7. Oktober 2020

Para­si­ten­be­fall, Vire­n­er­kran­kungen & andere Herausforderungen

Viele Faktoren beein­flussen den Erfolg von Orang-Utan-Auswil­de­rungs­pro­grammen. Zum Beispiel die Fähig­keiten der neuen Wilden, selbst­ständig und sicher im Regen­wald zu leben. Aber auch Para­si­ten­be­fall, bakte­ri­elle und virale Infek­tionen, Krank­heiten, Verlet­zungen und vor allem der voran­schrei­tende Lebens­raum­ver­lust und die ille­gale Jagd auf die vom Aussterben bedrohten Menschen­affen spielen eine Rolle. Im folgenden Artikel gehen wir genauer auf einige Gefah­ren­quellen ein und berichten, wie wir unsere Schütz­linge best­mög­lich auf ein Leben in freier Wild­bahn vorbereiten.

Para­si­tärer Befall bei Orang-Utans 

Wie auch der Mensch oder andere Tiere, so können sich Orang-Utans mit einer Reihe von Para­siten infi­zieren. Dazu gehören verschie­denen Formen von para­si­tären, Darm bewoh­nenden Proto­zoen, Faden­wür­mern, Saug­wür­mern, Haken­wür­mern und Band­wür­mern, die verstärkt Jung­tiere, aber auch erwach­sene Tiere befallen (1). Daher werden unsere Schütz­linge, wie auch bei Haus­tieren wie z. B. Hunden und Katzen üblich, alle drei Monate auf Para­siten getestet und bei Bedarf entwurmt (2). In freier Wild­bahn spielt die Ernäh­rung eine wich­tige Rolle bei der Para­si­ten­be­kämp­fung. Man hat fest­ge­stellt, dass Orang-Utans, die in der freien Wild­bahn bestimmte Pflanzen verzehren, weniger Para­siten aufweisen (3).

Orang-Utans benutzen Heilpflanzen

Eine vor Kurzem veröf­fent­lichte Studie zeigt, dass sich Orang-Utans im Regen­wald selbst verarzten (4): Mehrere Tiere wurden dabei beob­achtet, wie sie Blätter von der zu den Drachen­bäumen gehö­renden Pflanze Dracaena cant­leyi abbra­chen, zerkauten (obwohl sie sehr bitter schmeckt!) und den schau­migen Pflan­zen­brei auf ihre Arme und Beine verteilten und ihn sogar zwischen 15–45 Minuten lang einmassierten. 

Pflanzenmedizinexperte
Pflanzenmedizinexperte

Inter­es­san­ter­weise wird die Pflanze auch von der lokalen Bevöl­ke­rung auf Borneo als Heil­pflanze verwendet – um Gelenk- und Muskel­ent­zün­dungen zu behan­deln. Phar­ma­ko­lo­gi­sche Analysen haben gezeigt, dass die Wirk­stoffe der Pflanze entzün­dungs­hem­mende Eigen­schaften besitzen und sogar die Wund­hei­lung fördern (4). Die Forscher vermuten, dass sich die Menschen das Verhalten von den Orang-Utans abge­schaut haben.

Bakte­ri­elle und virale Erkrankungen

Orang-Utans sind auch anfällig für im Menschen vorkom­mende bakte­ri­elle Erkran­kungen (wie Tuber­ku­lose) und virale Erkran­kungen. Tiere, die vor ihrer Rettung gezwungen waren in engem Kontakt mit infi­zierten Menschen zu leben, sind daher beson­ders gefährdet. Aber auch in freier Wild­bahn kommen Virus­er­kran­kungen vor. In einer groß ange­legten Studie wurden 84 wilde Orang-Utans auf Viren­in­fek­tionen unter­sucht. Die Forscher konnten elf verschie­dene Viren nach­weisen, darunter soge­nannte Arbo­viren, die über Moskitos, Fliegen und Zecken über­tragen werden wie zum Beispiel das Dengue-Virus und Malaria, oder andere Viren wie zum Beispiel Herpes­viren, Rota­viren, Mumps und Grip­pe­viren (5).

