Die Abholzung im Amazonasgebiet ist auf dem höchsten Niveau seit 2015. Rohstoffpreise schnellen in die Höhe und bieten einen verheerenden Anreiz für den Anbau von Palmöl. Die Ambitionen von US-Präsident Joe Biden für eine andere Klimapolitik drohen an der amerikanischen Realität zu scheitern. Gleichzeitig wächst der Druck auf Politik und Wirtschaft, die tropischen Wälder dieser Erde als „grüne Lunge“ zu erhalten. Dabei wird auf „naturbasierte Lösungen“ wie Naturschutz und Wiederaufforstung gesetzt. Das zurückliegende Jahr könnte sich als schicksalhaft für die tropischen Regenwälder der Welt erweisen. Wir wagen einen Rück- und Ausblick.
Hat COVID zu einer Atempause für die Wälder geführt?
Manche hatten gehofft, dass die Covid-Pandemie der wirtschaftlichen Ausbeute der Natur eine Atempause verschafft. Doch es ist zu befürchten, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Damit die Wirtschaft während der Pandemie nicht komplett zum Erliegen kommt, wurden beispielsweise in Ländern wie Indonesien und Brasilien die Umweltauflagen gelockert, um die Agrarindustrie zu fördern. Welche Auswirkungen das mittelfristig auf die Wälder hat, wird sich noch zeigen.
Rohstoffpreise entscheiden über die Nutzung von Waldflächen
Die Rohstoffpreise sind seit ihrem Tiefpunkt während der ersten Welle der Pandemie im März 2020 stark angestiegen. Ende 2021 lag der Preis für Palmöl 109 % über dem Niveau von April 2020, für Sojabohnen 53 %, für Kautschuk 44 % und für Rindfleisch 34 %. Steigende Rohstoffpreise sind oft der Anreiz dafür, Wälder zu roden und auf den Flächen Nutzpflanzen anzubauen. Es ist zu befürchten, dass dies zu großflächigen Abholzungen führen wird, um beispielsweise industrielle Baumplantagen und neue Infrastrukturprojekte zu fördern. Manche Regierungen, die im letzten Jahr unter geringeren Einnahmen und höheren Ausgaben gelitten haben, werden daran interessiert sein, die Produktion von exportorientierten Rohstoffen anzukurbeln.
Dramatische Abholzung im Amazonasgebiet
Brasiliens Regierungschef Jair Bolsonaro treibt den Kahlschlag des Regenwaldes weiter voran. Dafür stellt er sich gegen Umweltschützer:innen, indigene Völker und Wissenschaftler:innen. Gesetze, die die Umwelt schützen, werden aufgeweicht und durch solche ersetzt, die die Abholzung von Wäldern aktiv fördern. Bolsonaros Regierungszeit ist geprägt von der konsequenten und dramatischen Abholzung des Regenwaldes im Amazonasgebiet.
Im Herbst dieses Jahres wird in Brasilien eine neue Regierung gewählt. Doch was ist zu erwarten, wenn Bolsonaro dabei nicht als Gewinner hervorgeht? Sein Gegenkandidat könnte Luiz Inácio Lula da Silva sein, der in seiner ersten Amtszeit Anfang der 2000er Jahre extrem hohe Abholzungsraten zu verantworten hatte. Im Jahr 2004 setzte er dann Reformen in Kraft, die zu einem historischen Rückgang der Abholzung bis 2012 beitrugen.
2022 steht eine weitere wichtige Entscheidung an, sofern der Oberste Gerichtshof Brasiliens diesen Fall wieder aufnimmt: die Anhörung im Fall „Marco Temporal“. Danach dürfen indigene Völker ein Gebiet für sich beanspruchen, wenn sie beweisen können, dass sie vor Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung bereits dort gelebt haben. Eine wegweisende Entscheidung über Landrechte und für die Zukunft der indigenen Völker Brasiliens.
