22. April 2024
Nashornvogel auf Borneo

Zwei Jahre nach der Welt­na­tur­kon­fe­renz in Montreal

Die Bilanz ist sehr ernüchternd

BOS Deutsch­land kämpft für die Rettung der letzten Orang-Utans und den Schutz ihres Lebens­raumes auf Borneo. Aber natür­lich muss Arten­schutz global gedacht und auch vor unserer Haus­türe voran­ge­bracht werden. Im Dezember 2022 gab es einen Hoff­nungs­schimmer für alle Arten­schützer, als sich die EU-Staaten auf der UN-Biodi­ver­si­täts­kon­fe­renz in Mont­real für wegwei­sende Beschlüsse stark machten. Doch seitdem ist wenig passiert, einige Beschlüsse wurden sogar gekippt. Ein Kommentar von Denitza Toteva, BOS Deutschland:

“Am vergan­genen Wochen­ende hatte ich zwei Erleb­nisse, die für mich echte Aha-Momente waren. Am Samstag sprach ich mit einem Kind, das gerade von einem Groß­el­tern­be­such in Argen­ti­nien zurück­ge­kommen war. Das Gebiet um Buenos Aires sei von Stech­mü­cken geplagt und die Dengue­fieber-Fälle steigen expo­nen­tiell an, erzählte es mir. Bald werde das Leben für seine Groß­el­tern und andere Menschen in der Gegend uner­träg­lich, und Schuld daran seien die Menschen, die immer mehr Tiere töten, welche sonst gerne die Mücken auffressen. Ich war bestürzt, aber auch beein­druckt. Ein zehn­jäh­riges Kind hat verstanden, womit sich viele Erwach­sene schwertun, nämlich was Arten­viel­falt ist und warum wir mit unserem Einsatz dafür nicht nur die Umwelt, sondern auch uns Menschen schützen.

Am selben Tag kam ich an einem Poli­zei­ein­satz vorbei, der in der Nähe meiner Wohnung in Berlin statt­fand. Mehr als 100 Poli­zisten hatten sich zusam­men­ge­funden, um ein paar “Klimakleber” von der Straße zu entfernen. Ich fragte sie, wo sie denn im Januar gewesen seien, als die Menschen in genau dieser Nach­bar­schaft wegen der Trak­toren protes­tie­render Bauern näch­te­lang nicht schlafen konnten. Die Bauern seien eben wichtig, erklärte mir einer der Poli­zisten, schließ­lich wolle man doch Kartof­feln essen und könne sie nicht selbst anbauen… Ich kam leider nicht mehr dazu, dem Mann zu erklären, dass man Kartof­feln nur unter bestimmten klima­ti­schen Bedin­gungen anbauen kann und wir jetzt dafür sorgen müssen, dass es mit dem Kartof­fel­anbau nicht in naher Zukunft vorbei ist – etwa wenn sich der Golf­strom, wie von Wissen­schaft­lern befürchtet, in ein paar Jahren wegen des Klima­wan­dels abschwächt. Und natür­lich spielt auch für die Bauern die Arten­viel­falt eine entschei­dende Rolle! Seit Jahren klagen sie über schlech­tere Ernten aufgrund von Schäd­lingen die es jedoch in einem ausge­gli­chenen Ökosystem mit gesunder Biodi­ver­sität nicht gäbe.

Die EU-Staaten haben 2022 klare Ziele zum Schutz der Biodi­ver­sität vereinbart…

Bei der COP15 im Dezember 2022 in Mont­real schien, es, als komme Bewe­gung in die Bemü­hungen der Welt­ge­mein­schaft für den Arten­schutz und Klima­schutz. Gerade auch seitens der EU-Länder wurden große Zuge­ständ­nisse gemacht und so das ange­strebte Welt­na­tur­ab­kommen voran­ge­bracht. Leider ist andert­halb Jahre später kaum etwas passiert.

Nashornaffen auf Borneo

Dreißig Prozent der Ökosys­teme welt­weit sollten zu Schutz­ge­bieten werden, so der dama­lige Beschluss, und dreißig Prozent der zerstörten Ökosys­teme rena­tu­riert. Ein ehrgei­ziges Ziel. Auch sollten die Umwelt­schäden durch Dünger und Pesti­zide redu­ziert werden, umwelt­schäd­liche Subven­tionen abge­baut und mehr Geld für Arten­schutz­pro­jekte bereit­ge­stellt werden.

… doch zwei Jahre später werden Gesetze wieder gekippt

Im November 2023 fand nun eine wich­tige Abstim­mung statt, mit der die Verein­ba­rungen aus Mont­real weiter hätten Fahrt aufnehmen können – doch statt­dessen hat das Euro­päi­sche Parla­ment einen wich­tigen Geset­zes­ent­wurf abge­lehnt, das den Einsatz von Pesti­ziden in der Land­wirt­schaft redu­zieren sollte. Die euro­pa­weiten Bauern­pro­teste, die der Poli­zist in der Anek­dote weiter oben so vertei­digt hat, haben dazu geführt, dass die Pflicht, vier Prozent der land­wirt­schaft­li­chen Fläche für Arten­viel­falt zu reser­vieren, entfallen wird. Abgelehnt.

Auch das Gesetz für die Wieder­her­stel­lung gero­deter Ökosys­teme konnte nach der Verab­schie­dung im EU-Parla­ment noch keine Mehr­heit im Euro­päi­schen Rat finden. Das Ziel hierbei sollte sein, zwanzig Prozent der Moore wieder zu vernässen, Wälder aufzu­forsten und Flüsse wieder zu rena­tu­rieren. Auch das wird nicht passieren.

Die EU ist auf bestem Weg, vom Cham­pion in Sachen Natur­schutz zum Schluss­licht zu werden.

Die Frage, wie wir auf die Bedro­hungen reagieren, die der Klima­wandel und das Arten­sterben auslösen, pola­ri­siert unsere Gesell­schaft. Und zwar zuneh­mend Dabei sollte sie uns doch eigent­lich vereinen! Denn wir und unsere Kinder sind es, die darunter zu leiden haben – und teil­weise jetzt schon die Verän­de­rungen spüren. Es fällt mir immer schwerer zu begreifen, warum wir im Ange­sicht der Gefahr als Gesell­schaft nicht zusam­men­stehen und gemeinsam für unser gutes Leben auf diesem Planeten kämpfen. Es muss uns drin­gend gelingen, dieses Thema wieder zurück zur Basis zu bringen: Wir müssen verstehen, dass der Klima­schutz und Arten­schutz uns alle betrifft.

Frosch auf Borneo

Es reicht leider nicht, auf die „bösen“ Anderen zu zeigen, die in Indo­ne­sien Wälder für Palmöl roden oder in Brasi­lien das Ökosystem des Amazonas an den Rand des Zusam­men­bruchs bringen. Der Klima- und Arten­schutz findet auch vor unserer eigenen Haus­türe statt. Wir müssen auch hier, in unserer eigenen Nach­bar­schaft, in unserer Region und natür­lich gemeinsam mit unseren euro­päi­schen Part­nern bereit sein, Zuge­ständ­nisse zu machen und – viel­leicht zunächst unan­ge­nehme — Verän­de­rungen mitzu­tragen, ehe es zu spät ist. Jeder und jede von uns muss bereit sein, seinen Teil zu über­nehmen. Wenn wir weiterhin egois­tisch und nur mit Blick auf uns selbst, statt auf das große Ganze, handeln, hat unsere Zukunft echt schlechte Karten. Und mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, wird uns lang­fristig sicher nicht helfen.