Wir hatten es befürchtet. Und nun ist es eingetreten: Auf Borneo brennt es wieder. Auch auf BOS-Arbeitsgebieten kam es schon zu ersten Feuerausbrüchen. Angesichts des globalen Klimawandels, der seit Wochen herrschenden massiven Trockenheit und dem gerade beginnenden El-Niño-Ereignis sind wir in großer Sorge, was uns in den kommenden Wochen und Monaten noch bevorstehen könnte. Natürlich haben wir die vergangenen Jahre genutzt und uns so gut wie möglich vorbereitet. Aber Hilfe ist für die gerade erst einsetzende Feuersaison dennoch dringend nötig.
Ende August brach in unserem Aufforstungsgebiet Mawas ein Feuer aus. Unser Team handelte schnell und konnte den Brand – der rund 50 Hektar Torfmoorwald zerstörte – mit Unterstützung der lokalen Gemeinden löschen. Fast eine Woche dauerten die Löscharbeiten, denn der Zugang zum Gebiet ist begrenzt und das Torfmoor in diesem Gebiet tief. Das führt dazu, dass Brände sich unter der Oberfläche fortsetzen.
Diese Bodenbrände, bei denen die Flammen auf den ersten Blick nicht sichtbar sind, sind unglaublich schwierig zu löschen und können, wenn sie nicht gründlich behandelt werden, die Ursache für immer wiederkehrende Brände sein.
Waldbrände kommen in der Trockenzeit auf Borneo immer wieder vor. Aber gerade El-Niño-Jahre sind für die tropischen Regenwälder am verheerendsten, für die Menschen am gefährlichsten und für die Tierwelt Borneos am tödlichsten. Auch für die Orang-Utans.
Niederschlagsentwicklung im Tuanan-Forschungsgebiet von Mawas. Zu erkennen ist die geringe Niederschlagsmenge im Jahr 2023, ähnlich wie in den Jahren 2019 und 2015, als es zu extremen Bränden kam. Quelle: Tuanan Research Station/Rebecca Brittain (Juli 2023)
Die Gefahr durch das El-Niño-Phänomen
El Niño ist ein natürliches, unregelmäßig auftretendes Phänomen, bei dem in Indonesien die Kombination aus hohem Luftdruck und extremer Meerwassertemperatur zu langanhaltender Hitze und Trockenheit führt, was das Brandrisiko drastisch erhöht. Insbesondere in den El-Niño-Jahren 2015 und 2019 kam es zu schweren Wald- und Torfmoorbränden, deren Auswirkungen weit über die Insel Borneo hinaus zu spüren waren.
2015 brannte Borneo über Monate……und auch über unserem Rettungszentrum Nyaru Menteng hing über Wochen dichter Rauch
Jetzt, im Jahr 2023, besteht erneut ein hohes Risiko für extreme Feuer, da wir in ein neues El-Niño-Jahr eintreten – mit drohenden Folgeschäden nicht nur für die Natur, sondern auch für die menschliche Gesundheit, die Wirtschaft und das globale Klima.
Vier Jahre später, im Jahr 2019, kam es erneut zu heftigen Bränden. Obwohl die Intensität nicht ganz so hoch war wie im Jahr 2015, stellten diese Feuer immer noch eine große Bedrohung für die Umwelt, die Gesundheit und unsere Arbeit dar.
Ein „brennendes“ Thema
Nun haben wir 2023 und wieder sind Waldbrände für uns ein „brennendes“ Thema. Extreme Wetterereignisse, der immer spürbarere Klimawandel und nicht-nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken sind die Hauptursachen für Waldbrände. Und die führen nicht nur zu wirtschaftlichen und ökologischen Verlusten, sondern gefährden auch die weltweiten Bemühungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen.