Indonesien zwischen wirtschaftlichen Interessen und indigenen Landrechten
Die Entwaldung in Indonesien geht seit 2016 leicht zurück. Doch es ist wahrscheinlich, dass sich dieser Trend im Jahr 2022 umkehrt. Grund dafür sind einige Entscheidungen der indonesischen Regierung. So ist im vergangenen September das Moratorium ausgelaufen, das die Vergabe neuer Palmölkonzessionen reglementiert hatte. Es sollte dem Regenwald eine Art Atempause verschaffen, um den gesamten Markt zu evaluieren und neue Bedingungen für den Anbau von Palmöl zu definieren. Mit Ablauf des Moratoriums endete auch die Atempause. Gleichzeitig förderte die Regierung Maßnahmen, die die Nachfrage nach Biokraftstoffen und landwirtschaftlichen Flächen erhöht haben. So hat die indonesische Regierung die Beimischung von Biodiesel zu fossilem Diesel deutlich angehoben. Dadurch soll die Abhängigkeit von Rohölimporten verringert und die wegbrechende Nachfrage nach Palmöl aus Europa kompensiert werden. Denn die Förderung von Biodiesel aus Palmöl läuft hier bis 2030 aus.
Der Verlust von Regenwald durch Brände ist in Indonesien grundsätzlich ein immer wiederkehrendes großes Problem. Aufgrund der fortschreitenden Degradierung von Torfgebieten und Tieflandwäldern besteht in Indonesien immer die Gefahr von Feuern. Die Wahrscheinlichkeit für katastrophale Brände ist in El-Niño-Jahren am größten. Derzeit rechnet die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) allerdings nicht mit einer Rückkehr von El Niño im Jahr 2022.
Auch auf dem indonesischen Teil der Insel Neuguinea werden wichtige Weichen gestellt: Die Zentralregierung hat für Papua und West-Papua Pläne zum Ausbau von Straßen, Minen und industrieller Landwirtschaft vorangetrieben. Doch auf Ebene der Provinzregierungen gab es Widerstand gegen diese Pläne — und damit gegen die Palmölindustrie. So bewirkten eine Reihe von Gerichtsurteilen, dass lokale Gemeinden ihr zuvor enteignetes Land zurückerhielten. Es ist zu erwarten, dass die Gemeinden in Papua — und in ganz Indonesien — weiterhin darauf drängen werden, dass ihre Landrechte von der Regierung offiziell anerkannt werden.
Das größte Bauvorhaben ist jedoch zweifelsfrei der Umzug der Hauptstadt Indonesiens auf die Insel Borneo. Nusantra soll die neue Hauptstadt heißen. Hintergrund des Umzugs ist, dass die aktuelle Hauptstadt Jakarta langsam im Meer versinkt. Rund 35 Millionen Menschen leben in der Metropolregion, Staus, Smog sind an der Tagesordnung. Und weil Jakarta fast zur Hälfte unterm Meeresspiegel-Niveau liegt, kommt es immer wieder zu Überschwemmungen. Mit dem Umzug nach Borneo müssten rund 6000 Hektar Wald gerodet werden.
Wie geht es weiter mit den Verpflichtungen aus 2021?
Im Jahr 2021 gab es zum Beispiel beim Glasgower Klimagipfel (COP26) vielversprechende Zusagen in Bezug auf die Wälder. Darunter auch die Zusage, mehr Geld für den Schutz und die Wiederherstellung der Wälder bereitzustellen. Allerdings sind solche Versprechen in der Vergangenheit immer wieder gescheitert, wie zum Beispiel die New Yorker Erklärung zu den Wäldern aus dem Jahr 2014. Zu einer nennenswerten Reduzierung der Abholzung konnte sie nicht beitragen. Wird es dieses Mal anders sein? Zweifel ist berechtigt. So hat beispielsweise Indonesien, das ein Drittel der weltweiten Regenwälder beherbergt, auf dem Klimagipfel die Vereinbarung unterzeichnetet, die Entwaldung bis 2030 zu beenden. Doch schon wenige Tage später machte die indonesische Regierung einen Rückzieher und stellte klar, dass die eigene Interpretation der Zusage weniger absolut sei als „die vollständige Beendigung der Abholzung“.
