Viele Faktoren beeinflussen den Erfolg von Orang-Utan-Auswilderungsprogrammen. Zum Beispiel die Fähigkeiten der neuen Wilden, selbstständig und sicher im Regenwald zu leben. Aber auch Parasitenbefall, bakterielle und virale Infektionen, Krankheiten, Verletzungen und vor allem der voranschreitende Lebensraumverlust und die illegale Jagd auf die vom Aussterben bedrohten Menschenaffen spielen eine Rolle. Im folgenden Artikel gehen wir genauer auf einige Gefahrenquellen ein und berichten, wie wir unsere Schützlinge bestmöglich auf ein Leben in freier Wildbahn vorbereiten.
Parasitärer Befall bei Orang-Utans
Wie auch der Mensch oder andere Tiere, so können sich Orang-Utans mit einer Reihe von Parasiten infizieren. Dazu gehören verschiedenen Formen von parasitären, Darm bewohnenden Protozoen, Fadenwürmern, Saugwürmern, Hakenwürmern und Bandwürmern, die verstärkt Jungtiere, aber auch erwachsene Tiere befallen (1). Daher werden unsere Schützlinge, wie auch bei Haustieren wie z. B. Hunden und Katzen üblich, alle drei Monate auf Parasiten getestet und bei Bedarf entwurmt (2). In freier Wildbahn spielt die Ernährung eine wichtige Rolle bei der Parasitenbekämpfung. Man hat festgestellt, dass Orang-Utans, die in der freien Wildbahn bestimmte Pflanzen verzehren, weniger Parasiten aufweisen (3).
Orang-Utans benutzen Heilpflanzen
Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie zeigt, dass sich Orang-Utans im Regenwald selbst verarzten (4): Mehrere Tiere wurden dabei beobachtet, wie sie Blätter von der zu den Drachenbäumen gehörenden Pflanze Dracaena cantleyi abbrachen, zerkauten (obwohl sie sehr bitter schmeckt!) und den schaumigen Pflanzenbrei auf ihre Arme und Beine verteilten und ihn sogar zwischen 15–45 Minuten lang einmassierten.
Interessanterweise wird die Pflanze auch von der lokalen Bevölkerung auf Borneo als Heilpflanze verwendet – um Gelenk- und Muskelentzündungen zu behandeln. Pharmakologische Analysen haben gezeigt, dass die Wirkstoffe der Pflanze entzündungshemmende Eigenschaften besitzen und sogar die Wundheilung fördern (4). Die Forscher vermuten, dass sich die Menschen das Verhalten von den Orang-Utans abgeschaut haben.
Bakterielle und virale Erkrankungen
Orang-Utans sind auch anfällig für im Menschen vorkommende bakterielle Erkrankungen (wie Tuberkulose) und virale Erkrankungen. Tiere, die vor ihrer Rettung gezwungen waren in engem Kontakt mit infizierten Menschen zu leben, sind daher besonders gefährdet. Aber auch in freier Wildbahn kommen Viruserkrankungen vor. In einer groß angelegten Studie wurden 84 wilde Orang-Utans auf Vireninfektionen untersucht. Die Forscher konnten elf verschiedene Viren nachweisen, darunter sogenannte Arboviren, die über Moskitos, Fliegen und Zecken übertragen werden wie zum Beispiel das Dengue-Virus und Malaria, oder andere Viren wie zum Beispiel Herpesviren, Rotaviren, Mumps und Grippeviren (5).
Orang-Utans sind manchmal auch mit Hepatitis A oder mit humanem oder Orang-Utan spezifischem Hepatitis B infiziert. Glücklicherweise sind die Viruserkrankungen oft bereits ausgeheilt und nur noch körpereigene Antikörper nachweisbar. Falls das nicht der Fall ist, werden die Tiere von unserem erfahrenen Tierärzteteam behandelt.
Coronavirus SARS-CoV‑2 – eine große Gefahr für Menschenaffen
Menschenaffen sind anfällig für menschliche Atemwegserkrankungen. Viren, die beim Menschen nur leichte Symptome hervorrufen, können für Menschenaffen manchmal tödlich enden. Bei manchen Schimpansen Populationen in Tansania stellen menschliche virale Atemwegserkrankungen bereits die Haupttodesursache dar (6). Auch ca. 20% der Todesfälle bei Berggorillas werden durch vom Menschen übertragene Viren verursacht. Dies geschieht oft dadurch, dass Touristen den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von sieben Metern nicht einhalten (6). Bisher gibt es zur Übertragung von COVID-19 auf Menschenaffen noch keine veröffentlichten wissenschaftlichen Studien.
Da aber mittlerweile bekannt ist, dass auch andere Tiere, wie zum Beispiel Katzen und Frettchen, mit SARS-CoV‑2 infiziert werden können (7) und die Tatsache, dass unser Erbgut zu ca. 97% mit dem von Orang-Utans übereinstimmt (8), lässt Experten befürchten, dass SARS-CoV‑2 für die Menschenaffenpopulationen möglicherweise verheerende Folgen haben könnte.
Unser Team unternimmt derzeit alles, um unsere Schützlinge in den Schutzzentren vor der gefährlichen Corona-Pandemie zu schützen und sie auf das teils abenteuerliche Leben in freier Wildbahn vorzubereiten.
