Corona, Sars, Covid-19, Zoonosen und so weiter. Begriffe, die ein Laie noch Anfang des Jahres kaum hätte buchstabieren können oder bestenfalls für eine mexikanische Biermarke gehalten hätte, gehören mittlerweile fast schon zur Umgangssprache. Doch was hat es damit eigentlich auf sich?
Das Virus, das gerade die Welt bewegt (beziehungsweise fast zum Stillstand bringt), heißt Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2, kurz SARS-CoV‑2. Es ist die jüngste und bislang bedrohlichste Erscheinung einer schon länger bekannten Gruppe von Coronaviren (der Name stammt von dem entfernt kronen- oder kranzartigen Aussehen der Viren in der elektronenmikroskopischen Draufsicht). Die Krankheit, die es auslöst, heißt Coronavirus Disease 2019 oder eben Covid-19 und ist vom Ursprung her eine Zoonose.
Was sind Zoonosen?
Zoonosen – vom Griechischen zoon (Tier) und nosos (Krankheit) abgeleitet, sind Krankheiten, die von Tieren auf Menschen und umgekehrt übertragen werden können. Zumindest der Ursprung der Krankheit liegt bei Menschen befallenden Zoonosen bei einer oder mehrerer Tierspezies; der medizinische Fachausdruck für die Übertragung durch eine Tierart lautet „Vektor“. Die jeweiligen Erreger sind außer Viren, Bakterien und Protozoen (Einzeller) auch mehrzellige Parasiten wie diverse Wurm- oder Milbenarten, parasitische Pilze sowie virusähnliche Proteinpartikel (Prionen). Man kennt über 200 verschiedene Zoonosen, die aber außer einem Übertragungsweg von einer Spezies zur anderen nicht unbedingt viele Gemeinsamkeiten aufweisen müssen.
Dass Krankheitserreger Artgrenzen überspringen, ist zunächst auch nichts Ungewöhnliches; viele von ihnen plagen die Menschheit schon sehr lange. Bekannte Beispiele sind das durch Bisse infizierter Tiere übertragene Tollwutvirus, das über Rattenflöhe den Menschen befallende Pest-Bakterium oder die von bestimmten Fadenwürmern verursachte Trichinose nach dem Verzehr befallenen Schweinefleisches. Entsprechend unterschiedlich wirken die Infektionsmechanismen der jeweiligen Zoonosen und verläuft ihre geographische Verbreitung.
Orang-Utans und Corona?
Bisher wurde weltweit noch bei keinem Menschenaffen eine Infektion mit dem neuen Coronavirus festgestellt (ACHTUNG: Neuer Stand Januar 2021). Das bedeutet aber auch, dass niemand weiß, wie ein Individuum der jeweiligen Spezies gegebenenfalls auf die Krankheit reagieren würde. Für einen Gorilla zum Beispiel kann ein für Menschen schlimmstenfalls lästiges Schnupfenvirus lebensgefährlich werden. Man muss davon ausgehen, dass alle Menschenaffen, also auch Orang-Utans, für alle Krankheiten empfänglich sind, die auch Menschen bekommen können. Für die Orang-Utans bei BOS und ebenso für die Mitarbeiter wird auf jeden Fall alles Menschenmögliche getan.
Wildtier-Zoonosen
Viele Zoonosen werden durch Nutz- und Haustiere übertragen, jedoch stammen etwa 70 Prozent aller dieser Krankheiten ursprünglich von Wildtieren. Auch das ist grundsätzlich nichts Neues. So liegt beispielsweise der Ursprung der Malaria nach heutigen Erkenntnissen bei Gorillas. Auch die HIV-Viren existierten in Populationen von Gorillas, Schimpansen und anderen Primaten, bevor sie weltweit ihren Weg in die Menschen fanden.
Eine andere Tiergruppe, die geradezu ein Reservoir für Viren darstellt, sind Fledermäuse und Flughunde. Dadurch, dass diese Tiere meist in großen Kolonien ihre Ruhezeiten verbringen und ihre Jungen aufziehen, haben sie viel gegenseitigen Körperkontakt und begünstigen Austausch und Vermehrung verschiedener Viren. Die Fledermäuse selbst müssen dabei gar nicht unbedingt erkranken – sie fungieren aber als natürliche Brutstätte und Evolutionsmöglichkeit der Viren. Dass Fledermäuse oft weite Strecken im Flug zurücklegen, begünstigt dann unter anderem die Ausbreitung. Der berüchtigte Ebola-Virus vor etwa 15 Jahren in Afrika zum Beispiel ging ursprünglich sehr wahrscheinlich auch auf Fledermäuse zurück. Auch von SARS-CoV‑2 nimmt man an, dass es in Fledermäusen mutierte, bevor auf die eine oder andere Art der erste Mensch mit ihm infiziert wurde. Allerdings gibt es Anhaltspunkte dafür, dass noch weitere tierische Zwischenwirte beteiligt waren, wobei insbesondere das Pangolin vemutet wird.
CoVid-19 hatte in den Jahren 2002/2003 eine Art Vorläufer in der SARS-Pandemie des SARS-CoV‑1, das auch zu den Corona-Viren gehörte. Aus verschiedenen Gründen, die mit der Infektiosität dieses Virus sowie der schnellen Entwicklung von Nachweisverfahren zusammenhängen, verlief diese Pandemie weniger auffällig als die des SARS-CoVid‑2, führte aber dazu, intensiver über die Verbreitung von Corona-Viren in Wildtieren zu forschen.