Wir beugen vor – so gut es geht
BOS ergreift schon seit Jahren verschiedene Präventionsmaßnahmen im Katastrophenschutz, um die Auswirkungen der Brände in Kalimantan zu verringern. Mit regelmäßigen Patrouillen überwachen wir unsere Arbeitsgebiete. Zusätzlich setzen wir Drohnen ein, um mögliche Brandherde so früh wie möglich zu erkennen und schnell bekämpfen zu können.
Aufgrund der anhaltenden Trockenheit führen die Kanäle, auf denen wir Patrouillen unternehmen, kaum Wasser
Ein wichtiger Schritt zur Vermeidung von Bränden ist die Wiedervernässung von trockengelegten Torfmoorgebieten wie in Mawas, wo wir Stück für Stück die kilometerlangen, künstlich angelegten Kanäle blockieren und so das kohlenstoffreiche Gebiet wieder fluten und aufforsten. In den Gebieten, wo bereits Dämme die Kanäle blockieren, konnten wir auch in der Trockenzeit einen signifikanten Anstieg des Wasserniveaus feststellen. Im Falle eines Brandes kann das die Rettung für dieses Gebiet bedeuten. Doch viele Kilometer Kanal warten noch auf uns.
Staudämme sind ein Mittel zur Wiedervernässung des Torfmoors und helfen, die Gefahr von Bränden zu verringern
Wir arbeiten eng mit lokalen Gemeinden zusammen, die wir auch in der Brandbekämpfung schulen und sensibilisieren. Gegenwärtig haben wir in acht Dörfern Brandbekämpfungsteams, wobei in jedem Dorf zwei bis drei Teams tätig sind. Die Teams überwachen den Wasserstand des Torfs, räumen Schneisen, checken die Brandbekämpfungsausrüstung und bauen Brunnen und „Beje“ (Fischteiche, die auch als Wasserreservoir dienen), die dann als Wasserquellen für die Brandbekämpfung genutzt werden können.
Im Königreich Bhutan müssen buchstäblich Berge versetzt werden, um angesichts der drohenden Klimakatastrophe durch Gletscherschmelzen im Himalaya Zeit zu gewinnen. Wälder spielen als CO2-Speicher eine wichtige Rolle.
Durch Aufforstungen ließen sich große Mengen Treibhausgas binden. Dieses Potenzial wird in umfangreichen Forschungsprojekten kartographiert, um Instrumente für die Zukunft zu entwickeln. Doch die Forschung zeigt auch, dass das Vorgehen wohlüberlegt sein will: Damit Wälder ihre Funktion erfüllen und künftigem Wandel standhalten können, müssen sie an geeigneten Standorten gepflanzt werden und vor allem biologisch vielfältig sein. Die Vielfalt unterschiedlicher Arten ist der eigentliche Schlüssel zu einer gesunden Natur. Zum einen muss die Biodiversität an vielen Orten der Erde wiederhergestellt werden, zum anderen kommt es darauf an, die noch intakten Gebiete zu schützen, wie etwa den Bialowieza-Urwald in Polen. Heute ist bekannt, dass neben Wäldern auch andere Ökosysteme wie Torfmoore oder Seegraswiesen riesige CO2-Speicher sind. Da ihre Zerstörung direkt zur Erderwärmung beiträgt, muss es höchste Priorität haben, diese Lebensräume zu bewahren. Auch hier gilt es, die biologische Vielfalt zu erhalten, damit ihr fragiles Gleichgewicht gewahrt bleibt. In Australien hat man es geschafft, durch das Wiederansiedeln von Haien die Schildkrötenpopulation zu regulieren. Dort können nun die Seegraswiesen wieder gut gedeihen. Die Menschheit hängt von der Natur und ihren Ökosystemen ab — und die Natur von uns. Es bleibt noch sehr viel zu tun, um sie zu schützen. In der Antarktis wurde ein beispielhafter Beschluss gefasst: Das Rossmeer, dessen Phytoplankton ebenfalls eine wichtige Rolle als Kohlenstoffsenke spielt, wurde zum Meeresschutzgebiet erklärt. Damit ist gewährleistet, dass das marine Ökosystem dort auch in Zukunft intakt bleibt.