Laborproben
Laborproben

Orang-Utans sind manchmal auch mit Hepa­titis A oder mit humanem oder Orang-Utan spezi­fi­schem Hepa­titis B infi­ziert. Glück­li­cher­weise sind die Virus­er­kran­kungen oft bereits ausge­heilt und nur noch körper­ei­gene Anti­körper nach­weisbar. Falls das nicht der Fall ist, werden die Tiere von unserem erfah­renen Tier­ärz­te­team behandelt.

Coro­na­virus SARS-CoV‑2 – eine große Gefahr für Menschenaffen

Menschen­affen sind anfällig für mensch­liche Atem­wegs­er­kran­kungen. Viren, die beim Menschen nur leichte Symptome hervor­rufen, können für Menschen­affen manchmal tödlich enden. Bei manchen Schim­pansen Popu­la­tionen in Tansania stellen mensch­liche virale Atem­wegs­er­kran­kungen bereits die Haupt­to­des­ur­sache dar (6). Auch ca. 20% der Todes­fälle bei Berg­go­rillas werden durch vom Menschen über­tra­gene Viren verur­sacht. Dies geschieht oft dadurch, dass Touristen den gesetz­lich vorge­schrie­benen Sicher­heits­ab­stand von sieben Metern nicht einhalten (6). Bisher gibt es zur Über­tra­gung von COVID-19 auf Menschen­affen noch keine veröf­fent­lichten wissen­schaft­li­chen Studien. 

Hoffentlich kein Fieber
Hoffent­lich kein Fieber

Da aber mitt­ler­weile bekannt ist, dass auch andere Tiere, wie zum Beispiel Katzen und Frett­chen, mit SARS-CoV‑2 infi­ziert werden können (7) und die Tatsache, dass unser Erbgut zu ca. 97% mit dem von Orang-Utans über­ein­stimmt (8), lässt Experten befürchten, dass SARS-CoV‑2 für die Menschen­af­fen­po­pu­la­tionen mögli­cher­weise verhee­rende Folgen haben könnte. 

Unser Team unter­nimmt derzeit alles, um unsere Schütz­linge in den Schutz­zen­tren vor der gefähr­li­chen Corona-Pandemie zu schützen und sie auf das teils aben­teu­er­liche Leben in freier Wild­bahn vorzubereiten. 

Leider haben viele Orang-Utan Waisen­kinder ihre Mutter bereits in jungen Jahren verloren – durch Wilderei oder durch den ille­galen Wild­tier­handel, bei dem die jungen Orang-Utans brutal von ihrer Mutter getrennt und als Haus­tiere verkauft werden. Sie hatten in dieser kurzen, kost­baren Zeit, die sie mit ihrer Mutter verbringen durften, nicht genü­gend Gele­gen­heit, um all die wich­tigen Fähig­keiten zu lernen, die man als erwach­sener Orang-Utan im Regen­wald zum Über­leben benö­tigt. In den BOS-Schutz­zen­tren ange­kommen, durch­laufen die junge Orang-Utan-Waisen daher ein im Durch­schnitt sechs bis acht Jahre langes Trai­ning in unseren Wald­schulen, um sie auf ein eigen­stän­diges Leben in Frei­heit vorzu­be­reiten. Sie müssen beispiels­weise lernen wie man essbare Früchte und Pflanzen findet und erkennt, Werk­zeuge baut und verwendet, sich von gefähr­li­chen Tieren wie Schlangen fern­hält, in großen Höhen sicher klet­tert, sich im dichten Wald ziel­si­cher orien­tiert, und wie man sich gegen­über anderen Orang-Utans verhält. 

Auch Klet­tern muss gelernt sein

Man hat fest­ge­stellt, dass ca. 30% der wilden Orang-Utans verheilte Knochen­brüche von Klet­ter­un­fällen aufweisen (9). Da Orang-Utans die größten baum­be­woh­nenden Säuge­tiere sind und ausge­wach­sene Männ­chen bis zu 90 kg schwer (!) werden, ist das nicht allzu überraschend. 

Klettern will gelernt sein
Klet­tern will gelernt sein

Norma­ler­weise lernen die Menschen­affen von ihren Müttern, wie man sich sicher hoch oben in den Baum­kronen fort­be­wegt und morschem Geäst und Ästen, die nicht stark genug sind um einen Orang-Utan zu tragen, ausweicht.

