BOS Deutschland kämpft für die Rettung der letzten Orang-Utans und den Schutz ihres Lebensraumes auf Borneo. Aber natürlich muss Artenschutz global gedacht und auch vor unserer Haustüre vorangebracht werden. Im Dezember 2022 gab es einen Hoffnungsschimmer für alle Artenschützer, als sich die EU-Staaten auf der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal für wegweisende Beschlüsse stark machten. Doch seitdem ist wenig passiert, einige Beschlüsse wurden sogar gekippt. Ein Kommentar von Denitza Toteva, BOS Deutschland:
“Am vergangenen Wochenende hatte ich zwei Erlebnisse, die für mich echte Aha-Momente waren. Am Samstag sprach ich mit einem Kind, das gerade von einem Großelternbesuch in Argentinien zurückgekommen war. Das Gebiet um Buenos Aires sei von Stechmücken geplagt und die Denguefieber-Fälle steigen exponentiell an, erzählte es mir. Bald werde das Leben für seine Großeltern und andere Menschen in der Gegend unerträglich, und Schuld daran seien die Menschen, die immer mehr Tiere töten, welche sonst gerne die Mücken auffressen. Ich war bestürzt, aber auch beeindruckt. Ein zehnjähriges Kind hat verstanden, womit sich viele Erwachsene schwertun, nämlich was Artenvielfalt ist und warum wir mit unserem Einsatz dafür nicht nur die Umwelt, sondern auch uns Menschen schützen.
Am selben Tag kam ich an einem Polizeieinsatz vorbei, der in der Nähe meiner Wohnung in Berlin stattfand. Mehr als 100 Polizisten hatten sich zusammengefunden, um ein paar “Klimakleber” von der Straße zu entfernen. Ich fragte sie, wo sie denn im Januar gewesen seien, als die Menschen in genau dieser Nachbarschaft wegen der Traktoren protestierender Bauern nächtelang nicht schlafen konnten. Die Bauern seien eben wichtig, erklärte mir einer der Polizisten, schließlich wolle man doch Kartoffeln essen und könne sie nicht selbst anbauen… Ich kam leider nicht mehr dazu, dem Mann zu erklären, dass man Kartoffeln nur unter bestimmten klimatischen Bedingungen anbauen kann und wir jetzt dafür sorgen müssen, dass es mit dem Kartoffelanbau nicht in naher Zukunft vorbei ist – etwa wenn sich der Golfstrom, wie von Wissenschaftlern befürchtet, in ein paar Jahren wegen des Klimawandels abschwächt. Und natürlich spielt auch für die Bauern die Artenvielfalt eine entscheidende Rolle! Seit Jahren klagen sie über schlechtere Ernten aufgrund von Schädlingen die es jedoch in einem ausgeglichenen Ökosystem mit gesunder Biodiversität nicht gäbe.
Die EU-Staaten haben 2022 klare Ziele zum Schutz der Biodiversität vereinbart…
Bei der COP15 im Dezember 2022 in Montreal schien, es, als komme Bewegung in die Bemühungen der Weltgemeinschaft für den Artenschutz und Klimaschutz. Gerade auch seitens der EU-Länder wurden große Zugeständnisse gemacht und so das angestrebte Weltnaturabkommen vorangebracht. Leider ist anderthalb Jahre später kaum etwas passiert.
Dreißig Prozent der Ökosysteme weltweit sollten zu Schutzgebieten werden, so der damalige Beschluss, und dreißig Prozent der zerstörten Ökosysteme renaturiert. Ein ehrgeiziges Ziel. Auch sollten die Umweltschäden durch Dünger und Pestizide reduziert werden, umweltschädliche Subventionen abgebaut und mehr Geld für Artenschutzprojekte bereitgestellt werden.
… doch zwei Jahre später werden Gesetze wieder gekippt
Im November 2023 fand nun eine wichtige Abstimmung statt, mit der die Vereinbarungen aus Montreal weiter hätten Fahrt aufnehmen können – doch stattdessen hat das Europäische Parlament einen wichtigen Gesetzesentwurf abgelehnt, das den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft reduzieren sollte. Die europaweiten Bauernproteste, die der Polizist in der Anekdote weiter oben so verteidigt hat, haben dazu geführt, dass die Pflicht, vier Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für Artenvielfalt zu reservieren, entfallen wird. Abgelehnt.
Auch das Gesetz für die Wiederherstellung gerodeter Ökosysteme konnte nach der Verabschiedung im EU-Parlament noch keine Mehrheit im Europäischen Rat finden. Das Ziel hierbei sollte sein, zwanzig Prozent der Moore wieder zu vernässen, Wälder aufzuforsten und Flüsse wieder zu renaturieren. Auch das wird nicht passieren.
Die EU ist auf bestem Weg, vom Champion in Sachen Naturschutz zum Schlusslicht zu werden.
Die Frage, wie wir auf die Bedrohungen reagieren, die der Klimawandel und das Artensterben auslösen, polarisiert unsere Gesellschaft. Und zwar zunehmend Dabei sollte sie uns doch eigentlich vereinen! Denn wir und unsere Kinder sind es, die darunter zu leiden haben – und teilweise jetzt schon die Veränderungen spüren. Es fällt mir immer schwerer zu begreifen, warum wir im Angesicht der Gefahr als Gesellschaft nicht zusammenstehen und gemeinsam für unser gutes Leben auf diesem Planeten kämpfen. Es muss uns dringend gelingen, dieses Thema wieder zurück zur Basis zu bringen: Wir müssen verstehen, dass der Klimaschutz und Artenschutz uns alle betrifft.
Es reicht leider nicht, auf die „bösen“ Anderen zu zeigen, die in Indonesien Wälder für Palmöl roden oder in Brasilien das Ökosystem des Amazonas an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Der Klima- und Artenschutz findet auch vor unserer eigenen Haustüre statt. Wir müssen auch hier, in unserer eigenen Nachbarschaft, in unserer Region und natürlich gemeinsam mit unseren europäischen Partnern bereit sein, Zugeständnisse zu machen und – vielleicht zunächst unangenehme — Veränderungen mitzutragen, ehe es zu spät ist. Jeder und jede von uns muss bereit sein, seinen Teil zu übernehmen. Wenn wir weiterhin egoistisch und nur mit Blick auf uns selbst, statt auf das große Ganze, handeln, hat unsere Zukunft echt schlechte Karten. Und mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, wird uns langfristig sicher nicht helfen.