Kunsthandwerk in den Baumwipfeln
Beim Stichwort „Nestbau“ denken die meisten Menschen wohl sofort an Vögel. Aber auch Orang-Utans bauen Nester – hoch oben in die Baumwipfel des Regenwaldes und mit beeindruckendem Geschick. Junge Orang-Utans erlernen diese Fähigkeit von ihren Müttern, doch das braucht seine Zeit.
Orang-Utans sind sogenannte baumbewohnende Säugetiere: Sie verbringen den Großteil ihres Lebens als semi-solitäre Waldbewohner auf Bäumen, wo sie kletternd und hangelnd nach Nahrung suchen und allabendlich nach einem geeigneten, sicheren Platz, um dort ihr Schlafnest einzurichten. Dabei beweisen sie sowohl handwerkliches Geschick als auch architektonische Kompetenz.
Orang-Utans werden auch Wald-Architekten genannt
Ihren Nestbau beginnen Orang-Utans mit der Wahl des passenden Baumes und einer geeigneten Astgabel. Besonders beliebt für den Nestbau ist die Baumart Shorea Balangeran, die ausschließlich in Indonesien vorkommt – und ebenfalls vom Aussterben bedroht ist.
Orang-Utans haben eine beachtliche Körpergröße, sodass der „Bauplatz“ einiges an Gewicht aushalten muss. Handelt es sich um einen jungen Baum mit geringem Durchmesser, wird das Nest in direkt am Stamm erbaut, wo die Äste die größte Stabilität aufweisen.
Auf den mächtigen Urwaldriesen hingegen – sie können ausgewachsen über 30 Meter hoch werden – kann sich das Nest auch an der Spitze eines ausladenden Astes befinden und dort, ähnlich einer Hängematte, in einer Astgabel thronen.
Manchmal werden auch mehrere Bäume in den Nestbau einbezogen. Dann scheint es, als ob es zwischen den schlanken Stämmen junger Sprösslinge oder zwischen zwei sich überlappenden Astausläufern in der Luft hängt. Doch freilich ist es fest verwoben.
Das Orang-Utan-Schlafnest wird kunstvoll und bequem eingerichtet
Am ausgewählten Ort beginnt der Orang-Utan nun, Zweige und Blätter miteinander zu verweben. So erhält er ein solides Fundament für sein Nest. Mit flinken, geschickten Fingern steckt er Zweige ineinander, schlingt sie umeinander, verbindet und befestigt und zieht schließlich mit kleineren Zweigen einen kreisrunden Rand in die Höhe. Dieser verwandelt den Schlafplatz endgültig in ein Nest und sichert den Orang-Utan vor dem Herausfallen bei Nacht.
Nachdem der Rohbau steht, geht es an die Inneneinrichtung. Denn das Nest soll schließlich nicht nur sicher, sondern auch bequem sein! Dafür sammelt der Orang-Utan junge, weiche Blätter und Moose und polstert sein Nachtquartier aus.
Was nun klingt, als sei es ein langer Prozess, ist für erfahrene Orang-Utans eine Sache von wenigen Minuten. Ist das nicht beeindruckend?
Nestbau für den Powernap am Tag
Auch am Tag ziehen sich die Waldmenschen manchmal für eine kurze Ruhepause zurück. Dabei nutzen sie hin und wieder bereits gebrauchter Nester, die sie mit frischen Zweigen verstärken und neu auspolstern.
Aufmerksame Beobachter, die zu Fuß im Regenwald unterwegs sind – wie beispielsweise unsere Ranger in den Post-Release Monitoring Teams – können solche Nester in den Bäumen entdecken. Sie erkennen auch, ob es sich um ein neues oder älteres Nest handelt: In älteren Nestern sind die Blätter braun und verwelkt, hat sich die Zweigkonstruktion teilweise gelockert.
In der BOS-Waldschule lernen Orang-Utan-Waisenkinder den Nestbau
Die Kunst des Nestbaus wird von Generation zu Generation weitergegeben. Normalerweise bleiben Orang-Utan-Mütter sechs bis acht Jahre lang unzertrennlich mit ihrem Nachwuchs zusammen und bringen ihm in dieser Zeit alles bei, was er für das Leben im Regenwald benötigt.
Die Waisenkinder jedoch, die wir in unseren Rettungszentren aufnehmen, sind in den meisten Fällen noch zu jung, um bereits den Nestbau von ihren Müttern gelernt zu haben. Diese Aufgabe übernehmen daher unsere Babysitterinnen. Dazu klettern sie sogar mit den kleinen Waldmenschen hinauf in die Bäume. Denn ein Handwerk erlernt man schließlich nur, wenn man es gezeigt bekommt.
Sie können unsere Arbeit in der BOS-Waldschule unterstützen, indem Sie eine Woche Babysitting spenden. Aber auch kleinere Beiträge helfen, den geretteten Orang-Utan-Waisenkindern einen bestmöglichen zweiten Start ins Leben zu schenken. Denn bei BOS kommt Ihr Geld genau dort an, wo es benötigt wird.