Ökologie der Krankheiten
Krankheiten und ihre Erreger sind im Grunde auch Bestandteil der Gesamtökologie der Erde, was natürlich nicht bedeutet, sie etwa nicht zu bekämpfen. Im Gegenteil, gerade um sie wirksam bekämpfen zu können, benötigt man vertiefte Erkenntnisse um ihre Entstehungs- und Verbreitungszusammenhänge. Dazu gehört vor allem auch das Wissen, wie der Mensch diese „Ökologie der Krankheiten“ beeinflusst und verändert. Ungefähr 60 Prozent aller den Menschen betreffenden Infektionskrankheiten sind Zoonosen und mehr als zwei Drittel davon stammen von Wildtieren ab. Wie kommt es zum Beispiel, dass Viren, die in tropischen Fledermäusen vermutlich schon seit Millionen von Jahren existieren, die gesamte Menschheit umfassende Pandemien auslösen? Ein Erklärungsansatz unter vielen ist, dass der Verlust der Wälder, in denen die Fledermäuse eigentlich leben, die Tiere zwingt, in Plantagen und siedlungsnahen Gebieten ihre Schlafplätze zu suchen. Das macht den Kontakt zu Menschen wahrscheinlicher.
Ein mindestens so gravierendes Problem besteht im – oft illegalen, aber geduldeten – Wildtierhandel. In vielen tropischen Ländern werden Wildtiere aller möglichen Arten entweder für den Eigenverzehr oder für den Verkauf auf Märkten gefangen. Darüber hinaus gelten Körperteile und ‑flüssigkeiten diverser Tierarten oft als Wundermittel in sogenannter traditioneller Medizin. Dabei besteht dann eben immer auch die Möglichkeit, dass Viren Artgrenzen überspringen, mutieren und schließlich auch Menschen befallen. Wenn solche Zoonosen dann von Mensch zu Mensch übertragen werden können, besteht die Gefahr einer Epidemie oder sogar Pandemie.
Vorhersage und Begegnung kommender Katastrophen
Diese und viele andere Enstehungswege und ‑zusammenhänge von Zoonosen zu erforschen und nach Möglichkeit voherzusagen, bemühen sich Forscher weltweit. So soll ein „globaler Atlas zoonotischer Viren“ erstellt werden, um schneller und effektiver in der Lage zu sein, wenigstens die größten Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen. In diesem Zusammenhang steht auch die neugegründete Coalition for Epidemic Preparedness (CEPI). In ihr sollen Regierungen, Industrie, philanthropische Einrichtungen, zwischenstaaatliche Instititutionen und Wissenschaft international zusammenarbeiten, um Impfstoffe zu entwickeln. Interessanterweise bieten manche Krankheiten der pharmazeutischen Industrie zu wenig Anreize, um allein mit eigenen Mitteln Impfstoffe zu entwickeln, so dass es ohne öffentliche Mittel nicht geht (ebenda).
Ein eigentlich sehr wichtiger Verbündeter und Vorreiter in diesen Bemühungen wäre das US-amerikanische Regierungsprogramm Predict (Vorhersage). Leider wurde es von der Trump-Admininstration im Herbst 2019 passenderweise mit Wirkung ab März 2020 bis auf weiteres eingestellt.
Ausblicke
Im Grunde wussten wir es vorher schon, aber die weltweite CoVid-19-Katastrophe müsste nun endgültig allen die Augen geöffnet haben. Wie diese Katastrophe menschlich, sozial und wirtschaftlich weiter verlaufen wird, ist noch kaum zu sagen, aber dass diese Pandemie auf das Engste mit der bisherigen Art der Globalisierung zusammenhängt, liegt auf der Hand. Die schnelle Verbreitung des Virus durch Reisende, der Handel mit Wildtieren und Wildtierprodukten und nicht zuletzt durch globale Kapitalinteressen (oft buchstäblich) befeuerte Landsnutzungsänderungen haben diese und frühere Pandemien wesentlich verursacht. Auch die globale Erwärmung begünstigt gerade auch zoonotische Infektionskrankheiten. Vielleicht kann auf mittlere Sicht eine andere Art globaler Zusammenarbeit die Krise mildern und das Auftreten zukünftiger Pandemien unwahrscheinlicher oder wenigstens vorhersagbarer machen.
Zurzeit allerdings – und wenn wir so weiter machen wie bisher – haben wir nicht die geringste Garantie, dass die nächste Pandemie nicht jederzeit ausbrechen könnte. Samuel Myers von der amerikanischen Harvard-Universität meint: „Es handelt sich um eine Kombination der Größe des ökologischen Fußabdrucks des Menschen mit der Globalisierung. Wenn ein Krankheitserreger erst den Sprung von Tieren auf Menschen geschafft hat, kann er auch leicht mit dem Flugverkehr rund um den Globus reisen.“
Und der Ebola-Forscher und Buchautor David Quammen ergänzt: „Es gibt Menschen auf der ganzen Welt mit einem verzweifelten Eiweißhunger, die wilde Tiere essen. Es ist nichts, was ich etwa als chinesisches Laster dämonisieren möchte“ (ebenda). Neben Forschung sind somit Habitatschutz, Klimaschutz, eine nachhaltigere Wirtschaftsweise, internationale Zusammenarbeit und Armutsbekämpfung die wichtigsten Fundamente einer wirksamen Pandemie-Prophylaxe. Genau diesen Prinzipien ist auch BOS immer schon beim Orang-Utan-Schutz gefolgt und wird ihnen auch in Zukunft folgen.
Die Orang-Utans und der Regenwald brauchen uns. Gerade jetzt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.