Diese Verpflichtungen stehen jetzt im Fokus:
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Fast 14 Tage lang haben 141 Staaten bei der COP26 um neue Ziele im Kampf gegen die Klimakrise gerungen. Am Ende stand ein Klimapaket, das die Staaten zu deutlich mehr Ehrgeiz verpflichtet, das 1,5‑Grad-Ziel zu erreichen. Ein zentraler Aspekt der Verpflichtung sieht vor, die Zerstörung von Waldgebieten zu stoppen. Doch was heißt das genau? Welche Art von Folgemaßnahmen werden wir im Jahr 2022 tatsächlich sehen?
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In der Erklärung der Staats- und Regierungschefs haben sich die Länder zum Schutz und zur Wiederherstellung von Wäldern und anderen Ökosystemen verpflichtet. Diese Länder machen mehr als 90 % der weltweiten Waldfläche aus. Sie tragen eine große Verantwortung. Wird die Erklärung von Glasgow, die rechtlich nicht bindend ist, genauso wenig bewirken wir die New Yorker Erklärung? Oder wird es doch sinnvolle Fortschritte geben?
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Auf der COP26 sagten Geber aus dem privaten und öffentlichen Sektor finanzielle Unterstützung von rund 19,2 Milliarden Dollar für indigene Landbesitz- und Waldbewirtschaftung zu. Ein Teil davon – 1,7 Milliarden Dollar – fließen in Bemühungen, den Waldverlust umzukehren. Einige der indigenen Führer sind jedoch skeptisch, wie sich dies auswirken wird. Die meisten früheren Finanzhilfen gingen nicht an indigene Organisationen und Gemeinschaften, sondern an zwischengeschaltete Nichtregierungsorganisationen, Regierungsbehörden und regionale Banken. Das minderte die Effizienz der Gelder erheblich. Auch fehlt es an Transparenz und der Möglichkeit nachzuverfolgen, was genau mit dem Geld passiert. Nichtregierungsorganisationen und Journalisten werden sehr genau im Auge behalten, ob das Geld bewegt wird und wohin es fließt. Regierungen müssen wissen, dass es eine wachsende Bewegung von Gemeinschaften, Organisationen und Aktivisten an vorderster Front für Klimagerechtigkeit gibt.
- Verschiedene Konsumgüterunternehmen, Supermärkte, Banken und Fondsmanager haben sich verpflichtet, die Entwaldung in ihren Lieferketten und bei ihren Investitionen zu berücksichtigen.
Übereinkommen über die biologische Vielfalt
Nach mehrfacher Verschiebung soll die 15. Konferenz zur „UN-Konvention über die biologische Vielfalt“ (CBD) nun vom 25. April bis 8. Mai 2022 im chinesischen Kunming stattfinden. Die Konferenzen gehen zurück auf einen völkerrechtlichen Vertrag von 1992, der regelt, wie die Staaten die biologische Vielfalt unserer Erde erhalten können. Um konkrete Strategien dafür zu entwickeln, treffen sich die Unterzeichner der Konvention regelmäßig auf einer Conference of the Parties (COP).
Für die Konferenz in diesem Frühjahr wird erwartet, dass die Vertreterinnen und Vertreter der teilnehmenden Staaten ein globales Rahmenwerk für die biologische Vielfalt entwerfen und verabschieden. Dieses Abkommen könnte erhebliche Auswirkungen auf die weltweiten Hotspots der biologischen Vielfalt, einschließlich der tropischen Wälder, haben. Eine wichtige Rolle wird dabei auch das „30x30“-Konzept spielen: Es sieht vor, dass bis zum Jahr 2030 mindestens 30 % der Erde zu Naturschutzgebieten erklärt werden.
Die Ökosystemleistungen der Wälder nehmen ab
Jährlich erhobene Daten belegen, dass die Tropenwälder durch Abholzung, Degradierung und Fragmentierung sowie zunehmende Dürren und Brände ihre Fähigkeit verlieren, Kohlenstoff zu binden. Auch gibt es mehr Anzeichen für ökologische Veränderungen in den Wäldern — zum Beispiel wandern Arten, die für trockenere Übergangswälder charakteristisch sind, in traditionell tropische Waldlebensräume im südlichen Amazonasgebiet ein. Wir können davon ausgehen, dass im Jahr 2022 weitere Forschungsergebnisse veröffentlicht werden, die diese Trends weiter dokumentieren.
