogramm pro Person und Jahr entfallen. Ohne Maßnahmen wird dieser Wert bis 2030 um weitere 19 Prozent steigen. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Aber die Lösung kann nicht darin bestehen, Plastikverpackungen durch Papierverpackungen zu ersetzen.
Papierverpackungen bedeuten oft Entwaldung und Monokulturen
Der größte Teil des in der EU zur Herstellung von Papier und Pappe verwendeten Holzes stammt aus Europa – mit großen Auswirkungen auf Europas Wälder. Europäischer Papierkonsum hat jedoch auch Auswirkungen auf Wälder außerhalb der EU. Die wichtigsten Länder, aus denen die EU Zellstoff importiert, sind Brasilien, Uruguay, Chile und die USA, aber auch Indonesien gehört zu den großen Papierproduzenten der Welt.
Im Jahr 2020 importierte die EU außerdem noch große Mengen Holz für die Papierproduktion aus Russland und Belarus – sieben Millionen bzw. 3,4 Millionen Tonnen. Mit den derzeitigen Einschränkungen auf Importe aus Russland, Belarus und der Ukraine sind 57 Prozent der Importe (sechs Prozent des Gesamtrohstoffbedarfs für die Zellstoff- und Papierproduktion von CEPI Mitgliedern: Österreich, Belgien, Tschechien, Finland, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Niederlande, Großbritanien) offen und erhöhen nicht zuletzt auch den Druck, für Abholzungen im innerhalb der EU. So verwundert es nicht, dass Länder wie Finnland und Schweden seit neuestem zu den führenden Exportländern für Zellstoff gehören.
Ein Blick zurück in die europäische Geschichte zeigt, wo die Ursprünge der heutigen Waldnutzungskonzepte liegen. Denn in Europa wurde die Idee der Monokultur über Jahrzehnte entwickelt und geprägt. Die Forstwirtschaftsprinzipien von heute basieren letztlich auf Forstmethoden des 18. Jahrhunderts, die darauf abzielten, den Ertrag einer einzigen Baumart zu maximieren. Dieses Modell der „wissenschaftlichen Forstwirtschaft“ zeichnete sich durch Einheitlichkeit, minimale Diversität und leichte Quantifizierbarkeit aus und setzte damit weltweit den Trend zu Monokulturen.
Wir sollten also nicht nur mit dem Finger auf Länder in Südamerika, Afrika und Südostasien zeigen, wenn es um die Ausbeutung von Waldökosystemen geht. Zwei der größten Sorgekinder Europas sind aktuell eben Finnland und Schweden. Eine Analyse zeigt, dass im Jahr 2020 allein in Finnland 20.000 Hektar Wald gerodet wurden oder zur Rodung vorgesehen waren, was etwa 30.000 Fußballfeldern entspricht. Diese Wälder wurden als artenreichen Gebiete eingestuft und ihre Vernichtung hat schwerwiegende Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem. Laut aktueller Statistiken landeten in 2021 47 % der Produktion der finnischen Forstindustrie im Export von Papier und Pappe und das hauptsächlich nach Europa.
Schweden steht auch nicht viel besser da. Laut einer aktuellen Publikation von Fern und ENP hat die schwedische Papier- und Pappe-Lobby eine sehr solide Position im Land. Wie Lina Burnelius, internationale Koordinatorin bei Protect the Forest Sweden, sagt: „Die Stromrabatte, die die Forstindustrie für zwei bis drei Jahre erhält, würden ausreichen, um die gesamte weltweit einzigartige Bergnaturlandschaftskette in Nordschweden zu schützen.“ Trotz Studien von Organisationen wie Greenpeace, die nachweisen, dass große Papier- und Pappeunternehmen Wälder mit hoher Biodiversität zerstören, in denen auch von vom Aussterben bedrohte Arten zu Hause sind, wird in diesem Bereich wenig gemacht und notwendige Verordnungen werden zu lax umgesetzt.
Torfmoorwälder werden zerstört
Auch in Südamerika und Südostasien wütet die Papierindustrie. Hier bestehen die Hauptprobleme darin, dass Torfmoorgebiete trockengelegt werden, regelmäßig Landraub von indigenen Gemeinden praktiziert wird und dann Plantagen mit teilweise hoch entflammbarem – aber extrem schnell wachsendem – Eukalyptus angelegt werden, der dann als Hauptrohstoff an die Papier- und Pappeindustrie geliefert wird. Gerade die Torfmoorwälder Brasiliens und Indonesiens sind essenziell wichtige CO₂-Reservoire. Trockengelegt sind sie extrem brandgefährdet. So wurde Indonesien in den Jahren 2015 und 2019 – Jahre mit hoher Intensität von Waldbränden – zum fünfgrößten CO₂-Emittenten weltweit.
Studien der Harvard- und Columbia University haben ergeben, dass die Waldbrände von 2015, die sich über ganz Indonesien erstreckten, schätzungsweise 91.600 vorzeitige Todesfälle aufgrund der Rauchbelastung verursachten haben. Neben den Auswirkungen auf das Klima und die Wälder, sowie ihrer Rolle bei tödlichen Bränden, ist die Zellstoff- und Papierindustrie auch in Menschenrechtsverletzungen und zahlreiche Konflikte mit lokalen Gemeinschaften verwickelt.
Aber wo landen indonesische Zellstoff- und Papierprodukte letztendlich? Im Jahr 2019 trugen sie fast 16 Prozent zu den weltweiten Holzzellstoffexporte bei, wobei der asiatisch-pazifische Markt von besonderer Bedeutung war. Die Zellstoff- und Papierindustrie ist allerdings global verflochten, und indonesische Produkte finden so ihren Weg in verschiedene Länder. Deswegen ist es wichtig, die globale Wertschöpfungskette zu betrachten. Journalistische Investigativrecherchen zeigen, dass einige der indonesischen Firmen wiederum mit europäischen Papiermühlen kooperieren.
Daher ist es entscheidend, dass die EU-Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle die Gesamtnachfrage nach Verpackungen verringert, um den Trend zunehmender Importe von Fasern aus tropischen Waldländern umzukehren.
Gibt es eine wahre nachhaltige Lösung?
Die Antwort liegt auf der Hand: Die Reduzierung unnötiger Verpackungen und die Investition in langfristige, funktionierende Systeme zur Wiederverwendung von Verpackungen, sind entscheidende Schritte, um den zunehmenden Import von Zellstoff aus tropischen und europäischen Waldgebieten umzukehren und die Umweltauswirkungen der Papierindustrie zu verringern. Es liegt in unserer Verantwortung, den Verbrauch zu reduzieren und nachhaltige Alternativen zu fördern, um die Zukunft unserer Wälder und unseres Planeten zu schützen.