Rekordhitze, Überflutungen, Dürre: normale Wetterphänomene oder bereits die Folgen des Klimawandels? Die Dokumentation mit Harald Lesch fasst den Stand der weltweiten Klimaforschung zusammen.
Schon seit Langem beobachten Forscher einen globalen Temperaturanstieg. Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, in Deutschland droht ein neues Waldsterben. Steuert die Menschheit auf eine neue Heißzeit zu? Oder lässt sich die globale Erwärmung noch begrenzen? Die Dokumentation zieht mithilfe internationaler Experten Bilanz. Um die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, müssten die stetig steigenden CO2-Emissionen in den nächsten zehn Jahren halbiert und bis 2050 komplett gestoppt werden. Notwendig wäre ein weitgehender Verzicht auf fossile Brennstoffe wie Kohle oder Erdöl zur Energiegewinnung. Wenn das nicht gelingt, wird sich die Erde weiter erwärmen — darin ist sich die überwiegende Zahl der Wissenschaftler einig. Auch, wenn einige den menschengemachten Klimawandel infrage stellen — weltweit häufen sich die Wetter-Extreme. In Deutschland haben die zurückliegenden trockenen Sommer den Wald bereits massiv geschwächt — Borkenkäfer haben leichtes Spiel und vernichten ganze Fichtenwälder. Hinzu kommt, dass Klimasysteme nicht immer linear reagieren. Sie können sich auch sprunghaft verändern, wenn ein bestimmtes Belastungsniveau überschritten ist. Wissenschaftler sprechen von sogenannten Kipppunkten. Momentan sind es unsere eigenen Emissionen, die den Klimawandel befeuern. Kipppunkte jedoch können Dominoeffekte auslösen, die den Klimawandel dramatisch beschleunigen. Eine tickende Zeitbombe haben Forscher im Permafrost der Arktis ausgemacht. Was können wir tun, um den Klimawandel zu begrenzen? Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagt: „Natürlich ist es toll, wenn jeder Einzelne weniger Auto fährt, weniger fliegt, weniger Fleisch konsumiert. Aber entscheidend ist, dass jeder Einzelne von der Politik über die nächsten 30 Jahre einfordert, dass dieses Problem global gelöst wird. Denn das ist es, was wir brauchen.“
Spätherbst und Winter sind für uns regelmäßig die Jahreszeiten, die uns Sorge bereiten. Denn es ist die Zeit der Waldbrände – vor allem in El Niño-Jahren – oder die Zeit heftiger Regenfälle – falls Borneo eher unter dem Einfluss von La Niña steht. Mit fortschreitendem Klimawandel treffen uns solche Wetterphänomene deutlich heftiger und häufiger. Und die Zerstörung der Ökosysteme, der Regenwälder, Torfmoore und in deren Folge auftretende Bodenerosionen tun ihr übriges.
In den zurückliegenden Tagen wurden drei von fünf Provinzen in Kalimantan von schweren Überschwemmungen heimgesucht. Allein in Zentral-Kalimantan sind seit vergangener Woche sechs Bezirke – darunter die Provinzhauptstadt Palangka Raya – von Hochwassern in Mitleidenschaft gezogen worden. Betroffen sind Tausende von Menschen. Und unsere Arbeit für die Orang-Utans.
Tausende von Menschen sind betroffen
Unsere Inselgruppe Salat Island – auf der Orang-Utans die Rehabilitationsphase der Vorauswilderung durchlaufen und Orang-Utans leben, die nicht mehr ausgewildert werden können – war ebenfalls stark von Überflutungen betroffen. An manchen Stellen stand das Wasser rund 1,5 Meter über Normal. Die Inseln im Bezirk Pulang Pisau sind von einem großen Fluss umgeben, der große Teile des 2.089 Hektar großen Inselgebiets unter Wasser setzte.