Leider haben viele Orang-Utan Waisenkinder ihre Mutter bereits in jungen Jahren verloren – durch Wilderei oder durch den illegalen Wildtierhandel, bei dem die jungen Orang-Utans brutal von ihrer Mutter getrennt und als Haustiere verkauft werden. Sie hatten in dieser kurzen, kostbaren Zeit, die sie mit ihrer Mutter verbringen durften, nicht genügend Gelegenheit, um all die wichtigen Fähigkeiten zu lernen, die man als erwachsener Orang-Utan im Regenwald zum Überleben benötigt. In den BOS-Schutzzentren angekommen, durchlaufen die junge Orang-Utan-Waisen daher ein im Durchschnitt sechs bis acht Jahre langes Training in unseren Waldschulen, um sie auf ein eigenständiges Leben in Freiheit vorzubereiten. Sie müssen beispielsweise lernen wie man essbare Früchte und Pflanzen findet und erkennt, Werkzeuge baut und verwendet, sich von gefährlichen Tieren wie Schlangen fernhält, in großen Höhen sicher klettert, sich im dichten Wald zielsicher orientiert, und wie man sich gegenüber anderen Orang-Utans verhält.
Auch Klettern muss gelernt sein
Man hat festgestellt, dass ca. 30% der wilden Orang-Utans verheilte Knochenbrüche von Kletterunfällen aufweisen (9). Da Orang-Utans die größten baumbewohnenden Säugetiere sind und ausgewachsene Männchen bis zu 90 kg schwer (!) werden, ist das nicht allzu überraschend.
Normalerweise lernen die Menschenaffen von ihren Müttern, wie man sich sicher hoch oben in den Baumkronen fortbewegt und morschem Geäst und Ästen, die nicht stark genug sind um einen Orang-Utan zu tragen, ausweicht.
Gefahren am Boden
Zur Vorbereitung auf ein eigenständiges Leben in Freiheit gehört auch, ihnen Attrappen von gefährlichen Tieren zu zeigen, um sie für den Ernstfall vorzubereiten. Da die meisten Beutegreifer wie Sunda-Nebelparder, Schlangen und sogar Krokodile am Boden anzutreffen sind, wird den jungen Orang-Utans beigebracht, wie man hoch oben in den Bäumen lebt, auf Nahrungssuche geht, sich fortbewegt und auch Schlafnester für die Nacht baut.
Viele der Orang-Utans in unseren Schutzzentren haben bereits den mehrstufigen Rehabilitationsprozess durchlaufen und sind bestens für ein Leben in der freien Natur vorbereitet. Leider müssen sie aufgrund der aktuellen Gefährdung durch den Corona-Virus zurzeit auf ihre Auswilderung warten. Und inzwischen wird der Platz in unseren sicheren Auswilderungswäldern auch knapp.
Helfen sie uns dabei mehr Schutzwald für die Orang-Utans zu sichern! Werden auch Sie zum BOS-Unterstützer. Mit Ihrer Spende helfen Sie den Orang-Utans, dem Regenwald und damit auch unserem Klima. Jeder Beitrag hilft.
Text: Dr. Isabelle Laumer
Die BOSF Rehabilitationszentren werden durch das internationale tierärztliche Fachärzteteam OVAG (Orangutan Veterinary Advisory Group) beraten. Meetings und Workshops für Mitarbeiter finden jährlich statt.
Referenzen:
- Labes, E; Hegglin, D; Grimm, F; Nurcahyo, W; Harrison, M E; Bastian, M L; Deplazes, P (2010). Intestinal parasites of endangered orangutans (Pongo pygmaeus) in Central and East Kalimantan, Borneo, Indonesia. Parasitology, 137(1):123–135.
- Orangutan Veterinary Advisory Group workshop report (2013) Prepared with participants of the Orangutan Conservancy, Bogor, Jawa, Indonesia, June 24–28, R. Commitante, S. Unwin (Editors). Orangutan Conservancy (OC).
- Foitová, I., Jarkovský, J., Dušek, L. & Koptíková, J. (2006) Relationship between plant prevalence in the orangutan diet and their coincidence with parasite presence. Report to Foundation UMI-Saving of Pongidae.
- Morrogh-Bernard, H.C., Foitová, I., Yeen, Z. et al. (2017) Self-medication by orang-utans (Pongo pygmaeus) using bioactive properties of Dracaena cantleyi . Sci Rep 7, 16653.
- Kilbourn AM, Karesh WB, Wolfe ND, Bosi EJ, Cook RA, Andau M. (2003) Health evaluation of free-ranging and semi-captive orangutans (Pongo pygmaeus pygmaeus) in Sabah, Malaysia. J Wildl Dis.;39(1):73–83.
- Gibbons A. (2020) Ape researchers mobilize to save primates from coronavirus. Science, Vol. 368, Issue 6491, pp. 566.
- Shi J, Wen Z, Zhong G, et al. Susceptibility of ferrets, cats, dogs, and other domesticated animals to SARS-coronavirus 2. Science. 2020;368(6494):1016–1020.
- Locke, D., Hillier, L., Warren, W. et al. (2011) Comparative and demographic analysis of orang-utan genomes. Nature 469, 529–533.
- Schultz A.H. (1969). The life of primates. Woking, Great Britain: Unwin Brothers Ltd., p. 281.