Muss U.S.-Regierung von Klimazielen abrücken?
Bei den nächsten Zwischenwahlen in den USA wird erwartet, dass die Republikaner mindestens eine Kammer des US-Kongresses wieder besetzen. Das könnte die Ambitionen der Regierung Biden, den Klimawandel zu bekämpfen und Umweltinitiativen im Ausland zu unterstützen, zunichtemachen. In der Vergangenheit war der Umweltschutz manchmal ein parteiübergreifendes Thema, das trotz der Blockade in anderen Bereichen vorangetrieben werden konnte. Aber im gegenwärtigen politischen Klima in den Vereinigten Staaten ist die parteiübergreifende Zusammenarbeit nicht mehr gefragt.
Kohlenstoffmärkte zwischen Netto-Null und Kompensation
Um den Klimawandel zu stoppen und die globalen Temperaturen zu stabilisieren, müssen die Nettoemissionen weltweit auf Null reduziert werden. Im Rahmen des Pariser Abkommens haben sich Regierungen auf der ganzen Welt darauf geeinigt, dass sie anstreben, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Heißt: ein Gleichgewicht zwischen der Menge der produzierten und der der Atmosphäre entzogenen Emissionen zu erreichen. Dabei lässt das „Netto-Null“-Konzept zu, dass einige Emissionen über Null liegen, solange sie an anderer Stelle ausgeglichen werden. Es gilt, was unterm Strich dabei rauskommt.
Was Konzerne und große Naturschutzunternehmen „naturbasierte Lösungen“ nennen, ist jedoch in der Realität eher ein beinhartes Geschäftsmodell als ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz. Die vermeintlichen Lösungen nutzen Lebensräume von indigenen Völkern, Bauern und anderen waldabhängigen Gemeinschaften für den Ausgleich von Umweltverschmutzungen durch Konzerne. Die Interessen der Unternehmen führen immer wieder zu Enteignungen derer, denen das Land gehörte. Ein lukratives Geschäft.
Dennoch: Das Abkommen hat zu einer Welle von Netto-Null-Verpflichtungen geführt. Sie haben den Preis für Emissionsgutschriften auf den höchsten Stand seit Jahren getrieben und dem Markt für naturschutzbezogene Emissionsgutschriften neues Leben eingehaucht. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte er einen starken wirtschaftlichen Anreiz für Naturschutzprojekte und Geschäftsmodelle bieten, die auf dem Verkauf von Kompensationen basieren.
Doch das Konzept des Kohlenstoffausgleichs sieht sich erheblichem Gegenwind durch eine wachsende Zahl von Kritikern ausgesetzt. Sie argumentieren, dass der Ansatz nicht genug dazu beiträgt, die üblichen Geschäftspraktiken zu ändern. Die Debatte über Kompensationen wird uns in der nächsten Zeit noch beschäftigen.
Wiederherstellung von Ökosystemen
Im Juni 2021 riefen das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen aus. Ziel: In den nächsten zehn Jahren mindestens eine Milliarde Hektar geschädigter Flächen wiederherzustellen. Der Zeitpunkt war günstig: Das Interesse an der Anpflanzung von Bäumen, der Ökosystem-Wiederherstellung und der Wiederbewaldung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Wenn die Kohlenstoffmärkte weiterhin in Schwung bleiben (siehe vorherigen Punkt), könnten sie diesen Bemühungen in naher Zukunft Auftrieb geben.
Aufforstungsprojekte von BOS
Mit unseren Aufforstungs- und Renaturierungsprojekten in Mawas oder der Umwandlung von Ölpalmenplantagen in Sabah hin zu einem Wildtierkorridor leistet BOS einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Machen Sie mit!
Quelle: https://news.mongabay.com/2022/01/rainforests-in-2022-a-look-at-the-year-ahead/