Salat Island wird intensiv beobachtet
Rund um die Uhr sind unsere Mitarbeiter seither im Einsatz, um für die Sicherheit der Orang-Utans auf den Inseln zu sorgen.
Unser Kollege Hermansyah vom Kommunikationsteam der BOS Foundation berichtet: „Unsere Mitarbeiter sind seit Beginn der Hochwassersituation vor Ort, um mit den steigenden Pegeln und ständig sich verändernden Umständen fertig zu werden. Wir sind alle im Einsatz.“ Glücklicherweise hat bisher keine der Insel-Anlagen strukturelle Schäden erlitten. Das genaue Ausmaß möglicher Schäden können wir allerdings erst dann überblicken, wenn das Wasser abgeflossen ist. Doch der Wasserstand beginnt gerade erst zu sinken.
Bisher konnten wir auf den Inseln keine gravierenden Schäden feststellen
Bislang scheinen die Überschwemmungen den felltragenden Inselbewohnern keine Probleme zu bereiten, aber unsere Teams behalten die Lage der Orang-Utans permanent im Auge. „Wir sind erleichtert, dass die Versorgung der Tiere mit Futter weiterhin problemlos möglich ist, da unsere Plattformen nicht von den Überflutungen betroffen sind”, fügte Hermansyah hinzu.
In unserem Rettungszentrum Nyaru Menteng stehen Unterkünfte von Mitarbeitern teilweise unter Wasser
Auch unser Rettungszentrum Nyaru Menteng, das außerhalb der Hauptstadt Palangka Raya liegt, ist von leichten Hochwassern betroffen. In mehrere Unterkünfte von Mitarbeiter:innen rund um Nyaru Menteng drang Wasser ein.
In Mawas sind die Pegelstände sehr unterschiedlich hoch
In unserem Schutzgebiet Mawas, in dem wir zahlreiche Projekte zur Wiederaufforstung, Gemeindeentwicklung und zum Schutz der dort wild lebenden Orang-Utans durchführen, kam es auch zu Hochwassern. Selbst die Fahrt zu unseren Projektgebieten ist eine Herausforderung. Straßen können größtenteils nur noch mit dem Boot befahren werden, da Autos den Wassermassen oft nicht mehr standhalten können.
In dem 309.000 Hektar großen Torfmoorgebiet schwanken die Wasserstände. Aber an mehreren unserer Überwachungsstationen, von Rantau Upak bis Camp Release, steht das Wasser nur wenige Zentimeter vor der Überflutung der Böden. In vielen der Dörfer, darunter Tumbang Muroi, Tumbang Mangkutub, Batampang, Batilap, Mangkatip und Sungai Jaya kämpfen die Bewohner, um ihre Häuser vor dem eindringenden Wasser zu schützen. Unsere Gemeindeentwicklungsteams unterstützen sie tatkräftig beim Hochwassermanagement – alle geplanten Aktivitäten können warten.
Setzlinge in der Baumschule sind vom Hochwasser betroffen
Schnelles Handeln war die Rettung unserer Setzlinge in den Baumschulen, die unsere Mitarbeiter:innen alle in höher gelegene Gebiete bringen konnten. So ging kein einziger verloren! Bei den Gebieten, die neu mit Setzlingen bepflanzt worden waren, hatten wir das Glück, dass sie sich alle in höheren Lagen Gebieten befanden und keines davon vom Hochwasser betroffen war.
Durch den schnellen Einsatz unserer Mitarbeiter konnten alle Setzlinge gerettet werden
Langfristig gehen wir davon aus, solch verheerenden Überschwemmungen in Mawas vorbeugen zu können, indem wir das trockengelegte Torfmoor durch unsere Wiedervernässungs- und Aufforstungsarbeit wieder in seinen natürlichen Zustand zurückversetzen. Dann ist der Torfboden in der Lage, wie ein Schwamm deutlich mehr Wasser aufzusaugen, wobei die Bäume dem Boden weitere Festigkeit verleihen und zusätzliches Wasser aufnehmen können. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zerstört ist schnell, reparieren ist schwieriger.
