4. Februar 2019

Wie verhalten sich neuan­ge­sie­delte Orang-Utans in freier Wildbahn?

Der span­nenden Frage, wie sich Orang-Utans nach ihrer Auswil­de­rung in den Regen­wald verhalten, geht die Anthro­po­login Anna Marzec in ihrer Forschungs­ar­beit nach. Wie auch Dr. Maria A. von Noor­dwijk  ist Anna Marzec Teil des inter­dis­zi­pli­nären Tuanan Oran­gutan Rese­arch Projects der Univer­sität Zürich und arbeitet auch mit der BOS Foun­da­tion eng zusammen. 

Marzec inter­es­sierten vor allem Unter­schiede und Gemein­sam­keiten im Verhalten von Orang-Utans, die vor ihrer Auswil­de­rung bereits Erfah­rungen in der freien Wild­bahn sammeln konnten und Tieren, die bereits als Babys ihre Reha­bi­li­ta­tion im Rettungs­zen­trum star­teten. Und wo liegen die Unter­schiede zu wilden Orang-Utans?

Durch die direkte Beob­ach­tung von Lern­ver­halten und Fress­ver­halten versucht Marzec Antworten zu finden. Lern­ver­halten wird z. B. durch Objekt­ma­ni­pu­la­tion, Explo­ra­tion (Erkun­dung, Erfor­schung der Umge­bung) oder soziales Lernen in Form von Peering gemessen. Peering ist das Erlernen von Fähig­keiten durch die Beob­ach­tung und den Austausch mit anderen Individuen.
Die Ergeb­nisse sind sehr eindeutig. Ausge­wil­derte Orang-Utans verbringen mehr Zeit mit Fressen von Früchten als wilde Orang-Utans, jedoch fressen sie in der Summe weitaus weniger als diese (Früchte sind die quali­tativ hoch­wer­tigste Nahrung für Orang-Utans). Auch verbringen ausge­wil­derte Orang-Utans mehr Zeit mit Explo­ra­tion und Peering.

 

Lernen nach der Auswilderung

Daraus schließt Anna Marzec, dass Orang-Utans nach der Auswil­de­rung erst einmal weiter lernen müssen. Ihr Entwick­lungs­stand reicht zwar zum Über­leben in der freien Wild­bahn aus, ist aber noch nicht mit dem Niveau von Orang-Utans vergleichbar, die in ihrem natür­li­chen Lebens­raum und unter Anlei­tung ihrer Mutter aufwachsen konnten.

 

Um die lang­fris­tige Entwick­lung dieser Verhal­tens­weisen unter neuan­ge­sie­delten Orang-Utans zu unter­su­chen, hat sie zwei Beob­ach­tungs­gruppen (zehn Kandi­daten insge­samt) bestimmt. Eine Gruppe besteht aus Orang-Utans, die im vergan­genen Jahr ausge­wil­dert wurden. Die andere Gruppe setzt sich aus eben­falls neuan­ge­sie­delte Orang-Utans zusammen, die jedoch bereits mindes­tens zwei­ein­halb Jahre im neuen Habitat über­lebt haben. Dabei konnten folgende Phäno­mene beob­achtet werden: Die neuen Orang-Utans fressen weniger Früchte, verbringen aber mehr Zeit damit. Die Unter­schiede im Peering und in der Explo­ra­tion sind nicht signi­fi­kant, jedoch zeichnet sich ein ähnli­cher Unter­schied, wie zwischen neuan­ge­sie­delten und natür­lich aufge­wach­senen Orang-Utans ab.

Abschauen bei den Wilden

Je länger Orang-Utans also in ihrem neuen Habitat leben, desto mehr ähnelt ihr Verhalten dem der wilden Orang-Utans. Peering scheint für frisch ausge­wil­derte Orang-Utans von zentraler Bedeu­tung zu sein. Sie zeigen dieses Verhalten weitaus häufiger als wilde Orang-Utans. Sie suchen vermehrt bei den wilden Artge­nossen nach Vorbil­dern, um von ihnen zu lernen. Daher scheint es von Vorteil zu sein, Orang-Utans in Habi­taten anzu­sie­deln, in denen solche „Peers“ zu finden sind. Dadurch können dann die neuen wilden Orang-Utans Stück für Stück ihren Entwick­lungs­stand anpassen.

 

Anna Marzecs Erkennt­nisse sind enorm wichtig, um den komplexen Prozess der Auswil­de­rung bzw. Neuan­sied­lung von Orang-Utans in Zukunft effek­tiver gestalten zu können. Ihr Fazit: Neuan­sied­lung ist möglich. Leider muss jedoch berück­sich­tigt werden, dass hierbei auch eine höhere Sterb­lich­keit, als bei wild­le­benden Orang-Utans zu verzeichnen ist. Der Königsweg ist also weiterhin ein besserer Schutz des ursprüng­li­chen Lebens­raumes der Menschen­affen. Dann wären Auswil­de­rungen und Neuan­sied­lungen gar nicht erst nötig.

 

Gast­autor: Jan Mücher

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