Gefahren am Boden

Zur Vorbe­rei­tung auf ein eigen­stän­diges Leben in Frei­heit gehört auch, ihnen Attrappen von gefähr­li­chen Tieren zu zeigen, um sie für den Ernst­fall vorzu­be­reiten. Da die meisten Beute­greifer wie Sunda-Nebel­parder, Schlangen und sogar Kroko­dile am Boden anzu­treffen sind, wird den jungen Orang-Utans beigebracht, wie man hoch oben in den Bäumen lebt, auf Nahrungs­suche geht, sich fort­be­wegt und auch Schlaf­nester für die Nacht baut.

Viele der Orang-Utans in unseren Schutz­zen­tren haben bereits den mehr­stu­figen Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess durch­laufen und sind bestens für ein Leben in der freien Natur vorbe­reitet. Leider müssen sie aufgrund der aktu­ellen Gefähr­dung durch den Corona-Virus zurzeit auf ihre Auswil­de­rung warten. Und inzwi­schen wird der Platz in unseren sicheren Auswil­de­rungs­wäl­dern auch knapp.

Helfen sie uns dabei mehr Schutz­wald für die Orang-Utans zu sichern! Werden auch Sie zum BOS-Unter­stützer. Mit Ihrer Spende helfen Sie den Orang-Utans, dem Regen­wald und damit auch unserem Klima. Jeder Beitrag hilft.

Text: Dr. Isabelle Laumer

 

Die BOSF Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­tren werden durch das inter­na­tio­nale tier­ärzt­liche Fach­ärz­te­team OVAG (Oran­gutan Vete­ri­nary Advi­sory Group) beraten. Meetings und Work­shops für Mitar­beiter finden jähr­lich statt.

Refe­renzen:

  1. Labes, E; Hegglin, D; Grimm, F; Nurcahyo, W; Harrison, M E; Bastian, M L; Deplazes, P (2010). Intestinal para­sites of endan­gered oran­gutans (Pongo pygmaeus) in Central and East Kali­mantan, Borneo, Indo­nesia. Para­si­to­logy, 137(1):123–135.
  1. Oran­gutan Vete­ri­nary Advi­sory Group work­shop report (2013) Prepared with parti­ci­pants of the Oran­gutan Conser­vancy, Bogor, Jawa, Indo­nesia, June 24–28, R. Commi­tante, S. Unwin (Editors). Oran­gutan Conser­vancy (OC).
  1. Foitová, I., Jarkovský, J., Dušek, L. & Koptí­ková, J. (2006) Rela­ti­onship between plant preva­lence in the oran­gutan diet and their coin­ci­dence with para­site presence. Report to Foun­da­tion UMI-Saving of Pongidae.
  1. Morrogh-Bernard, H.C., Foitová, I., Yeen, Z. et al. (2017) Self-medi­ca­tion by orang-utans (Pongo pygmaeus) using bioac­tive proper­ties of Dracaena cant­leyi . Sci Rep 7, 16653.
  1. Kilbourn AM, Karesh WB, Wolfe ND, Bosi EJ, Cook RA, Andau M. (2003) Health evalua­tion of free-ranging and semi-captive oran­gutans (Pongo pygmaeus pygmaeus) in Sabah, Malaysia. J Wildl Dis.;39(1):73–83.
  1. Gibbons A. (2020) Ape rese­ar­chers mobi­lize to save primates from coro­na­virus. Science, Vol. 368, Issue 6491, pp. 566.
  1. Shi J, Wen Z, Zhong G, et al. Suscep­ti­bi­lity of ferrets, cats, dogs, and other dome­sti­cated animals to SARS-coro­na­virus 2. Science. 2020;368(6494):1016–1020.
  1. Locke, D., Hillier, L., Warren, W. et al. (2011) Compa­ra­tive and demo­gra­phic analysis of orang-utan genomes. Nature 469, 529–533.
  1. Schultz A.H. (1969). The life of primates. Woking, Great Britain: Unwin Brot­hers Ltd., p. 281.