Aus unseren Projektgebieten in Ost-Kalimantan wurden bisher glücklicherweise keine Schäden oder Bodenerosionen gemeldet.
Auf der Vorauswilderungsinsel Bangamat sinkt der Pegelstand langsam
In Zentral-Kalimantan haben wir aktuell Grund zur Hoffnung, denn das Wasser beginnt an vielen Orten zurückzugehen. Doch noch sind unsere Mitarbeiter voll im Einsatz. Und die Wetterbedingungen während der Regenzeit können unvorhersehbar sein.
Wir stellen fest, dass extreme Wetterereignisse immer häufiger auftreten. Die Auswirkungen des Klimawandels sind deutlich zu spüren.
Wir werden weiterhin wachsam sein, um die Orang-Utans zu schützen und die Menschen in den Gemeinden zu unterstützen. Denn wir leben alle gemeinsam auf diesem Planeten und es ist unserer gemeinsame Zukunft.
Unabhängig der peinlichen Verhandlungsergebnissen der „Staatengemeinschaft“ in Glasgow, findet in deren Schatten ein weiterer Skandal statt. In diesem Falle im grünen Mantel.
Große Klima- und Landverschmutzer wie Shell und Nestlé hausieren aktuell mit einer relativ neuen Betrugsmasche – den sogenannten „Nature-based Solutions“ (NbS): Sie kommunizieren öffentlichkeitswirksam, dass sie ihre Treibhausgasemissionen auf null senken und gleichzeitig weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen, mehr vom Planeten abbauen und die industrielle Fleisch- und Milchproduktion steigern. Sie nennen dies die Reduzierung der Emissionen auf „Netto-Null“. Das Pflanzen von Bäumen, der Schutz von Wäldern und die Optimierung der industriellen Anbaumethoden, so behaupten sie, wird genug zusätzlichen Kohlenstoff in Pflanzen und im Boden speichern, um die Treibhausgasemissionen auszugleichen, die sie in die Atmosphäre pumpen.
Klimaschutz als beinhartes Geschäftsmodell
Was Konzerne und große Naturschutzunternehmen „naturbasierte Lösungen“ nennen, ist eine gefährliche Ablenkung. Ihre Marketingkonzepte sind geschmückt mit unbewiesenen Daten und der steilen Behauptung, dass bis 2030 37 Prozent der CO2-Einsparungen realistisch seien. Immer mehr Unternehmen, von Total über Microsoft bis Unilever, machen „naturbasierte Lösungen“ zum Kern ihrer Klimaaktionspläne, während die Naturschutzindustrie auf die Finanzierung von „naturbasierten Lösungen“ von Unternehmen zurückgreift, um im grünen Markt zu dominieren. Denn auch dieser ist ein beinhartes Geschäft voller Partei- bzw. Industrielobbyinteressen.
Zerstörter Torfmoorregenwald in Mawas
Aus Sicht der Naturschutzindustrie ist die Idee einfach: Unternehmen bezahlen sie dafür, Wälder zu umschließen oder Bäume auf Land zu pflanzen, von dem sie behaupten, dass es „degradiert“ sei und dass bei einer Wiederherstellung mehr Kohlenstoff absorbiert werden könnte.
Im Gegenzug behaupten die Konzerne, dass die Klimaschäden durch ihre anhaltenden Treibhausgasemissionen ausgeglichen werden. Oft wird ein Dokument, das als Carbon Credit (CO2-Zertifikat) bezeichnet wird, verwendet, um diese Aufrechnungsforderung zu vermarkten.
Naturbasierte Lösungen oder naturbasierte Enteignungen
Wenn Konzerne und große Naturschutzorganisationen von „Natur“ sprechen, meinen sie meist geschlossene Räume ohne Menschen. Gemeint sind Schutzgebiete, Baumplantagen und große Monokulturbetriebe. Ihre „Natur“ ist unvereinbar mit der Natur, die als Territorium verstanden wird, als Lebensraum, der untrennbar mit den Kulturen, Ernährungssystemen und Lebensgrundlagen der Gemeinschaften verbunden ist, die sich um sie kümmern und sich als intrinsische Teile davon verstehen.
Monokultur Ölpalmplantage
„Naturbasierte Lösungen“ sind also keine Lösung, sondern ein Betrug. Die vermeintlichen Lösungen werden zu „naturbasierten Enteignungen“ führen, weil sie die verbleibenden Lebensräume von indigenen Völkern, Bauern und anderen waldabhängigen Gemeinschaften einschließen und „die Natur“ zu einem Dienstleister zwecks Ausgleiches der Umweltverschmutzungen durch Konzerne und zum Schutz von Gewinnen reduzieren werden. Der Unternehmen, die am meisten für das Klimachaos verantwortlich sind. Indigene Völker, Bauern und andere waldabhängige Gemeinschaften, deren Territorien eingeschlossen werden, werden mit mehr Gewalt, mehr Einschränkungen bei der Nutzung ihres Landes und mehr Kontrolle über ihr Territorium konfrontiert sein.
Neues Gewand für alte Taktik
„Naturbasierte Lösungen“ sind eine Wiederholung der gescheiterten REDD+-Baumpflanzungs- und Waldschutzprogramme, die dieselben Naturschutzgruppen seit 15 Jahren fördern. REDD+ hat nichts getan, um die globalen Treibhausgasemissionen zu reduzieren oder die großen Lebensmittel- und Agrarunternehmen zu beherrschen, die die Entwaldung vorantreiben. Sein bleibendes Vermächtnis ist jedoch der Verlust von Land und Wäldern für bäuerliche und waldbasierte Gemeinschaften und starke Einschränkungen bei der Nutzung ihres Landes. REDD+ hat auch eine Branche von „Nachhaltigkeits- und Sicherheitsberatern“ und Projektbefürwortern hervorgebracht, die davon profitieren, REDD+-Projekte als „nachhaltig“ zu deklarieren, trotz der Verletzungen von Rechten, die solche Projekte verursachen. Die Befürworter „naturbasierter Lösungen“ wenden nun die gleiche Taktik von Zertifizierungssystemen und Schutzmaßnahmen an, um Kritik abzuwehren und die Übernahme von Gemeinschaftsland und ‑wäldern durch die Unternehmen zu verschleiern.
Woher soll all das Land kommen?
Die Unternehmen mit „naturbasierten Lösungen“ in ihren Klimaschutzplänen wollen ihre Produktion stark umweltbelastender Produkte steigern. In der fehlerhaften Logik der „naturbasierten Lösungen“ von Unternehmen bedeutet mehr Umweltverschmutzung, dass Unternehmen mehr Land als ihre Kohlenstoffspeicher beanspruchen müssen; es wird mehr Enteignungen und weitere Beschränkungen der bäuerlichen Landwirtschaft und der gemeinschaftlichen Nutzung ihrer Territorien bedeuten. Es wird auch eine noch stärkere Kontrolle der Unternehmen über Land und Wälder bedeuten.
Die Opfer der Zerstörung: Orang-Utans, die ihre Heimat verloren haben
Der italienische Energiekonzern Eni zum Beispiel will bis 2050 noch 90 Prozent seiner Energie aus fossilen Brennstoffen gewinnen. Um diese Emissionen auszugleichen, muss er das gesamte Potenzial aller Wälder in Italien beanspruchen, um Kohlenstoff zu absorbieren – acht Millionen Hektar für Enis „Netto-Null“-Anspruch!
Laut Oxfam könnten allein die Netto-Null-Ziele von nur vier der großen Öl- und Gaskonzerne (Shell, BP, Total und Eni) eine Landfläche benötigen, die doppelt so groß ist wie die Großbritanniens. Das sind nur einige der großen Energiekonzerne. Der „Netto-Null“-Plan des weltgrößten Lebensmittelkonzerns Nestlé könnte 4,4 Millionen Hektar Land pro Jahr für den Ausgleich benötigen. Und auch die Pläne von Big-Tech-Firmen wie Microsoft und Amazon basieren auf der Anrechnung ähnlich großer Flächen.
Mehr Klimachaos und Biodiversitätsverlust
Konzerne und die großen Naturschutz-NGOs bieten diese „grünen“ Unternehmenslösungen nicht nur in den Klimagesprächen an; sie drängen die Idee auch in Regierungssitzungen der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity). Im Zusammenhang mit dem UN-Food Systems Summit im September 2021 wird „nature-positive production“ als ähnliches Konzept wie NbS genutzt – um die Landwirtschaft weiter zu industrialisieren und die Kontrolle der Unternehmen auszubauen. Wenn diese Versuche erfolgreich sind, kommt es zu mehr Klimachaos und einem noch schnelleren Verlust an Biodiversität, während Konzerne weiterhin von der Zerstörung und Verbrennung fossilen Kohlenstoffs profitieren.
Regierungen müssen wissen, dass es eine wachsende Bewegung von Gemeinschaften, Organisationen und Aktivisten an vorderster Front für Klimagerechtigkeit gibt.
Ich plädiere dafür, „naturbasierte Lösungen“ und alle Ausgleichsprogramme neu zu überdenken. In ihrer jetzigen Form sind sie nicht darauf ausgelegt, der Klimakrise zu begegnen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, ein oder zwei Jahrzehnte ungezügelter Unternehmensgewinne aus der Ausbeutung von fossilem Kohlenstoff und der industriellen Landwirtschaft zu erkaufen und gleichzeitig die Kontrolle über die Gebiete der Gemeinschaft von außen zu erhöhen.
Klimaneutralität bedeutet kaum mehr als Papiereinsparungen, erreicht durch kreative Buchführung und nicht überprüfbare Behauptungen, hypothetische Emissionen verhindert zu haben. Die Zeit für solche Ablenkungen ist abgelaufen. Nur ein rascher und terminierter Plan, die verbleibenden Kohle‑, Öl- und Gasreserven im Boden zu belassen und die industrielle Landwirtschaft ökologisch zu reformieren, wird ein katastrophales Klimachaos verhindern.
Nachhaltige Lösungen gehen nur mit den lokalen Gemeinden
Grassroots-Gemeinschaften an vorderster Front, die gegen die Förderung fossiler Brennstoffe, Pipelines, Minen, Plantagen und andere Projekte der Rohstoffindustrie sind, weisen den Weg. Der Widerstand gegen „naturbasierte Lösungen“ und der gemeinschaftliche Widerstand gegen die Zerstörung unterirdischer Kohlenstoffvorkommen, den Bergbau und die Agrarindustrie durch Konzerne müssen als Teil desselben Kampfes verstanden werden.
Grassroots-Gemeinschaften stehen auch an vorderster Front bei den Kämpfen um Ernährungssouveränität und Agrarökologie, die notwendig sind, um die vielfältige Krise des Planeten zu lösen. Wir erkennen und unterstützen die Kämpfe, die von Basisgemeinschaften um die Kontrolle über die Gebiete geführt werden, von denen sie heute und in Zukunft abhängen.
In Mawas reparieren wir zerstörte Torfmoore, forsten auf und unterstützen die lokalen Gemeinden durch neue, sichere und nachhaltige Einnahmemöglichkeiten. Sie können helfen!
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